Wenn Politiker die Wahrheit sagen
Kabarett statt Politik - dazu entschied sich der Schleswig-Holsteiner Jochen Steffen (SPD) in den 70er-Jahren. Als "Kuddl Schnööf" konnte er endlich seine ehrlichen Überzeugungen kundtun, ohne eisigen Gegenwind aus Presse und Politik.
Karl Carstens: "Nun weiß ich auch, dass Jochen Steffen das enfant terrible der SPD ist, meine Damen und Herren, aber er hat den einen Vorzug, er spricht das aus, was die anderen bloß denken!"
Jochen Steffen: "Wir werden Abschied nehmen müssen von der Politik des quantitativen Wachstums, des Höher, Schneller, und Weiter an sich."
Peter Merseburger in "Panorama": "Und wieder erkennt die 'Bild'-Zeitung in Steffen den Volksschädling: 'Dieser Mann schadet uns alle!'"
Jochen Steffen: "Nachzulesen bei dem Mann mit dem rundgeschnittenen Vollbart."
Siegfried Lenz: "Er hielt es immer mit der Wahrheit, Jochen. Ohne Rücksicht darauf, was ihm passieren könnte."
Jochen Steffen: "Na, nach diesem Kapitel jetzt etwas Erheiterndes…"
Hanns Dieter Hüsch: "Den deutschen Kleinkunstpreis 1978 erhielt in der Sparte Kabarett der ehemalige Politiker Jochen Steffen."
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Kuddl, Du as Werfabbeiter un as sochen, ne, wie komms Du bloß bei all diese Schnacks bei?"
Auszug aus Richard Germers Lied: Schleswig-Holstein, Meerumschlungen:
"Schleswig-Holstein stammverwandt
Wanke nie mein Vaterland"
"Schleswig-Holstein stammverwandt
Wanke nie mein Vaterland"
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Nu komms Du!"
Wenn man heute in Schleswig-Holstein nach Jochen Steffen fragt, entlockt das den meisten wahrscheinlich nur ein müdes "Jochen – wer?". Der Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, sieht das naturgemäß etwas anders. Ob seiner Wahl zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden Anfang 2014 sagte er:
Ralf Stegner: "Das ist schon was besonderes, der letzte Schleswig-Holsteiner, das war Jochen Steffen, der rote Jochen, aus Schleswig-Holstein in den 60er-Jahren, und da gibt's dann ja durchaus auch Anknüpfungspunkte…"
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Nu komms Du!"
"Durchaus" – das ließe sich auch mit "wenige" übersetzen. Denn Jochen Steffen war derart unkonventionell, wie man sich heute kaum noch einen Politiker vorstellen kann.
Günter Gaus: "Sind Sie ein Linker Politiker?"
Jochen Steffen: "Ja."
Jochen Steffen: "Ja."
Oder wann haben Sie zuletzt einen Politiker auf eine Frage mit "Ja" oder "Nein" antworten hören?
Starker Gerechtigkeitssinn erwacht früh
Aber fangen wir vorne an: Karl Joachim Jürgen genannt 'Jochen' Steffen wird 1922 in Kiel geboren. Die Familie der Mutter stammt aus dem bäuerlichen Milieu, in der Familie des Vaters gibt es viele gewerkschaftlich organisierte Werft- und Metallarbeiter.
Früh erwacht ein starker Gerechtigkeitssinn in dem jungen Jochen. Werden Mitschüler oder Mannschaftskollegen im Sportverein verspottet, schlägt er nicht selten zu. Diese Gerechtigkeitswut macht ihm das Leben nicht gerade leicht, zu keiner Zeit.
1933. Deutschland wechselt sein politisches Hemd. Jochen Steffen wechselt auf die höhere Schule, ein Reform-Realgymnasium.
