Eine Ansammlung schwarzer und weißer Punkte entscheidet darüber, ob wir ins Restaurant, in den Zug oder ins Flugzeug dürfen. Die Abhängigkeit von einer „vergleichsweise dummen“ Apparatur und einem QR-Code hält der Journalist Uwe Bork für gefährlich.
Lassen Sie mich mit einer Frage beginnen: Was halten Sie für das bedeutendste Bild unserer Zeit? Oder, um es etwas präziser zu sagen, für das wichtigste Bild? Irgendetwas Verschwommenes von Gerhard Richter? Oder eher etwas frech Gespraytes von Banksy? Alles nicht Ihr Ding, Sie stehen auf David Hockney, sagen Sie?
Egal, ich halte dagegen. Für mich ist das wichtigste Bild unserer Zeit eines dieser kleinen Quadrate, die wir jetzt nahezu alle in unseren Hosen- oder Jackentaschen mit uns herumtragen. Wir finden sie auch auf Plakaten, in Werbeanzeigen und auf Fahrplantafeln, als Speisekartensurrogat liegen sie sogar schon auf diversen Restauranttischen oder Bartresen.
Kein Auge kann den QR-Code entschlüsseln
Die sogenannten QR-Codes wurden vor rund 30 Jahren in Japan entwickelt, um Einzelteile für die Automobilproduktion eindeutig und schnell identifizieren zu können. QR steht für „Quick Response“, also „schnelle Antwort“. Das Ganze funktionierte so gut, dass jetzt längst nicht mehr nur Kotflügel und Kardanwellen identifiziert werden, inzwischen sind auch wir Menschen dran.
Die kleinen abstrakten Grafiken greifen mittlerweile massiv in unser Leben ein. Uns selbst bleiben ihre Inhalte zwar verschlossen, denn unsere Augen und Gehirne können ihren Code nicht entschlüsseln, aber vielleicht gerade deswegen haben sie sich unentbehrlich gemacht. Oder vielmehr: Wir haben sie unentbehrlich gemacht. Ohne sie bleibt uns der Zugang zu vielem von dem auf unserer Welt versperrt, was wir noch bis vor Kurzem ganz selbstverständlich und ohne Erlaubnis nutzen und genießen konnten.
Vorbei. Da, wo uns in der präpandemischen Epoche im Notfall noch Raum blieb, die Hüter welchen Eingangs auch immer davon zu überzeugen, uns passieren zu lassen, gilt heute das klare Schwarz-Weiß der binären Codes: Entweder Ja oder Nein, Pro oder Contra, draußen bleiben oder reingehen. Zwischentöne gibt es nicht mehr. Grau ist out.
Ohne Smartphone kein Zutritt
Meinte der Modeschöpfer Karl Lagerfeld einst noch, dass die Kontrolle über sein Leben verloren habe, wer eine Jogginghose anzieht, so gilt heute, dass verloren ist, wer – aus welchem Grund auch immer – keinen digitalen Dietrich dabeihat. Akku leer, das zulassende Zertifikat aus Versehen gelöscht oder auch nur gedankenlos ohne Smartphone aus dem Haus gegangen: Das war es dann wohl, die Tür bleibt zu. Wir mögen zwar noch aussehen wie Menschen, nachweisen, dass wir auch tatsächlich welche sind, das können wir nicht mehr.
Wir sind in unserem Alltag von Computerchips so abhängig geworden wie noch nie. Nicht mehr menschliches Denken, sondern künstliche Intelligenz bestimmt heute darüber, was wir tun dürfen oder lassen müssen.
Bilder erschließen dir die Welt
Solche Abhängigkeit von einer immer noch vergleichsweise dummen Apparatur, von den Fakes und Fehlern, die die digitale Technik möglich macht oder auch nur zulässt, das ist für mich die eigentliche Bedrohung, die von der Überwachung der Coronaregeln ausgeht. Nicht nur eine mögliche Politikerwillkür könnte uns bedrohen, die Gefahr liegt ebenso darin, dass wir die Entscheidung über unser Wohl und Wehe auf Maschinen übertragen. Es geht nicht darum, dass Computer nicht leisten könnten, was wir ihnen auftragen: Das können sie ohne Zweifel. Aber künstliche Intelligenz gegen menschliche Dummheit? Das könnte ins Auge gehen. Nicht die Inkompetenz der Rechner ist dann das Problem, sondern ihre Kompetenz – ihre schnell wachsende Kompetenz.
Wie war das nochmal? Welches Bild hat den größten Einfluss auf unser Jahrhundert? Ich meine, es waren die Werke von Masahiro Hara und seinem Team: 1992 geschaffen und heute als QR-Codes allgegenwärtig. Noch nie war der Satz „Bilder erschließen Dir die Welt“ so wahr wie heute.
Uwe Bork, geboren 1951 im niedersächsischen Verden (Aller), studierte an der Universität Göttingen Soziologie, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Verfassungsgeschichte, Pädagogik und Publizistik. Bis Ende 2016 leitete er die Fernsehredaktion „Religion, Kirche und Gesellschaft“ des SWR. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Caritas-Journalistenpreis sowie zweimal mit dem Deutschen Journalistenpreis Entwicklungspolitik ausgezeichnet. Uwe Bork arbeitet als Autor, Referent und freier Journalist.