Der Reiz der Gefahr
Zwei heranwachsende Jungs, die das Risiko lieben und auf der Suche nach Grenzerfahrungen sind, stehen im Mittelpunkt von "Atem", dem neuen Roman des großen australischen Schriftstellers Tim Winton. Das Buch ist ein Hohelied an das Leben, eine Besinnung auf den Lohn der Angst.
Der erste Atemzug eines Neugeborenen ist ein grober Schock, als sauge man Feuer in die Lunge. Gnädigerweise wird er ebenso wie die Geburt umgehend und für immer vergessen. Innerhalb von Minuten wird Atmen zur Normalität.
Eine Routine, ebenso zwingend wie langweilig. Vor allem für Heranwachsende, die das Leben durch Grenzerfahrungen auskos-ten, die Monotonie des Atemholens überwinden wollen, dagegen aufbegehren und sich auf lebensgefährliche Tolldreistigkeiten einlassen. So wie Bruce Pike und Ivan Loon, die jugendlichen Protagonisten in "Atem", dem neuen Roman des großen australischen Schriftstellers Tim Winton.
Winton, 1960 im westaustralischen Perth geboren, Autor von 24 Romanen, Kurzgeschichtensammlungen, Kinder- und Jugendbüchern, Novellen und Reiseberichten, ist der prominenteste und zugleich auch erfolgreichste Schriftsteller Australiens, mit sämtlichen Literaturpreisen seines Heimatlandes wie des Commonwealth ausgezeichnet und zweimal in die Shortlist des renommierten britischen Booker Prize aufgenommen.
Auf Deutsch hingegen liegen bisher nur drei seiner Werke vor: "Der singende Baum", "Weite Welt", beide bei Luchterhand erschienen, und der leider vergriffene Roman "Getrieben".
Und nun also "Atem", ein weiterer großer Roman über Grenzerfahrungen, den Reiz der Gefahr und das mühsame Zurechtkommen mit dem Leben an sich.
Pikelet und Loonie, die beiden jugendlichen Helden, sind Was-serratten, die minutenlang zum Grund des Flusses tauchen, der durch die tief in der australischen Provinz gelegene Sägemühlenstadt Sawyer fließt, sich an Wurzeln am Grund festhalten, bis ihnen vor Sauerstoffmangel Brust und Kopf zu bersten dro-hen, und damit die Erwachsenen erschrecken. Dadurch sind sie gerüstet, als sie zum ersten Mal zur Küste fahren und Surfer sehen, Männer, die so ganz anders sind als die, die sie aus ihrem bisherigen Leben kennen, die um der Eleganz und Schönheit willen auf dem Wasser tanzen.
Die beiden legen sich billige Surfbretter zu und radeln fortan tagtäglich ans Meer, um die Brecher reiten zu lernen. Und ei-nes Tages begegnen sie dort Sando, einem ehemaligen Surfprofi, der mit seiner Frau, einer durch einen Unfall verkrüppelten Freestyle-Skiläuferin, in einer Hippiehütte lebt. Sando wird zum Guru der beiden Jungen, aber er verlockt sie auch zu immer gefährlicheren Ritten auf den Wellen, zu lebensgefährlichen Risiken, durch die sie den Reiz der Lebens erfahren sollen.
Loonie, der Angstlose, verliert dabei jedes Maß und Ziel, Pikelet, der Wortkarge, Verschlossene, zerbricht seelisch fast daran und überwindet den Irrsinn der Abenteuerlust nur da-durch, dass er zum Lebensretter wird. Und seinen Atem sinnvoll anzuwenden lernt, indem er das Didgeridoo spielt, das Holzblasinstrument der australischen Aborigines, für das man höllisch viel Luft braucht.
Der Leser lernt Bruce Pike, Pikelet genannt, als erwachsenen Mann und Vater zweier Töchter kennen, einen Rettungssanitäter, der von Albträumen und Erinnerungsfetzen heimgesucht wird, deren Ursprung der Autor in einer langen Rückblende auf die wilden Kinder- und Jugendjahre des Protagonisten enthüllt.
Aber "Atem" ist mehr als eine "Coming of Age Novel", eine der für den achselsächsischen Sprachraum so typischen Erzählungen über Heranwachsen und Reife. Es ist auch ein Hohelied an das Leben, eine Besinnung auf den Lohn der Angst und das Sich-Abfinden mit Unvollkommenheit und Verlusten. Geschrieben mit so vielen wahren Sätzen, wie sie seit Hemingway nur selten ein Schriftsteller zustande gebracht hat.