Jochen Steffen: "Mein Vater war kleiner Beamter und wir lebten in Kiel in solch nem Arbeiterviertel, weil da die Mieten billig waren, was meine Mutter eigentlich nie verwunden hat, weil man 'als Beamter da nicht wohnt', aber – die Oberschule kostete ja 20 Mark im Monat. Und das war praktisch das, was sozusagen das Geld für die Oberschule wurde durch das Wohnen in diesem nicht standesgemäßen Viertel (lacht) bezahlt."
Er hört von den Eltern, wie Nazis plötzlich auf hohe Posten kommen, häufig ohne jegliche Eignung. Blanker Opportunismus. Das hält den damals 11-Jährigen aber nicht davon ab, im selben Jahr Mitglied der Hitlerjugend zu werden. Im September 1941 macht er sein Notabitur, und wird zur Marineflak eingezogen. Sein Vorgesetzter ist der Leutnant Helmut Lemke, später Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein. Bei der Offiziersanwärterprüfung gibt Steffen ein weißes Blatt ab, unter Kameraden kritisiert er den Krieg; seine Auflehnung bringt ihm häufig Arrest ein. 1943 trifft er auf die aus Berlin stammende Marinehelferin Ilse Zimmermann, seine spätere Frau. Die heute 94-Jährige erinnert sich:
Ilse Steffen: "Als ich ihn kennenlernte bei der Marineflak in Gotenhafen, war seine erste Frage, ob ich für Adolf Hitler bin. Ich drehte mich um und sagte: Nein! Und so… (lacht) sonst hätte er gar nichts mit mir angefangen."
Nach dem Krieg treffen sie sich wieder und heiraten – drei Tage nach der Kapitulation. Steffen kommt für drei Monate in britische Kriegsgefangenschaft. Dass er sich politisch links engagieren will, steht für ihn fest. Nur wo, weiß er noch nicht. In Gesprächen mit gestandenen Mitgliedern der Kommunistischen Partei, die ihn für sich gewinnen wollen, wird ihm langsam klar, dass deren nicht seine Welt sein kann. Schließlich kommt es zu so etwas wie einem Schlüsselerlebnis.
Jochen Steffen: "… dass also so einer von der Werft sagte: 'Kommste nicht zur KP, ne?' Denn sachte ich: 'Nö. Ich hab mir das überlegt, also – geht nich.' Und da sagte er: 'Warum nicht?' Und da hab' ich gesagt: 'Ja, weißt du, guck mal – diese Säuberungen unter Stalin… und die Zwangskollektivierung, dann das Bündnis mit Hitler, die Aufteilung Polens…" Da sacht er: "Weißt Du Jochen, da kannste Dich drauf verlassen, nich, die da oben in der Sowjetunion, die wissen doch ganz genau, was falsch und was richtig ist, ne?' Da hab ich gesagt: 'Du, ich hab den Eindruck, die ham das längst vergessen.' Und da hat er mich so an diesem umgefärbten Wehrmachtsjackett da so angepackt und hat mich geschüttelt, ne? Hat er geschrien: 'Das dürfen die nich vergessen haben!' Der hatte praktisch sein ganzes Leben darin investiert … und musste jetzt weiter glauben, wenn er nicht sein ganzes Leben sinnlos machen wollte."
Und das sollte ihm nicht passieren. Trotzdem bleiben die Schriften von Karl Marx…
Jochen Steffen: "Nachzulesen bei dem Mann mit dem rundgeschnittenen Vollbart."
… immer seine Richtschnur. Als Schüler hatte er im Schreibtisch seines Vaters, im "Giftfach", wie er sagt, das kommunistische Manifest gefunden und verschlungen, da es seiner Auffassung von Gerechtigkeit entsprach. Die dogmatische Umsetzung in Diktaturen wie der DDR oder Sowjetrussland lehnt Steffen aber ganz klar ab.
Jochen Steffen: "Mit der Behauptung einer historischen Notwendigkeit oder unter Berufung auf das Wertgesetz des Kapital wird die Vision einer menschlichen Zukunft ausgelöscht für die Lebenden."
