Der rockende Poet
Heinrich Detering greift hoch. Gleich zu Beginn seines langen Essays über den Rockpoeten, dem er den schon fast provozierend kurzen Titel "Bob Dylan" gab, reiht er dessen Werk in allerhöchste Kategorien ein.
Dylans umfangreiches Werk sei inzwischen "ein Teil der Weltkultur" geworden; zustimmend zitiert er einen anderen Musiker und Lyriker – Leonard Cohen – der das Wort vom "Picasso of song" für Dylan geprägt hat. Bescheidener schon die Einschätzung von Heinrich Detering – Professor für Neuere Deutsche Literatur in Göttingen, dazu u.a. Mitherausgeber der großen kommentierten Werkausgabe Thomas Manns - wenn er von seinem eigenen Werk spricht, wobei er auf den Professorenplural nicht verzichten möchte: er nennt sein Buch "unsere werkgeschichtliche Skizze".
Zum Verständnis des Essays, zu seiner kritischen Würdigung und vorsichtigen Einordnung in die extrem anschwellende Flut von Neuerscheinungen über Bob Dylan wäre es angebracht, alle "offiziellen" Alben vor sich liegen und dazu zumindest die "offizielle Bootleg Series" zur Hand zu haben. Gut wäre es auch, die wichtigsten Bücher und Filme mit und über Dylan in Reichweite zu wissen. Gar nicht interessiert zeigt sich Detering an jener Art persönlicher Fragen, die frühere Biographen lösen wollten: Mit welchen Songs sich Dylan von Joan Baez verabschiedete oder welche Drogen wohl zum ominösen Motorradunfall führten. Und natürlich ist kein Platz und keine Zeit, Dylans inzwischen sprichwörtlichen Abfalleimer zu durchstöbern, um Hinweise auf des Meisters Angewohnheiten zu finden.
Deterings werkgeschichtliches Vorgehen hat ein vorwiegend chronologisches Fortschreiten zur Konsequenz. Dabei verblüfft Detering immer wieder durch äußerst knappe, scharfe Urteile. Das zweite Kapitel, überschrieben "Ein Song für Woody (1955-1964)", beginnt mit der provozierenden Behauptung "Der Anfang ist elektrisch" und wischt damit viele gern gehegte Vorstellungen vom "fahrenden Minnesänger" der Frühzeit vom Tisch. Little Richard und Elvis Presley streiten mit Woody Guthrie um Einfluss auf den jungen Barden, dessen ersten Welterfolg, "Blowin´ In The Wind" Detering mit dem Wort "naiv" abfertigt. Für ihn läuft alles hinaus auf den einen Song, der Dylan ins Pantheon heben wird: "Like A Rolling Stone" - oder vielmehr ist es so, dass Dylan erst dieses Pantheon schuf. Er vollzog einen eklatanten Imagewechsel, wurde zum Rock-Avantgardisten, verband Rock mit Poesie – Detering: "großer Poesie" - und untermauerte diesen Rollenwechsel mit der warnenden Aussage in einem anderen Song dieser Zeit, ja nicht immer nur einer zu sein: "He´s not busy being born is busy dying".
Detering ist auf Dylans Seite, wenn es gilt, die Beschimpfungen durch die Zuhörer abzuwehren - und Empörung brandete ja bei jedem Rollenwechsel auf: beim Überschreiten der Grenze zwischen Folk und Rock, bei der Selbsterfindung des autonomen Künstlers, bei der Hinwendung zu Christus. Für den geduldigen Versuch einer Ehrenrettung so mancher heute eigentlich nicht mehr hörbaren Platte muss man Detering letztlich dankbar sein, auch wenn man ihm nicht immer folgen mag: Völlig zu Recht lobt er die nur vordergründig simple Musik zum Film "Pat Garrett und Billy the Kid", völlig zu Recht sein Verdikt über die Musik der LP "Self-Portrait" als "misslungen". Völlig zu Unrecht spricht er aber vom gleichen Album als "Konzeptalbum von strengster Konsequenz".
Was bleibt, ist die Feststellung, dass der Künstler sich partout nicht festlegen lässt. Dies ist wirklich der Dreh- und Angelpunkt der Karriere des Robert Zimmermann: die immer wiederkehrende Metamorphose. Es ist wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel - wenn Kritiker und Publikum an der Kehre ankommen, ist Dylan schon lange nicht mehr da.
Merkwürdig und großartig zugleich die von Detering eindringlich beschriebene letzte Wendung: hin zum Anfang. Auf den letzten Alben und auch in Dylans Radio Show dominieren die "alten" Songs, jene, die der Künstler schon bei seinem Start in New York auf der "Anthology of American Folk Music" für sich entdeckte. Sie war die wahre Bibel all der jungen Rebellen – ihr überragender Einfluss wird von Detering unterschätzt, der eher biblische "Wunder" am Werk sieht.
Melodiefragmente, Textzitate, Selbstreflexionen, Kinderreime, Anspielungen auf Blues Songs, balladeske Einsprengsel, biblische Verse und geborgte Poesie-Zeilen – das alles sind die Ingredienzien, aus denen nun höchst artifizielle neue Songs entstehen. Michael Gray, der britische Dylan Biograph, braucht in seinem "Song And Dance Man III" über 30 Seiten, um den verzweigten Ursprüngen eines einzigen – allerdings auch überragenden – Dylan Songs nachzugehen: "Blind Willie McTell".
