Der Propst von Jerusalem
Seit September ist Wolfgang Schmidt Propst von Jerusalem. Er kümmert er sich um die deutsch-sprachigen Gemeinden und hält den Kontakt zu Christen aller Konfessionen. Ein anstrengender Job im Spannungsfeld der Religionen und des Nahostkonflikts.
Es ist wieder ruhig geworden. Die Tage, an denen die Sirene geheult und vor Raketen aus dem Gaza-Streifen gewarnt haben, sind vorbei. Nach der Waffenruhe kehrt die Normalität zurück nach Jerusalem. Wolfgang Schmidt schaut vom Turm der Erlöserkirche auf die Altstadt.
"Da ist in unmittelbarer Nähe die Grabeskirche, nur einen Steinwurf entfernt. Und wenn wir auf die andere Seite rüber schauen, Richtung Ölberg und Richtung Felsendom, dann haben wir direkt vor der Nase hier eine Siedlung von jüdischen Siedlern, die sich vor einigen Jahren niedergelassen haben."
"Diese Straße, die find ich jetzt besonders schön. Da sitzen die alten Männer abends mit der Wasserpfeife, oder auch tagsüber. Man hat da das Gefühl, in der Mitte des Touristentrubels, den es hier manchmal gibt, ist hier wirklich noch so ein Stück orientalische Kultur, Lebensqualität zuhause."
"Ich würde sagen, nach 100 Tagen hat man ein Lebensgefühl entwickelt für das Dasein in dieser Stadt. Man hat die erste, wichtigsten Kontakte aufgenommen und Menschen und Kirchen kennengelernt. Man hat die Problemstellungen kennengelernt."
Bisher hat er die Basis für seine Arbeit geschaffen. Schmidt ist ein Vorposten der deutschen Evangelischen Kirche im Heiligen Land. Als Propst von Jerusalem muss er den Kontakt zu Christen aller Konfessionen halten.
"Und es begegnet mir dann auf Schritt und Tritt – bei Besuchen, bei Gesprächen. Wie neulich, war ich beim syrisch-orthodoxen Erzbischof hier zu Besuch. Die Gespräche, die drehen sich dann meistens um die Situation der jeweiligen Kirche hier in Jerusalem. Gerade die syrisch-orthodoxe Kirche hat es nicht leicht."
Viele Gemeinden leiden unter der Sperrmauer, die Israel und das Westjordanland trennt und die es palästinensischen Gemeindemitgliedern teilweise unmöglich macht, nach Jerusalem zu kommen. In den Gesprächen kritisiert auch der Propst die israelische Politik im Westjordanland.
"Wir sehen, dass eben die aktuelle Politik seit vielen Jahren in den Palästinensergebieten nicht immer die Menschenrechte so einhält, wie wir es uns wünschen. Und wir müssen für die Menschenrechte eintreten, wo sie verletzt werden."
Kritik offen zu üben und eine klare Position zu beziehen, ist ein heikler Balanceakt in Jerusalem. Als Vertreter der EKD steht er in einem Spannungsfeld von verschiedenen Beziehungen. Als Deutscher und als Christ sieht er sich durch die Geschichte zur Loyalität mit den Juden verpflichtet. Durch die Ökumene ist seine Kirche mit den arabischen Christen verbunden.
"Und so stehen wir in einem Netz von unterschiedlichen Loyalitäten und unterschiedlich gefärbten Beziehungen. Und wenn ich auf der einen Seite eine Aussage mache, dann muss ich gleichzeitig berücksichtigen, ob ich damit auch der anderen Beziehung gerecht werde. Und in sofern ist es eine große Herausforderung, wirklich so zu formulieren, dass man Inhalte klar rüberbringt, aber trotzdem die besonderen Beziehungen, in denen man steht, gerecht wird."
Deutlich formulieren möchte der neue Propst, und sich auch zu politischen Dingen äußern: Jetzt vergleicht er Israel mit einem trotzigen Kind, dass um sich schlägt, wenn es sich ärgert. Damit nimmt er Stellung zu den 3000 neuen Wohnungen in jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem. Deren Bau hatte die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu genehmigt, nach der Aufwertung der Palästinensern durch die Vereinten Nationen.
Sich zum Gaza-Krieg zu äußern ist schwieriger: Wer verletzt denn Menschenrechte? Die Raketenbauer im Gazastreifen? Oder israelische Soldaten? Wenn Menschen in Israel und in den Palästinensergebieten eine seiner Äußerungen so verstehen, dass er nicht auf ihrer Seite steht, sondern möglicherweise auf der Seite der Gegner, dann kann das Vertrauen brechen. Propst Schmidt weiß, was er sagen darf, und was nicht.
