Der Prominenten-Friedhof des Neujungfrauen-Klosters in Moskau
Er war einer der größten Geiger, nicht nur Russlands, sondern der ganzen Welt: David Oistrach. © picture-alliance/ dpa / Vladimir Raitman
Letzte Ruhe für singende Seelen
38:28 Minuten
Der Friedhof des Neujungfrauen-Klosters in Moskau ist kein gewöhnlicher Kirchhof. Denn hier liegen prominente Größen der russisch-sowjetischen Musik-Szene. Skrjabin, Prokofjew, Rostropowitsch und viele andere sind hier begraben.
Früher lag das Neujungfrauen-Kloster im Süden der Stadt Moskau und verteidigte die Stadtgrenze. Heute gehört es bereits zum Zentrum und ist nur ein paar U-Bahn-Stationen vom Roten Platz entfernt. Die grüne Oase mitten in Moskau ist aber nicht nur ein Ort der Abgeschiedenheit. Hier sind die Großen des Landes begraben. Bei einem Kloster beigesetzt zu werden, galt frommen Russen schon immer als eine große Auszeichnung für ein gerechtes irdisches Leben.
Und so wurden bei dem reichen Neujungfrauen-Kloster seit seiner Gründung im 16. Jahrhundert besonders verdienstvolle Nonnen und Priester beigesetzt. Im 19. Jahrhundert kamen dazu Generäle des Napoleonkrieges, Künstler oder Schriftsteller. So liegen auf dem Friedhof Nikolaj Gogol und Anton Tschechow.
Vom Nonnenfriedhof zur sowjetischen Nekropole
1922 ließen die Bolschewiki das reiche Neujungfrauen-Kloster schließen. Den Friedhof haben die neuen Machthaber jedoch vergrößert und zur sowjetischen Nekropole erklärt. So entstand hier ein Prominentenfriedhof - ein populärer Beerdigungsort für die Sowjet-Elite. Der Friedhof, noch keine 100 Jahre alt, erzählt russische und sowjetische Geschichte in einer einzigartigen Verbindung. Politiker, Dichter, Romanciers, Balletttänzer, Musiker, und Schauspieler liegen hier.
Der Weg zwischen den Gräbern führt vom ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin bis zur letzten Ruhestätte des im Friedhof an der Kremlmauer unerwünschten Generalsekretärs Nikita Chruschtschow – um nur einige prominente Personen zu nennen.
Ein Kreuz aus Marmor - Mstislaw Rostropowitsch
Gleich an der Kreuzung von zwei zentralen Alleen, rechts vom Grab Boris Yelzins in Form und Farbe der russischen Flagge, steht ein weißes orthodoxes Kreuz: mit zwei waagerechten und einem schrägen unteren Kreuzarm. Die roten Linien auf der marmornen Oberfläche wiederholen nur auf den ersten Blick die Kreuzform. Wer diese Linien länger betrachtet, entdeckt, dass sie den Saiten und dem Steg eines Cellos nachempfunden sind. Hier liegt der Cellist und Dirigent Mstislaw Rostropowitsch - jener russische Künstler, dessen Leben am deutlichsten die Rolle und die Stellung eines Künstlers in der sowjetischen Diktatur symbolisiert.
Als Büste - David Oistrach
In der Nähe von Chrustschow, an einer Seitenallee nahe der Klostermauer stößt man auf ein ungewöhnliches Grabmal. Auf einer glatten schwarzen Granitplatte steht eine hohe Metallsäule, die von der Büste eines Geigers gekrönt wird, der sein Instrument unter dem Kinn hält. Das ist das Grab von David Oistrach.
Auf dem Sofa - Fjodor Schaljapin
Zurück auf der zentralen Allee bleibt man bei einem markantem Grabdenkmal stehen. Ein Mann aus Marmor sitzt entspannt auf dem ebenfalls marmornen Sofa –ein Fuß auf dem anderen, der rechte Arm auf der Kopflehne, der linke ans Herz gedrückt. Es ist der Sänger Fjodor Schaljapin, der russische Bass Nummer 1. Der Mann, der als Zar Boris in der Mussorgskijs Oper "Boris Godunow" Paris für immer eroberte.
Ohne Blumen - Sergej Prokofjew
Der 5. März 1953 ist ein historischer Stichtag in der sowjetrussischen Geschichte. Josef Stalin stirbt. In Moskau herrscht tagelang der Ausnahmezustand. Hunderte werden zu Tode getrampelt, während Tausende Abschied nehmen von ihrem geliebten "Vater aller Völker". Am selben 5. März, fast zeitgleich mit dem sowjetischen Diktator, stirbt in seiner Moskauer Wohnung der Komponist Sergej Prokofjew.
Sein Tod wird von der Öffentlichkeit nicht bemerkt. Zu Prokofjews Beisetzung konnte seine Frau nur ein paar Topfpflanzen auftreiben, wegen Stalins Beerdigung waren alle Blumenläden in Moskau leergekauft worden. Sergej Prokofjews Grab, eine bescheidene schwarze Granitplatte, befindet sich unweit vom Denkmal für Fjodor Schaljapin.
Mit klingender Signatur - Dmitrij Schostakowitsch
Die letzte Ruhestätte von Dimitrij Schostakowitsch auf dem Neujungfrauen-Friedhof zu finden, ist nicht ganz einfach. Sein Grab ist am Ende des Friedhofs, mitten in einer schmalen seitlichen Allee. Auf der langen rotbräunlichen Granit-Platte stehen neben den Komponistennamen vier Noten: D-Es-C-H. Das ist ein musikalisches Motiv, das Dmitrij Schostakowitsch mehrmals in seiner Musik verwendete, wenn er sich selbst bezeichnen wollte.
Nachkommen der Begrabenen sieht man auf dem Friedhof des Neujungfrauen-Klosters nicht oft. Viele haben keine, oder sie wohnen längst im Ausland, wie die Kinder und Enkelkinder von Sergej Prokofjew und Fjodor Schaljapin. Der Staat kümmert sich um ihre letzten Ruhestätten.
Bei all den Künstlern fällt eines auf: Kein einziger Lebensweg war glücklich. Das tragische 20. Jahrhundert in Russland hat ihren Schicksalen seinen Stempel aufgedrückt. Doch trotz all der Miseren, der Gefahren und der Verfolgung haben diese Künstler Enormes geleistet.