Wenn man nur wenig Zeit hat, um sich Dylan auf dem Weg über Texte zu nähern, dann reicht es aus, die von ihm selbst verfassten "Chronicles I" auf den Nachttisch legen. Für Leser mit mehr Ausdauer kann ruhigen Gewissens Heinrich Deterings vielschichtiger Essay empfohlen werden. Wer allerdings dem Hard-Core Dylan Fanclub beitreten möchte, muss zuerst Michael Grays knapp 1000-seitiges Ouevre rezipieren.
Rezensiert von Maximilian Preisler
Heinrich Detering: Bob Dylan
Philipp Reclam, Stuttgart 2007
184 Seiten, 4,80 Euro
Zum Verständnis des Essays, zu seiner kritischen Würdigung und vorsichtigen Einordnung in die extrem anschwellende Flut von Neuerscheinungen über Bob Dylan wäre es angebracht, alle "offiziellen" Alben vor sich liegen und dazu zumindest die "offizielle Bootleg Series" zur Hand zu haben. Gut wäre es auch, die wichtigsten Bücher und Filme mit und über Dylan in Reichweite zu wissen. Gar nicht interessiert zeigt sich Detering an jener Art persönlicher Fragen, die frühere Biographen lösen wollten: Mit welchen Songs sich Dylan von Joan Baez verabschiedete oder welche Drogen wohl zum ominösen Motorradunfall führten. Und natürlich ist kein Platz und keine Zeit, Dylans inzwischen sprichwörtlichen Abfalleimer zu durchstöbern, um Hinweise auf des Meisters Angewohnheiten zu finden.
Deterings werkgeschichtliches Vorgehen hat ein vorwiegend chronologisches Fortschreiten zur Konsequenz. Dabei verblüfft Detering immer wieder durch äußerst knappe, scharfe Urteile. Das zweite Kapitel, überschrieben "Ein Song für Woody (1955-1964)", beginnt mit der provozierenden Behauptung "Der Anfang ist elektrisch" und wischt damit viele gern gehegte Vorstellungen vom "fahrenden Minnesänger" der Frühzeit vom Tisch. Little Richard und Elvis Presley streiten mit Woody Guthrie um Einfluss auf den jungen Barden, dessen ersten Welterfolg, "Blowin´ In The Wind" Detering mit dem Wort "naiv" abfertigt. Für ihn läuft alles hinaus auf den einen Song, der Dylan ins Pantheon heben wird: "Like A Rolling Stone" - oder vielmehr ist es so, dass Dylan erst dieses Pantheon schuf. Er vollzog einen eklatanten Imagewechsel, wurde zum Rock-Avantgardisten, verband Rock mit Poesie – Detering: "großer Poesie" - und untermauerte diesen Rollenwechsel mit der warnenden Aussage in einem anderen Song dieser Zeit, ja nicht immer nur einer zu sein: "He´s not busy being born is busy dying".
Detering ist auf Dylans Seite, wenn es gilt, die Beschimpfungen durch die Zuhörer abzuwehren - und Empörung brandete ja bei jedem Rollenwechsel auf: beim Überschreiten der Grenze zwischen Folk und Rock, bei der Selbsterfindung des autonomen Künstlers, bei der Hinwendung zu Christus. Für den geduldigen Versuch einer Ehrenrettung so mancher heute eigentlich nicht mehr hörbaren Platte muss man Detering letztlich dankbar sein, auch wenn man ihm nicht immer folgen mag: Völlig zu Recht lobt er die nur vordergründig simple Musik zum Film "Pat Garrett und Billy the Kid", völlig zu Recht sein Verdikt über die Musik der LP "Self-Portrait" als "misslungen". Völlig zu Unrecht spricht er aber vom gleichen Album als "Konzeptalbum von strengster Konsequenz".
Was bleibt, ist die Feststellung, dass der Künstler sich partout nicht festlegen lässt. Dies ist wirklich der Dreh- und Angelpunkt der Karriere des Robert Zimmermann: die immer wiederkehrende Metamorphose. Es ist wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel - wenn Kritiker und Publikum an der Kehre ankommen, ist Dylan schon lange nicht mehr da.
Merkwürdig und großartig zugleich die von Detering eindringlich beschriebene letzte Wendung: hin zum Anfang. Auf den letzten Alben und auch in Dylans Radio Show dominieren die "alten" Songs, jene, die der Künstler schon bei seinem Start in New York auf der "Anthology of American Folk Music" für sich entdeckte. Sie war die wahre Bibel all der jungen Rebellen – ihr überragender Einfluss wird von Detering unterschätzt, der eher biblische "Wunder" am Werk sieht.
Melodiefragmente, Textzitate, Selbstreflexionen, Kinderreime, Anspielungen auf Blues Songs, balladeske Einsprengsel, biblische Verse und geborgte Poesie-Zeilen – das alles sind die Ingredienzien, aus denen nun höchst artifizielle neue Songs entstehen. Michael Gray, der britische Dylan Biograph, braucht in seinem "Song And Dance Man III" über 30 Seiten, um den verzweigten Ursprüngen eines einzigen – allerdings auch überragenden – Dylan Songs nachzugehen: "Blind Willie McTell".
Wenn man nur wenig Zeit hat, um sich Dylan auf dem Weg über Texte zu nähern, dann reicht es aus, die von ihm selbst verfassten "Chronicles I" auf den Nachttisch legen. Für Leser mit mehr Ausdauer kann ruhigen Gewissens Heinrich Deterings vielschichtiger Essay empfohlen werden. Wer allerdings dem Hard-Core Dylan Fanclub beitreten möchte, muss zuerst Michael Grays knapp 1000-seitiges Ouevre rezipieren.
Rezensiert von Maximilian Preisler
Heinrich Detering: Bob Dylan
Philipp Reclam, Stuttgart 2007
184 Seiten, 4,80 Euro