… urteilt er 1974 in einem Rundfunkessay zum Kapital.
Jochen Steffen: "Die Menschen wurden zu Kernern, Steinen und Mörtel am Bau einer vorher konstruierten Pyramide umfunktioniert, deren Grund und Umrisse lediglich den Eliten vorschwebte."
"Ein marxistischer Humanist"
Uwe Danker: "Ich glaube, er war tatsächlich ein marxistischer Humanist – und zutiefst Demokrat. Marxismus war für ihn ohne Demokratie nicht denkbar."
… urteilt der Zeit- und Regionalhistoriker Prof. Uwe Danker von der Europauniversität Flensburg, der ein Forschungsprojekt zu Jochen Steffen leitet.
1949 schließt Steffen sein Studium ab, beginnt eine Doktorarbeit, die er nicht beendet, und wird Mitglied der SPD. Aber schon 1954 erhält er ein erstes Redeverbot, weil er unter anderem die Haltung seiner Partei zur Wiederbewaffnung kritisiert hatte. 1956 kommt Sohn Jens-Peter zur Welt, wodurch Ilse, die zunächst als Schneiderin und später als Directrice arbeitete, als Ernährerin ausfällt.
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Nu komms Du!"
Also sorgt Mütterchen Partei dafür, dass Jochen Steffen als Redakteur bei der "Flensburger Presse" unterkommt. 1958 erhält er das erste Landtagsmandat. 1960 muss er zur "Kieler Volkszeitung" wechseln – wahrscheinlich auf Druck des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Kai-Uwe von Hassel, Träger des Eisernen Kreuzes, der Anstoß an Steffens Artikeln nahm. Hier entsteht die Figur des Kieler Werftarbeiters Kuddl Schnööf, der in Glossen die Politik durch seine Brille erklärt.
Jochen Steffen: "Da hatten wir also einmal die großen Werften, die entstanden waren, als der Kaiser entdeckte, dass unsere Zukunft auf dem Wasser liegt, ne, und wie Kuddl Schnööf sagt: 'Da lach sie dann auch schon drin.'"
1967 kandidiert er für das Amt des Ministerpräsidenten. Siegfried Lenz macht, angestoßen von Günter Grass, Wahlkampf für Steffen, weil ihm dessen politische Äußerungen gefallen. Steffen verliert die erste Landtagswahl gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten, das Ex-NSDAP und jetzt CDU-Mitglied Lemke. Vier Jahre später tritt Steffen gegen Gerhard Stoltenberg an.
Peter Merseburger in "Panorama": "Unser nächster Beitrag, meine Damen und Herren, handelt vom härtesten Wahlkampf, den die Bundesrepublik in den letzten Jahren erlebt hat."
Steffen bezeichnet sich gerne als "Marxist" – und das wird ihm im Wahlkampf zum Verhängnis. Zudem: würde die SPD in Schleswig-Holstein gewinnen, hätte sie eine Mehrheit im Bundesrat und könnte noch mehr durchsetzen – vor allem die Entspannungspolitik von Willy Brandt und Egon Bahr. Steffen wird nun vor allem von Seiten der CDU und der Springer-Presse heftig attackiert und immer wieder in die Nähe der SED gerückt. Herbert Kremp bezeichnet Jochen Steffen in der "Welt" als "Ulbricht-Deutschen". Und "Bild"-Chef Peter Boenisch schreibt:
Zitat nach "Panorama":
Sprecher 1: "Jene Roten drüben, auf die kein Deutscher stolz sein kann, und unsere Roten wie Herr Steffen hüben – sie sind kein Spaß, sondern eine Gefahr dieser Gesellschaft."
Sprecher 1: "Da sind sie wieder – die nationale Gefahr und der 'Volksschädling'. 'Bild am Sonntag' hat es geschafft und selbst die ultrarechte Deutsche Nationalzeitung noch rechts überholt."