"Was ich auf jeden Fall im Gespräch vermeiden möchte, sind Pauschalurteile. Man muss meines Erachtens sehr, sehr gut differenzieren: Spricht man von den Muslimen, spricht man von den Arabern, spricht man von Juden, also auch im religiösen Sinne, spreche ich von Israelis, im staatsbürgerlichen Sinne, und das sind ja dann auch die Araber miteinbegriffen. Oder spreche ich von der israelischen Politik. Ich glaube, wenn man entsprechend auch differenziert, kann man sich definitiv jeweils auch sehr klare Urteile erlauben."
In den Diskussionen in seiner eigenen deutschen Gemeinde in Jerusalem spielt der palästinensisch-israelische Konflikt allerdings keine Rolle mehr – daran hat auch die letzte Umdrehung der Gewaltspirale im Heiligen Land nichts geändert
"Und das hat mich natürlich gewundert festzustellen. Und auf Nachfrage hörte ich eben, dass vor Jahren noch durch die Gemeinde sehr tiefe Gräben liefen, von Befürwortern Israels, von Gegnern Israels, von Menschen, die auf palästinensischer Seite standen."
Er wünscht sich, dass die Fragen des Nahost-Konflikt wieder stärker in den Fokus seiner Gemeinde kommen. Wie er das machen will, das weiß er heute noch nicht.
In den ersten drei Monaten lebt er sich noch in Jerusalem ein. Die Geräusche hier in der Altstadt, die er auch in seinem Büro in der Propstei hört, kann er schon zuordnen.
"Das fängt an mit dem Traktor, der hier durch die kleinen Gassen fährt. Man kann ja hier nicht mit dem Auto fahren. Das heißt, jeder Transport muss mit diesen Klein-Traktoren passieren – so wie übrigens auch unser Umzug vor einigen Wochen. Dann haben wir einen Nachbarn, der schon etwas älter ist. Und wenn der morgens seinen Laden aufmacht, das ist so etwa um halb 6, dann ist der erste Griff zum Kassettengerät. Und dann lässt er Koranlesungen laufen in voller Lautstärke. Also, morgens um halb 6, alles ist ruhig, aber Koranlesungen in aller Fülle."
Noch stört ihn das nicht. Aber knappe sechs Jahre hat Wolfgang Schmidt noch vor sich, mitten in der Altstadt, als Propst von Jerusalem.
"Da ist in unmittelbarer Nähe die Grabeskirche, nur einen Steinwurf entfernt. Und wenn wir auf die andere Seite rüber schauen, Richtung Ölberg und Richtung Felsendom, dann haben wir direkt vor der Nase hier eine Siedlung von jüdischen Siedlern, die sich vor einigen Jahren niedergelassen haben."
"Diese Straße, die find ich jetzt besonders schön. Da sitzen die alten Männer abends mit der Wasserpfeife, oder auch tagsüber. Man hat da das Gefühl, in der Mitte des Touristentrubels, den es hier manchmal gibt, ist hier wirklich noch so ein Stück orientalische Kultur, Lebensqualität zuhause."
"Ich würde sagen, nach 100 Tagen hat man ein Lebensgefühl entwickelt für das Dasein in dieser Stadt. Man hat die erste, wichtigsten Kontakte aufgenommen und Menschen und Kirchen kennengelernt. Man hat die Problemstellungen kennengelernt."
Bisher hat er die Basis für seine Arbeit geschaffen. Schmidt ist ein Vorposten der deutschen Evangelischen Kirche im Heiligen Land. Als Propst von Jerusalem muss er den Kontakt zu Christen aller Konfessionen halten.
"Und es begegnet mir dann auf Schritt und Tritt – bei Besuchen, bei Gesprächen. Wie neulich, war ich beim syrisch-orthodoxen Erzbischof hier zu Besuch. Die Gespräche, die drehen sich dann meistens um die Situation der jeweiligen Kirche hier in Jerusalem. Gerade die syrisch-orthodoxe Kirche hat es nicht leicht."
Viele Gemeinden leiden unter der Sperrmauer, die Israel und das Westjordanland trennt und die es palästinensischen Gemeindemitgliedern teilweise unmöglich macht, nach Jerusalem zu kommen. In den Gesprächen kritisiert auch der Propst die israelische Politik im Westjordanland.