Rezensiert von Georg Schmidt
Tim Winton: Atem
Übersetzt von Klaus Berr
Luchterhand Literaturverlag, München 2008
236 Seiten, 16,95 Euro
Eine Routine, ebenso zwingend wie langweilig. Vor allem für Heranwachsende, die das Leben durch Grenzerfahrungen auskos-ten, die Monotonie des Atemholens überwinden wollen, dagegen aufbegehren und sich auf lebensgefährliche Tolldreistigkeiten einlassen. So wie Bruce Pike und Ivan Loon, die jugendlichen Protagonisten in "Atem", dem neuen Roman des großen australischen Schriftstellers Tim Winton.
Winton, 1960 im westaustralischen Perth geboren, Autor von 24 Romanen, Kurzgeschichtensammlungen, Kinder- und Jugendbüchern, Novellen und Reiseberichten, ist der prominenteste und zugleich auch erfolgreichste Schriftsteller Australiens, mit sämtlichen Literaturpreisen seines Heimatlandes wie des Commonwealth ausgezeichnet und zweimal in die Shortlist des renommierten britischen Booker Prize aufgenommen.
Auf Deutsch hingegen liegen bisher nur drei seiner Werke vor: "Der singende Baum", "Weite Welt", beide bei Luchterhand erschienen, und der leider vergriffene Roman "Getrieben".
Und nun also "Atem", ein weiterer großer Roman über Grenzerfahrungen, den Reiz der Gefahr und das mühsame Zurechtkommen mit dem Leben an sich.
Pikelet und Loonie, die beiden jugendlichen Helden, sind Was-serratten, die minutenlang zum Grund des Flusses tauchen, der durch die tief in der australischen Provinz gelegene Sägemühlenstadt Sawyer fließt, sich an Wurzeln am Grund festhalten, bis ihnen vor Sauerstoffmangel Brust und Kopf zu bersten dro-hen, und damit die Erwachsenen erschrecken. Dadurch sind sie gerüstet, als sie zum ersten Mal zur Küste fahren und Surfer sehen, Männer, die so ganz anders sind als die, die sie aus ihrem bisherigen Leben kennen, die um der Eleganz und Schönheit willen auf dem Wasser tanzen.
Die beiden legen sich billige Surfbretter zu und radeln fortan tagtäglich ans Meer, um die Brecher reiten zu lernen. Und ei-nes Tages begegnen sie dort Sando, einem ehemaligen Surfprofi, der mit seiner Frau, einer durch einen Unfall verkrüppelten Freestyle-Skiläuferin, in einer Hippiehütte lebt. Sando wird zum Guru der beiden Jungen, aber er verlockt sie auch zu immer gefährlicheren Ritten auf den Wellen, zu lebensgefährlichen Risiken, durch die sie den Reiz der Lebens erfahren sollen.
Loonie, der Angstlose, verliert dabei jedes Maß und Ziel, Pikelet, der Wortkarge, Verschlossene, zerbricht seelisch fast daran und überwindet den Irrsinn der Abenteuerlust nur da-durch, dass er zum Lebensretter wird. Und seinen Atem sinnvoll anzuwenden lernt, indem er das Didgeridoo spielt, das Holzblasinstrument der australischen Aborigines, für das man höllisch viel Luft braucht.
Der Leser lernt Bruce Pike, Pikelet genannt, als erwachsenen Mann und Vater zweier Töchter kennen, einen Rettungssanitäter, der von Albträumen und Erinnerungsfetzen heimgesucht wird, deren Ursprung der Autor in einer langen Rückblende auf die wilden Kinder- und Jugendjahre des Protagonisten enthüllt.
Aber "Atem" ist mehr als eine "Coming of Age Novel", eine der für den achselsächsischen Sprachraum so typischen Erzählungen über Heranwachsen und Reife. Es ist auch ein Hohelied an das Leben, eine Besinnung auf den Lohn der Angst und das Sich-Abfinden mit Unvollkommenheit und Verlusten. Geschrieben mit so vielen wahren Sätzen, wie sie seit Hemingway nur selten ein Schriftsteller zustande gebracht hat.
Rezensiert von Georg Schmidt
Tim Winton: Atem
Übersetzt von Klaus Berr
Luchterhand Literaturverlag, München 2008
236 Seiten, 16,95 Euro