Der russische Comickünstler Georgy Elaev

"Wir unterdrücken uns selbst"

05:38 Minuten
Der russische Comiczeichner Georgy Elaev auf der Leipziger Buchmesse 2019.
Es sei, als würden sie in einem Foucaultschen Panoptikum leben, mit einem leeren Wachturm darin und die Menschen leben drum herum, so der Comiczeichner Georgy Elaev. © szim/visualdialogues
Von Jule Hoffmann |
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Georgy Elaev ist einer der wenigen Comiczeichner in Russland. In diesem Jahr war er Gast auf dem Leipziger Festival "Millionaires Club" für die alternative Comicszene. Dort erzählte er von der Angst, Zensur und Selbstzensur in seiner Heimat.
Georgy Elaev sitzt auf der Bühne vor einem Laptop und zeigt Fotos von Tjumen: einer Stadt in Sibirien, etwa 2000 Kilometer östlich von Moskau. Georgy ist die Attraktion auf dem diesjährigen Millionaires Club – der Saal ist voll.
Russische Comics sind hierzulande eine Seltenheit. Kaum einer wird übersetzt; und auch sonst gibt es kaum Austausch zwischen russischen und anderen europäischen Comicschaffenden. Der "Millionaires Club" versteht sich als Brückenbauer, genau wie Georgy. Es ist eine kleine deutsch-russische Freundschaft, die hier in Leipzig gefeiert wird.

Comics wurden in der Sowjetunion nicht gefördert

"In Russland haben Comics nicht wirklich eine Geschichte. Ich habe darüber gelesen und Leute gefragt und es scheint, dass Comics in der Sowjetunion als eher minderwertige und vielleicht auch speziell amerikanische Kunstform angesehen wurden. Deshalb wurden sie nicht gefördert."

Chris Rainbow lebt seit neun Jahren in Moskau, wo er einen kleinen Verlag hat.
"Ich meine, jeder beschwert sich über den schlechten Status von Comics in seinem Land, aber in Russland ist es noch schlimmer. Die Kehrseite davon aber ist: Comics in Russland sind ein unbeschriebenes Blatt und wir können die Comicgeschichte dort erst noch begründen."


Diese Freiheit sieht man den russischen Comics an, die beim "Millionaires Club" auf den Tischen liegen: manche knallig grell und abstrakt, andere haben Fotos in die Zeichnungen eingearbeitet.
Grafikarbeiten von "Strane Dizioni" im Rahmen des Festivals "Millionaires Club" in Leipzig.
Grafikarbeiten von "Strane Dizioni" im Rahmen des Festivals "Millionaires Club" in Leipzig.© szim /visualdialogues
Russische Comics scheinen die Regeln des Mediums zu brechen, ohne sie je gekannt zu haben. Da ist zum Beispiel der Comic "Welcome to the next level" von Maria Foot, die sich in wilden kreisrunden Krickeleien auf gelbem Grund aus der Enge des akademischen Zeichnens an der Kunsthochschule befreit hat.
Dank sozialer Medien bekommen die russischen Comics auch im Ausland immer mehr Aufmerksamkeit: 2018 wurde Georgy zur Comic Arts Brooklyn in New York eingeladen. Die Comics für die Reise brachte ihm die Moskauer Druckerei in zwei Taschen direkt an den Flughafen.
"Die Taschen waren schwarz und ich kam nach New York wie ein Handelsreisender. Auf russisch sagt man 'chelnok'. Und ich fühlte mich genau wie ein chelnok."

Mit Comics in Koffern quer durch die russische Provinz

Und das ist Georgy, ein Handelsreisender, auch im eigenen riesigen Land. Mit den Comics in Koffern reiste er bereits quer durch die russische Provinz, durch Städte wie Krasnojarsk, Omsk oder Wladiwostok. Während sich das kulturelle Leben sonst ausschließlich in Moskau und St Petersburg abspielt, versucht er, mit seinem Festival den russischen Osten zu beleben.
In diesem Jahr findet das Festival Ende März auf dem Campus der Universität in Tjumen statt. Als Georgy einen Post veröffentlichte, in dem er die LGBTQ-Community auf dem Festival willkommen hieß, fürchtete die Universität um ihren Ruf. Er musste den Post löschen und eine Liste aller ausländischen Gäste an den Inlandsgeheimdienst rausgeben.
"Es ist, als ob wir im Foucaultschen Panoptikum leben, in der Mitte ist ein leerer Wachturm. Und die Leute leben ihr Leben rund um diesen Wachturm, als ob sie bewacht werden, aber da ist niemand. Wir unterdrücken uns selbst, als ob die Sowjetzeit noch immer Einfluss in Russland hat.
Natürlich gibt es längst eine junge Generation, die etwas in der Gesellschaft verändern will, aber sie haben immer noch Angst, wirklich Neues auszuprobieren. Sie müssen durch die Zensur, und dann müssen sie durch die innere Zensur, das ist der härteste Teil"

Persönliches behalten die Meisten für sich

Während Comics aus Deutschland oder Frankreich oft von persönlichen Geschichten handeln, sind es in Russland vor allem Science-Fiction- oder Fantasy-Erzählungen. Persönliches behalten die Meisten lieber für sich, sagt Georgy. Kaum einer sei außerdem so verrückt, einfach Comics zu zeichnen, ohne dafür mit Geld rechnen zu können.
Vielleicht ist das mit ein Grund dafür, warum die russische Indie-Comicszene so klein ist. Landesweit gibt es mit Boomkniga nur einen größeren Verlag und nur zwei Druckereien, die Risographie anbieten – ein kostengünstiges Druckverfahren, das sich auch für sehr kleine Auflagen lohnt.


Eine wichtige Rolle spielt das Boom Fest in St. Petersburg, das als einziges Festival auch viele europäische und amerikanische Künstler nach Russland holt. Im letzten Jahr musste das Festival allerdings aussetzen, weil es keine Förderung gab. Auch Georgy hat in Sibirien zu kämpfen: viel Papierkram, Vorurteile und Ängste, kaum finanzielle Unterstützung. Aber er hat Erfolg.
Der russische Grafikkünstler Georgy Elaev an seinem Stand auf dem Festival "Millionaires Club" in Leipzig.
Für Georgy Elaev sind Comics der Schlüssel zur Welt. Hier auf dem Festival "Millionaires Club" in Leipzig.© szim/visualdialogues
Aus den USA reisen Ende März Lale Westvind, Thomas Lampion und Ron Rege nach Sibirien. Und hier auf dem "Millionaires Club" hat Georgy jede Menge neuer Kontakte gefunden. Spätestens im nächsten Jahr, hört man viele sagen, wollen sie nach Tjumen reisen. Für Georgy sind Comics in mehr als einer Hinsicht der Schlüssel zur Welt.

"Ich habe meinen Platz in der Welt gefunden"

"Auch wenn es nur Comics sind, eine scheinbar so kleine, bedeutungslose Tätigkeit – für mich hat es funktioniert. Ich meine, ich bin hier, ich habe die Bücher dabei. Es hat mir geholfen und ich glaube, es kann vielen Leuten helfen.
Ich war früher sehr verschlossen, ein ernster Typ, der nicht viel geredet hat. Aber als ich wegen Comics anfing zu reisen und Sachen zu zeichnen, habe ich viele Leute getroffen, die die gleichen Interessen haben, die meine Freunde werden können. Seitdem habe ich das Gefühl, ich habe meinen Platz in der Welt gefunden."
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