Der Randalierer mit den Engelslocken
Der minderjährige Nathan hat ein hübsches Gesicht und von grobem Unfug bis Gewalttaten schon einiges auf dem Kerbholz. In dem Jugendbuch "Mamas Liebling" geht er dann aber doch einen Schritt zu weit.
Wenn die mehrfach preisgekrönte Übersetzerin Mirjam Pressler einen niederländischen oder hebräischen Titel ins Deutsche übersetzt, dann können wir sicher sein, dass damit schon eine sehr gute Vorauswahl für die jungen Leser getroffen wurde.
Denn Mirjam Pressler hat selbst über 20 Kinder- und Jugendbücher geschrieben, für die sie unter anderem auch den Deutschen Jugendliteraturpreis eingeheimst hat. Nun hat sie Jan Simoens Jugendroman "Sleht" (Schlecht) aus dem Niederländischen übertragen - der seinem Autor den niederländischen Jugendliteraturpreis "Gouden Zoen 2008" eingebracht hat. Sein deutscher Titel: "Mamas Liebling".
Der Titel "Mamas Liebling", das hübsche Jungengesicht auf dem Umschlag und die großen rosa Lettern lassen eine homoerotische Liebesgeschichte vermuten. Aber Nathan, Mamas Liebling, der Junge mit den Engelslocken, ist kein schwuler Softi, sondern ein unberechenbarer, aggressiver Randalierer.
Obwohl noch minderjährig, hat er schon eine lange Liste von grobem Unfug und Gewalttaten auf dem Kerbholz. Und nun sitzt er in einer Polizeizelle und wartet darauf, dass man ihn wieder einmal unbestraft nach Hause schickt. Die Zeit zieht sich wie Kaugummi, man lässt ihn schmoren, auch am Ende des Romans sitzt er noch dort.
Nathan hat seiner früheren Freundin Elke aus Eifersucht und Hass etwas ganz Furchtbares angetan. Was genau passiert ist, erfährt der Leser erst mit der Zeit. Die Spannung ist groß, weil man ihm zu Recht fast alles zutraut.
Bisher hatte Nathans alleinerziehende Mutter ihn immer wieder bei der Polizei rausgehauen, sie ließ sich von ihrem berechnenden Sprössling um den Finger wickeln. Doch dieses Mal kommt sie nicht, um Nathan abzuholen. Er ist eindeutig zu weit gegangen…
Jan Simoen liefert das geschickt konzipierte Psychogramm eines hochexplosiven jungen Mannes, der nie Grenzen aufgezeigt bekam und darum immer gefährlicher wird. Nathan erzählt selbst, in der Ich-Form, doch die übliche Identifikation des Lesers mit dem Erzähler findet nicht statt.
Im Gegenteil: Der zynische Junge wirkt wie eingesperrt in seine Egozentrik. Die Geschichte erstreckt sich über nur ein paar Stunden, Erzählzeit und erzählte Zeit sind eins wie im Drama. Und ähnlich ist das Buch auch aufgebaut: Kapitelweise wechseln Nathans einsame Gedanken und Erinnerungen ab mit den Verhören durch einen gewieften Polizisten.
Aus wütenden Monologen und scharfen Dialogen entsteht ein konzentriertes kleines Kammerspiel, in dessen Verlauf sich Nathans Perspektive ganz langsam verändert. Jan Simoen baut den Text erzählerisch so auf, dass die Spannung immer weiter steigt.
Platzte Nathan anfangs fast vor Wut und Selbstmitleid, so entwickelt sich in den einsamen Stunden in der Zelle behutsam erst Verwunderung über die Weigerung der Mutter, dann Verständnis und schließlich so etwas wie Angst um Elke und sich selbst.
Für seinen fiktiven Zuhörer – er redet den Leser mit Du an – zieht er alle sprachlichen und emotionalen Register von frech-fordernd bis zu vorsichtig-fragend. Er schimpft und schreit, schluchzt und säuselt und findet manches überraschend kreative Bild für seine schrägen Empfindungen: "Wie Goldfische im Glas" stoßen sich seine Gedanken und Gefühle an den Zellenwänden.
"Mamas Liebling" fasziniert, weil der Autor so nah dran ist an seinem negativen Held. Nie hebt er den pädagogischen Zeigefinger, Fragen stellen sich von selbst. Wer ist schuldig? Warum ist Nathan "schlecht"? – so der Titel des Originals. Jan Simoens Roman bleibt offen. Wie es weitergeht, das muss/darf jeder Leser sich selbst ausmalen. Gerade das macht dieses Buch auch zum idealen Diskussionsstoff in der Schule.