… urteilt das Magazin "Panorama" 1971. In derselben Sendung erklärt Steffens Pressesprecher Gerd Börnsen:
Gerd Börnsen: "Wir bekommen seit etwa vier Wochen wöchentlich je eine Morddrohung gegen Joachim Steffen und seine Frau. Morddrohungen, die zum Teil unterzeichnet sind mit 'Heil Hitler'."
Ilse Steffen erinnert sich an eine Wahlkampfversammlung in Heide:
Ilse Steffen: "Der Saal war voll (lacht) und dann komm' die mit so Dreschflegeln [durch den] Mittelgang, wir sitzen oben auf der Tribüne. Ja, und was ham wir gemacht? Wir sind dann hinten raus, ins Auto und weggefahren. Und denn hab ich zu meinem Mann gesagt auf der halben Tour nach Kiel: So, ich bin doch nicht bescheuert hier für die Sozis hier, vielleicht haun die uns tot, nich? Komme ich (sic) gar nich in Frage, jetzt gehste zu Willy Brandt, wir brauchen Schutz. Und Willy Brandt war ganz entsetzt und sagte 'Das war ja bei keinem…' Nee, sach ick, aber (lacht) bei Jochen Steffen war dat so!"
Jens-Peter Steffen: "Es gibt da die Geschichte von 1971, dass die Eltern also dann im Landeshaus sitzen während die ersten Wahlergebnisse reinflattern – und die waren für die SPD übermäßig positiv… und dass Jochen darauf reagierte und blass wurde und sagte: 'Ach du meine Güte, wenn das so weitergeht, dann muss ich regieren. Und da von seinem Mitarbeiter einen Cognac verlangte, um den zu kippen."
… erinnert sich Sohn Jens-Peter. Aber: Jochen Steffen musste nicht. Er fuhr zwar mit 41 Prozent das beste Ergebnis für die SPD in Schleswig-Holstein seit 1947 ein, Konkurrent Gerhard Stoltenberg, der "große Klare aus dem Norden", den Steffen später als "kontaktgestört" bezeichnete, kam aber auf unschlagbare 51,9 Prozent.
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Nu kommst Du!"
Jens-Peter Steffen: "Im Umfeld des 71er-Wahlkampfes traten also Erschöpfungszustände auf… meiner Ansicht nach hat man damals noch nicht von 'Burn-out' gesprochen, aber heute würden wir so was sicherlich so nennen. Und es traten organische Folgeschäden auf."
Prof. Uwe Danker: "Damals lebten männliche Eliten in der Bundesrepublik nicht wirklich gesund, also: der Cognac und und viel Tabak bereits am Vormittag gehörten kulturell zur Selbstverständlichkeit – und Jogging noch nich…"
Steffen wird zunehmend reizbarer, er schläft nicht mehr richtig, ist laut Aussage seiner Frau "außer sich". Fast ein Jahr ist er "neben der Spur", dann tut sich eine neue Karriere auf:
Jens-Peter Steffen: "‘72 – nach der Wahl – könnte das gewesen sein, wo das erste Mal eine Kuddl Schnööf-Lesung in Kiel veranstaltet wurde. Und der Chefredakteur der 'Volkszeitung' damals sagte: 'Ich kann mir nicht denken, dass da irgendwer kommt, wer will sich denn das anhören?' Und in der Gelehrtenschule in Kiel, da in der Aula, die war proppevoll – und die Leute ham sich weggelacht."
Jochen Steffen: "Ich trage vor aus den Werken meines Freundes Kuddl Schnööf und aus den Begegnungen und Gesprächen mit seiner Frau Natalje Piepenbrink. Zu der Sprache, in der Kuddl seine Vorträge macht, muss ich also Folgendes sagen: Als europäische Hochleistungsrasse wachsen die Schleswig-Holsteiner mit vier Sprachen auf: Hochdeutsch, Plattdeutsch, Missingsch und durch die Nase. Kuddl und seine Frau sprechen Missingsch, das ist also das Hochdeutsch, was jemand, der auf der ein- oder zweiklassigen Dorfschule erst Hochdeutsch gelernt hat, dafür hält."
