"Der Prinz von Arkadien"

Jacques Offenbachs musikalische Traumwelt

Von Egbert Hiller · 16.06.2019
Markante Spannungsfelder bestimmten Jacques Offenbachs Leben und Schaffen: Vision und Wirklichkeit, Anarchie und Kommerz, Frankreich und Deutschland.
Im Juni 1819 wurde Jacques Offenbach als Sohn eines jüdischen Kantors in Köln geboren. Schon früh zog es ihn nach Paris, wo er als Komponist, Cellist, Kapellmeister und Theaterdirektor das Musikleben aufwirbelte. Offenbach erfand die moderne Operette – und mit ihr erlaubte er sich samt ironisch-satirischem Blick auf die Welt viele (musikalische) Freiheiten. Zugleich bescherte ihm die Gattung enorme Einnahmen. Er tauchte in seinen Werken in Traumgefilde ein, spiegelte darin aber immer wieder Realität und Zeitgeschehen. Virtuos spielte er mit Farben und Formen und kreierte schräge Figuren wie den "Prinzen von Arkadien", mit dem er auch sich selbst charakterisierte.
Mit sicherem Gespür traf Offenbach den Nerv des Publikums. Seine Figuren entspringen der Pariser Unterhaltungsmaschinerie seiner Zeit und erscheinen doch weit herausgehoben. Charakteristisch vereinen sie psychologisierende Innensicht mit Außenperspektiven auf verwickelte Handlungsstränge und auf menschliche Schwächen, Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen. Offenbachs Figuren werden in ihren Gefühlen ernst genommen und dennoch ironisch-satirisch beleuchtet. Allerdings sind ihm auch fast tragische Züge nicht fremd.

Erfinder der modernen Operette

Offenbach gilt als Erfinder der modernen Operette, obwohl er selbst seine Musiktheaterwerke in der Regel als "opéra-bouffe" bezeichnete. Die satirischen Dimensionen in diesen "komischen Opern" sind zwar auf das als "Operettendiktatur" apostrophierte zweite französische Kaiserreich unter Napoleon dem Dritten gemünzt; sie lassen sich aber auf andere Zeiten und Gesellschaften projizieren: etwa wenn Offenbach beißende Sittenbilder zeichnet.
Erfolge feierte Offenbach nicht nur in Paris, sondern auch in Wien und an vielen anderen Orten. Seinen größten Triumph erlebte er mit "Orphée aux enfers", "Orpheus in der Unterwelt", entstanden 1858 in Deutschland, nachdem seine drei Jahre zuvor gegründete Bouffes-Parisiens kurz vor dem Bankrott stand und sich Offenbach nach Bad Ems zurückzog – offiziell zur Kur, doch vor allem flüchtete er vor seinen Gläubigern.

Abwechselnd in Arkadien und Böotien

Die unterschiedlichen Einfärbungen seiner Figuren verweisen auf seine Multi-Identität: Offenbach wähnte sich sowohl in Arkadien als auch in Böotien – in Arkadien, da seine grandiose Karriere in Paris, trotz einiger Rückschläge, ihm ein "glückseliges" Leben mit reichlich Einnahmen bescherte, so dass er neben dem Theater als beherrschender Leidenschaft seinen Begierden und Lastern, den Frauen, den Zigarren und seiner Spielsucht, ausgiebig frönen konnte. Und Böotien, die allgegenwärtige Sphäre von Borniertheit und Banausentum, nahm er in seinen "opéra-bouffe" in enger Kooperation mit seinen Librettisten immer wieder aufs Korn.
Im Gespräch mit dem Musikwissenschaftler Dr. Ralf-Olivier Schwarz, Autor der umfassenden Monographie "Jacques Offenbach: Ein europäisches Porträt" (Böhlau Verlag, 2018), die den aktuellen Forschungsstand widerspiegelt.
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