"Wir sehen, dass eben die aktuelle Politik seit vielen Jahren in den Palästinensergebieten nicht immer die Menschenrechte so einhält, wie wir es uns wünschen. Und wir müssen für die Menschenrechte eintreten, wo sie verletzt werden."
Kritik offen zu üben und eine klare Position zu beziehen, ist ein heikler Balanceakt in Jerusalem. Als Vertreter der EKD steht er in einem Spannungsfeld von verschiedenen Beziehungen. Als Deutscher und als Christ sieht er sich durch die Geschichte zur Loyalität mit den Juden verpflichtet. Durch die Ökumene ist seine Kirche mit den arabischen Christen verbunden.
"Und so stehen wir in einem Netz von unterschiedlichen Loyalitäten und unterschiedlich gefärbten Beziehungen. Und wenn ich auf der einen Seite eine Aussage mache, dann muss ich gleichzeitig berücksichtigen, ob ich damit auch der anderen Beziehung gerecht werde. Und in sofern ist es eine große Herausforderung, wirklich so zu formulieren, dass man Inhalte klar rüberbringt, aber trotzdem die besonderen Beziehungen, in denen man steht, gerecht wird."
Deutlich formulieren möchte der neue Propst, und sich auch zu politischen Dingen äußern: Jetzt vergleicht er Israel mit einem trotzigen Kind, dass um sich schlägt, wenn es sich ärgert. Damit nimmt er Stellung zu den 3000 neuen Wohnungen in jüdischen Siedlungen in Ost-Jerusalem. Deren Bau hatte die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu genehmigt, nach der Aufwertung der Palästinensern durch die Vereinten Nationen.
Sich zum Gaza-Krieg zu äußern ist schwieriger: Wer verletzt denn Menschenrechte? Die Raketenbauer im Gazastreifen? Oder israelische Soldaten? Wenn Menschen in Israel und in den Palästinensergebieten eine seiner Äußerungen so verstehen, dass er nicht auf ihrer Seite steht, sondern möglicherweise auf der Seite der Gegner, dann kann das Vertrauen brechen. Propst Schmidt weiß, was er sagen darf, und was nicht.
"Was ich auf jeden Fall im Gespräch vermeiden möchte, sind Pauschalurteile. Man muss meines Erachtens sehr, sehr gut differenzieren: Spricht man von den Muslimen, spricht man von den Arabern, spricht man von Juden, also auch im religiösen Sinne, spreche ich von Israelis, im staatsbürgerlichen Sinne, und das sind ja dann auch die Araber miteinbegriffen. Oder spreche ich von der israelischen Politik. Ich glaube, wenn man entsprechend auch differenziert, kann man sich definitiv jeweils auch sehr klare Urteile erlauben."
In den Diskussionen in seiner eigenen deutschen Gemeinde in Jerusalem spielt der palästinensisch-israelische Konflikt allerdings keine Rolle mehr – daran hat auch die letzte Umdrehung der Gewaltspirale im Heiligen Land nichts geändert
"Und das hat mich natürlich gewundert festzustellen. Und auf Nachfrage hörte ich eben, dass vor Jahren noch durch die Gemeinde sehr tiefe Gräben liefen, von Befürwortern Israels, von Gegnern Israels, von Menschen, die auf palästinensischer Seite standen."
Er wünscht sich, dass die Fragen des Nahost-Konflikt wieder stärker in den Fokus seiner Gemeinde kommen. Wie er das machen will, das weiß er heute noch nicht.
In den ersten drei Monaten lebt er sich noch in Jerusalem ein. Die Geräusche hier in der Altstadt, die er auch in seinem Büro in der Propstei hört, kann er schon zuordnen.
"Das fängt an mit dem Traktor, der hier durch die kleinen Gassen fährt. Man kann ja hier nicht mit dem Auto fahren. Das heißt, jeder Transport muss mit diesen Klein-Traktoren passieren – so wie übrigens auch unser Umzug vor einigen Wochen. Dann haben wir einen Nachbarn, der schon etwas älter ist. Und wenn der morgens seinen Laden aufmacht, das ist so etwa um halb 6, dann ist der erste Griff zum Kassettengerät. Und dann lässt er Koranlesungen laufen in voller Lautstärke. Also, morgens um halb 6, alles ist ruhig, aber Koranlesungen in aller Fülle."
Noch stört ihn das nicht. Aber knappe sechs Jahre hat Wolfgang Schmidt noch vor sich, mitten in der Altstadt, als Propst von Jerusalem.