Auch als Kuddl Schnööf propagiert er seine politischen Überzeugungen. Gern nimmt er nun all jene aufs Korn, die ihm zuvor in der politischen Arena zugesetzt hatten.
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Schon lange vor die Moderne verpackten die Friesen ne Räuberwirtschaft in christliche Gewänder. (Gelächter) Und das machen sie so! Also nehmen wir mal als Beispiel die Insel Sylt as soche. Da ham wir also de Hörnumer Reh, ne? Und so bei Windstärke neun bis zwölf, ne, wenn die Nordsee so orntlich hochgeht, ne, denn machten sie da Feuers an. Und die Kaptaine vonne Schiffe, ne, hielten das für Signale, ne? Aber wenn sie sich nach die richteten, ne, denn jumpten sie auf'n Strand. Also, das war anne Hörnumer Reh, ne? Also heute hat da Axel Cäsar Springer sein Villa… Guck' ma, Macker, da kanns' an sehen, ne, aus düsse Gegend kamen schon frühere Zeiten die falschen Signale…"
Wobei er auch vor sich selbst nicht haltmacht:
Jochen Steffen: "Ich hab mir dann beigemacht und ausse letzte Parteitagsrede von roten Jochen alle Fremdwörters rausgeschrieben, die ich nich verstehen tu. Dascha'n abendfüllendes Programm."
Kunstfigur "Kuddl Schnööf" zieht viele Zuschauer
Ilse Steffen: "Ja, wo waren wir, wir waren in Stuttgart, wir waren bis in die Schweiz, ja, in Zürich, knallevoll überall… das waren… dolle Sachen, nich?"
Der Erfolg ist groß, Kuddl Schnööf-Bücher gehen wie geschnitten Brot, Steffen tritt neben Dieter Hildebrandt im Scheibenwischer auf. 1978 verleiht man ihm den Deutschen Kleinkunstpreis in der Sparte Kabarett. Die Laudatio hält Hanns Dieter Hüsch:
Hanns Dieter Hüsch:
"Mit seiner Kunstfigur Kuddl Schnööf und dessen Familie erklärt Steffen die komplizierten Zusammenhänge der Politik auf raffiniert einfache, hintersinnige Art. Es ist der geglückte Versuch, mit komödiantischen Mitteln, Politik in ihren Konsequenzen dort leibhaftig und sichtbar zu machen, wo sie ertragen wird, und gleichzeitig Alternativen zur Problembewältigung aufzuzeigen."
Aus der Politik zieht sich Steffen nun mehr und mehr zurück.
Prof. Uwe Danker: "Er hat die Rolle des Oppositionsführers '73 dadurch abgegeben, dass er nicht wieder kandidiert hat zum Fraktionsvorsitz, '75 das gleiche beim Landesvorsitz, und dann im Jahr darauf das Ausscheiden aus der Grundwertekommission (und) beim Parteivorstand."
Jochen Steffen - Telefoninterview RIAS 1977:
Interviewer: "Und Sie werden auch wieder zum SPD-Parteivorstand kommen?"
Jochen Steffen: "Nein."
Interviewer: "Werden Sie dann nicht auf eine Spitzenposition in der Partei verzichten wollen?"
Jochen Steffen: "Ja."
Interviewer: "Sie werden also nicht mehr kandidieren für diese Position?"
Jochen Steffen: "Nein."
Interviewer: "Herr Steffen, ich danke ihnen für dieses Gespräch und auf Wiederhören."
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "Nu komms Du!"