Besprochen von Sylvia Schwab
Jan Simoen: Mamas Liebling
Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2010
120 Seiten, 9,95 Euro, ab 13 Jahre
Denn Mirjam Pressler hat selbst über 20 Kinder- und Jugendbücher geschrieben, für die sie unter anderem auch den Deutschen Jugendliteraturpreis eingeheimst hat. Nun hat sie Jan Simoens Jugendroman "Sleht" (Schlecht) aus dem Niederländischen übertragen - der seinem Autor den niederländischen Jugendliteraturpreis "Gouden Zoen 2008" eingebracht hat. Sein deutscher Titel: "Mamas Liebling".
Der Titel "Mamas Liebling", das hübsche Jungengesicht auf dem Umschlag und die großen rosa Lettern lassen eine homoerotische Liebesgeschichte vermuten. Aber Nathan, Mamas Liebling, der Junge mit den Engelslocken, ist kein schwuler Softi, sondern ein unberechenbarer, aggressiver Randalierer.
Obwohl noch minderjährig, hat er schon eine lange Liste von grobem Unfug und Gewalttaten auf dem Kerbholz. Und nun sitzt er in einer Polizeizelle und wartet darauf, dass man ihn wieder einmal unbestraft nach Hause schickt. Die Zeit zieht sich wie Kaugummi, man lässt ihn schmoren, auch am Ende des Romans sitzt er noch dort.
Nathan hat seiner früheren Freundin Elke aus Eifersucht und Hass etwas ganz Furchtbares angetan. Was genau passiert ist, erfährt der Leser erst mit der Zeit. Die Spannung ist groß, weil man ihm zu Recht fast alles zutraut.
Bisher hatte Nathans alleinerziehende Mutter ihn immer wieder bei der Polizei rausgehauen, sie ließ sich von ihrem berechnenden Sprössling um den Finger wickeln. Doch dieses Mal kommt sie nicht, um Nathan abzuholen. Er ist eindeutig zu weit gegangen…
Jan Simoen liefert das geschickt konzipierte Psychogramm eines hochexplosiven jungen Mannes, der nie Grenzen aufgezeigt bekam und darum immer gefährlicher wird. Nathan erzählt selbst, in der Ich-Form, doch die übliche Identifikation des Lesers mit dem Erzähler findet nicht statt.
Im Gegenteil: Der zynische Junge wirkt wie eingesperrt in seine Egozentrik. Die Geschichte erstreckt sich über nur ein paar Stunden, Erzählzeit und erzählte Zeit sind eins wie im Drama. Und ähnlich ist das Buch auch aufgebaut: Kapitelweise wechseln Nathans einsame Gedanken und Erinnerungen ab mit den Verhören durch einen gewieften Polizisten.
Aus wütenden Monologen und scharfen Dialogen entsteht ein konzentriertes kleines Kammerspiel, in dessen Verlauf sich Nathans Perspektive ganz langsam verändert. Jan Simoen baut den Text erzählerisch so auf, dass die Spannung immer weiter steigt.
Platzte Nathan anfangs fast vor Wut und Selbstmitleid, so entwickelt sich in den einsamen Stunden in der Zelle behutsam erst Verwunderung über die Weigerung der Mutter, dann Verständnis und schließlich so etwas wie Angst um Elke und sich selbst.
Für seinen fiktiven Zuhörer – er redet den Leser mit Du an – zieht er alle sprachlichen und emotionalen Register von frech-fordernd bis zu vorsichtig-fragend. Er schimpft und schreit, schluchzt und säuselt und findet manches überraschend kreative Bild für seine schrägen Empfindungen: "Wie Goldfische im Glas" stoßen sich seine Gedanken und Gefühle an den Zellenwänden.
"Mamas Liebling" fasziniert, weil der Autor so nah dran ist an seinem negativen Held. Nie hebt er den pädagogischen Zeigefinger, Fragen stellen sich von selbst. Wer ist schuldig? Warum ist Nathan "schlecht"? – so der Titel des Originals. Jan Simoens Roman bleibt offen. Wie es weitergeht, das muss/darf jeder Leser sich selbst ausmalen. Gerade das macht dieses Buch auch zum idealen Diskussionsstoff in der Schule.
Besprochen von Sylvia Schwab
Jan Simoen: Mamas Liebling
Aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler
Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2010
120 Seiten, 9,95 Euro, ab 13 Jahre