Der russische Freund

Von Richard Herzinger |
Gerhard Schröder war ausgelassener Stimmung. Auf dem "Russisch-Deutschen Ball der Wirtschaft, Politik und Kultur" in der prachtvollen russischen Botschaft vorletzte Woche in Berlin ließ der Duzfreund Wladimir Putins und Gazprom-Lobbyist keinen Zweifel daran, dass er sich zu Gast bei seinen allerbesten Freunden wusste.
Mit ihm nutzten prominente deutsche Wirtschaftsführer sowie Stars und Sternchen aus Unterhaltung und Sport die Gelegenheit zu demonstrieren, dass die deutschen Eliten dem großen Russland wegen seiner kriegerischen Aktivitäten im Kaukasus kein bißchen gram sind und Moskau seine neo-imperialen Drohgebärden nicht im Geringsten übel nehmen.

Was im Falle des ungeliebten westlichen Verbündeten USA nicht ohne erbittertste Proteste abgehen würde - ein zynischer Völkerrechtsbruch durch die militärische Intervention in ein kleines Nachbarland und die Defacto-Annektion zweier seiner Provinzen -, wird in großen Teilen der deutschen Gesellschaft als Kavaliersdelikt, wenn nicht mit unterschwelliger bis unverhohlener Sympathie betrachtet. Es blieb dem Top-Model Nadja Auermann vorbehalten, in trivialisierter Form den tieferen kulturhistorischen Grund für das innige Verständnis anklingen zu lassen, das dem autoritären russischen Großmachtgebaren hierzulande entgegengebracht wird. "Ich glaube, dass die Russen eine tiefe Seele haben. Aber wenn sie feiern, sind sie leidenschaftlich", sprach sie anlässlich des rauschenden Festes in Berlin Unter den Linden in die Kameras.

Neben Angst vor und rassistischer Verachtung für die vermeintlich "unzivilisierten" Horden aus dem Riesenreich im Osten prägte seit Jahrhunderten auch Bewunderung für die angeblich unverbrauchte, vom schnöden westlichen Rationalismus und Materialismus nicht angekränkelte Tiefe der russischen Kultur die deutsche Russland-Wahrnehmung. Spätestens seit den Tagen der politischen Romantik Anfang des 19. Jahrhunderts waberte die Vorstellung von einer untergründigen Verbindung zwischen deutschem Geist und russischer Gefühlstiefe durch die deutsche Ideengeschichte.

Thomas Mann sprach in seinen "Betrachtungen eines Unpolitischen" 1918 von einer "Seelenverwandtschaft" zwischen deutscher und russischer Kultur, denn beide widersetzten sich dem "Imperialismus" der westlichen Zivilisation mit ihrem flachen, oberflächlichen Demokratismus und kapitalistischen Händlergeist.

Namentlich die deutsche Rechte träumte stets von einem deutsch-russischen Bündnis gegen die verhassten westlichen, vornehmlich die angelsächsischen Demokratien. In dieser Denktradition schloss die Reichswehr in den zwanziger Jahren ein geheimes Aufrüstungsbündnis mit der jungen Sowjetunion, mit dessen Hilfe die Auflagen des Versailler Vertrages umgangen werden sollten.

Der NS-Vernichtungs- und Versklavungskrieg gegen Russland hat diese Tradition kulturphilosophischer Russophilie im deutschen Nationalismus scheinbar erstickt. In der deutschen extremen Rechten, ja selbst in den Reihen des Nationalsozialismus selbst hielten sich jedoch lange sogenannte nationalbolschewistische Tendenzen, die in der russischen Revolution eine völkische Erhebung gegen den "Ungeist" des Westens und in Lenin das Vorbild eines totalitären nationalen Führers sahen. Bis in die späten zwanziger Jahre hinein hing auch Joseph Goebbels dieser Strömung an.

Unter ganz anderen Vorzeichen und zwar hauptsächlich auf der Linken erlebt der Traum von einer deutsch-russischen Achse heute eine Renaissance (obwohl sich auch die deutsche extreme Rechte aus Amerikahass im russisch-georgischen Konflikt auf die Seite Moskaus geschlagen hat.) Dabei hatte die Linke, unter Federführung von Karl Marx, das russische Reich anfangs als reaktionäre, autoritäre Bedrohung bekämpft. Das änderte sich, jedenfalls für einen Teil der Linken, mit der bolschewistischen Revolution in Russland, das nun zum Leuchtturm antikapitalistischen Fortschritts verklärt wurde.

Die deutsche Sozialdemokratie hielt im Kalten Krieg zunächst standhaft dagegen. Im Verlaufe der Entspannungspolitik jedoch schwand ihre Trennschärfe für den Unterschied der Systeme in dem Maße, wie national motivierte neutralistische Ideen bei ihr die Oberhand gewannen.

Ausgerechnet da Russland in ein autoritäres System zurückfällt und zudem noch einen nackten, wenn auch staatsgelenkten Turbokapitalismus praktiziert, wird es nun wieder zum heimlichen Hoffnungsträger all jener, die in Distanz zum übermächtigen Verbündeten USA und seinem angeblich kulturlosen Materialismus gehen wollen. In der Symbolfigur Gerhard Schröder verschmilzt dabei der Antiamerikanismus der Linken mit dem kulturphilosophisch verbrämten Kalkül der deutschen Wirtschaft, die es sich mit dem lukrativen Geschäftspartner Russland auf keinen Fall verderben will.

Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der "Welt am Sonntag". Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden "Weltwoche" und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung "DIE ZEIT" gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: "Die Tyrannei des Gemeinsinns - ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft" und "Republik ohne Mitte".
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