1977, zum frühestmöglichen Zeitpunkt, geht er mit 55 Jahren in Pension – was einige Genossen ihm übelnehmen, genauso wie sein Golfspielen und die Interviews für den Playboy. Dennoch bleibt Steffen politisch aktiv. Er trifft sich mit Rudi Dutschke, denkt öffentlich über die Gründung einer Partei links der SPD nach, überlegt, zu den Grünen zu gehen. Dass er nichts davon tut, hängt mit seiner Gesundheit zusammen. 1978 zieht er nach Österreich, um dort in Ruhe zu schreiben. Mitte der 80er-Jahre hört er auch auf, als Publizist und Kabarettist tätig zu sein. Am 27. September 1987 stirbt Jochen Steffen im Städtischen Krankenhaus Kiel, acht Tage nach seinem 65. Geburtstag. Sein Freund, der Schriftsteller Siegfried Lenz, hatte ihn kurz zuvor besucht. Jahre später berichtet er dem NDR-Journalisten Stefan Appelius von dieser letzten Begegnung.
Siegfried Lenz: "Und er fragte mich mit mühsamer, belegter Stimme: 'Woran schreibst Du?' Ich sagte: 'Ich schreibe über Dostojewski.' 'Warum das?' Ich sagte: 'Mich interessiert dieser Mann, ein gläubiger Zweifler, das könntest Du sein, Jochen.' Er kannte Dostojewski ziemlich gut und er fragte mich: 'Was hat Dir den größten Eindruck gemacht bei diesem gläubigen Zweifler?' Und ich sagte das… 'Der Zwiespalt zwischen Wahrheit und Glaube. Wem würdest Du nachgeben?' Und da sagte Jochen ganz bekenntnishaft zu mir: 'Also wenn Du mich fragtest und mich diesem Dilemma aussetztest, zu wählen zwischen Glaube und Wahrheit – ich würde mich immer für die Wahrheit entscheiden, gleichviel, welche Eiseskälte und welche Schrecken sie einem bringen kann.' Das war die letzte Begegnung und ein paar Tage später war er tot."
Jochen Steffen war ein streitbarer Politiker in einer streitbaren Demokratie.
Jochen Steffen - aktuelle Stunden Landtag SH 1971: "Die Freiheit, lesen zu können, was Springer meint, bleibt unangetastet!"
Siegfried Lenz: "Jochen Steffen war von Natur aus aufrichtig. Und diese Aufrichtigkeit wurde ihm, da die Spielarten politischen Paktierens mehr oder weniger erkennen ließen, dass man gut täte, in gewissen Situationen zu schweigen, diese Aufrichtigkeit wurde ihm zum Verhängnis."
Der Fall, dass ein Politiker aussteigt, um hauptberuflich Kabarettist zu werden, ist in Deutschland bis heute einmalig. Dazu der ebenfalls aus Norddeutschland stammende Schriftsteller und Satiriker Dietmar Wischmeyer:
Dietmar Wischmeyer: "Wenn heute Politiker in eine andere Branche wechseln, dann – also sicher nicht ins kabarettistische Fach, sondern zu Gazprom, zu Bilfinger, zur Allianz oder – ganz gewitzt! – zur Bahn, wie das Wesen Pofalla."
Jochen Steffen: "Nu kommstu noch mal!"
Und Siegfried Lenz' Resümee lautete:
Zitat Siegfried Lenz: "Man muss natürlich fragen, was bleibt, was soll bleiben von einem Mann? Große grelle Stichflamme, eine umflorte Erscheinung oder etwas dergleichen? Jochen wäre gar nicht damit einverstanden gewesen. Hin und wieder ein Mann, der sich seiner erinnert."
Jochen Steffen als Kuddl Schnööf: "So Leude, dammit wir hier in den Mief nicht weiter unnötig zusammnsitzen, ne, und ihr euch abarbeitet, gleich die Zugabe, aber denn is Feierabend…"