Der sanfte Scharfzüngige
Er ist Multimillionär, Mäzen und streitbarer Intellektueller: Jan Philipp Reemtsma. Seine Anteile an der väterlichen Zigarettenfabrik verkaufte er. Mit dem Geld baute er unter anderem das Hamburger Institut für Sozialforschung auf. Heute feiert er seinen 60. Geburtstag.
Jan Philipp Reemtsma ist leise und zurückhaltend, fast reserviert. Über sich selbst spricht er nicht so gern. Lieber redet er über seine Arbeit und das von ihm gegründete Hamburger Institut für Sozialforschung. Mehr als 60 Mitarbeiter forschen dort interdisziplinär zu gesellschaftlichen und historischen Themen.
"Es sollte jedenfalls ein interessanter Ort werden - ich glaube, das ist es geworden. Das Institut sollte ein eigenes Profil in der Forschungslandschaft von Deutschland spielen und das ist ihm gelungen."
Jan Philipp Reemtsma wird 1952 in Bonn geboren, als Sohn des schwerreichen Tabakunternehmers Philipp Fürchtegott Reemtsma. Als sein Vater stirbt, ist er sieben. Später studiert er Germanistik und Philosophie - die Welt des Geldadels, Jetset und Luxus interessieren ihn nicht. Als er mit 26 über das väterliche Erbe verfügen kann, verkauft er seine Anteile für 300 Millionen Euro. Wenige Jahre später gründet er das Institut. Es macht Furore mit der Ausstellung: "Verbrechen der Wehrmacht". Sie weist nach, dass Hitlers Generäle in Osteuropa einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung führten und entlarvt den Mythos von der angeblich sauberen Wehrmacht.
"So wie man vor 1995 über dieses Thema geredet hat, wird man nicht wieder darüber reden und was will man mehr, wenn man einen öffentlichen Diskurs beeinflussen will."
Die Ausstellung löst eine heftige öffentliche Debatte aus. Reemtsma und seine Mitarbeiter werden überrascht von der großen Resonanz.
"Ja insgesamt - nicht nur die Abwehr dieser Ausstellung, sondern die Wirkung, die sie überhaupt entfaltet hat - das hatten wir im Haus nicht so vorausgesehen. Aber es kommt, wie es kommt. Am Ende hat sich die These und die Art und Weise, wie wir die These dargestellt haben, durchgesetzt."
Reemtsma gilt vielen als der Prototyp des bürgerlichen Linksintellektuellen. Aber mit solchen Etiketten kann er wenig anfangen. Er schreibt Bücher, brilliert mit geschliffenen Reden und Vorträgen. Er engagiert sich -auch durch den Einsatz seines Vermögens. Noch als Germanistikstudent bietet er dem von ihm verehrten und herzkranken Schriftsteller Arno Schmidt den Gegenwert eines Nobelpreises an: 350.000 Mark:
"Ich hatte irgendwann mal die Idee, das ich Arno Schmidt ein wenig seine Arbeit erleichtern könnte durch finanzielle Zuwendungen; und dann bin ich einmal losgefahren und habe ihn aufgesucht in seinem Wohnort und ihm angeboten, das zu tun - und er hat es nach reiflichem Überlegen angenommen. Alle anderen Gerüchte und Legenden, die sich darum ranken, sind alle falsch- es war `ne unspektakuläre Angelegenheit."
Arno Schmidt war durch den Raubdruck seines Hauptwerks "Zettels Traum" um das Honorar gebracht worden, das ihm erlaubt hätte, hauptberuflich weiterzuschreiben. Für Reemtsma heute wie damals ein Grund, in der Frage des Urheberrechts klar Position zu beziehen:
"Ich halte alle Bestrebungen, diese ja nicht ganz leicht im Laufe des 19. Jahrhunderts errungene Position des Schriftstellers als ein Rechteinhaber, dieses aufzuweichen, für äußerst prekär. Das einzige, was der freie Schriftsteller hat, ist das Recht am eigenen Werk. Er ist materiell darauf angewiesen und er ist angewiesen, weil er derjenige ist der seine Gedanken in die Welt setzt und dann die Kontrolle darüber haben muss, wie sie in der Welt vorkommen."
Auch in der digitalisierten Medienwelt hat sich für Reemtsma daran nichts geändert:
"Alle modernen Argumente, wie dieses Recht bestritten, aufgeweicht werden könnte, sind nicht neu. Was heute diskutiert wird, ist trotz der neuen Medien von hoher Langweiligkeit."
Reemtsma, der sanfte Scharfzüngige. Ein Mann, der Partei ergreift und sich auch selbst zu wehren weiß. Nicht immer nur mit Worten.
Am späten Abend des 25. März 1996 überfallen ihn drei Männer auf seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese. Reemtsma schlägt zurück, wird niedergeschlagen, verletzt, gefesselt und geknebelt. Die Täter hinterlassen einen Brief auf der Gartenmauer, beschwert mit einer Handgranate. Sie verlangen Lösegeld. Zunächst 20, später 30 Millionen D-Mark. 33 Tage lang sitzt Jan Philipp Reemtsma in einem Kellerverlies in einem Haus irgendwo auf dem Land.
"Das hat so `ne doppelte Struktur in der Erinnerung. Einerseits ist es über 15 Jahre her, andererseits ist es anders, als andere Dinge, die auch 15 Jahre her sind. Für mich, wenn ich darüber rede, wenn ich mich daran erinnere, ist es von unmittelbarer Präsenz. Ich kann ihnen alles, was dort vorgekommen ist, sehr genau schildern, als wär´s gestern gewesen."
Es sind Tage voller Todesangst. Zwei Geldübergaben scheitern - erst als Freunde Reemtsmas hinter dem Rücken der Polizei agieren, gelingt die Übergabe. In der Nacht des 26. April 1996 lassen die Entführer ihr Opfer frei. Reemtsma erreicht ein Dorf, in einem Haus brennt noch Licht. Der Besitzer lässt ihn ein, er ruft seine Lebensgefährtin an: Ich bin`s, ich bin frei.
"Natürlich gibt's diese Erleichterung: Tatsächlich, ich hab`s überlebt. Aber vorherrschend ist in einem solchen Moment nicht die Erleichterung, sondern dass sie jetzt mit diesem ganzen Erlebnis dastehen in einer Welt und nicht wissen, wie sie dastehen. Also die Vorstellung, man kommt aus so einer Sache erleichtert, wie neugeboren `raus, frei: Das ist ein Irrtum. Der Druck nach einer solchen Befreiung wird noch einmal größer: Ja das kann man so sagen."
Er hat seine Entführer vor Gericht gebracht. Hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, wie er immer geschrieben hat. Mit seinem Hauptwerk "Vertrauen und Gewalt" legte er ein vielbeachtetes theoretisches Werk vor. Reemtsma kombiniert in seinen Arbeiten verschiedene Ansätze aus Kulturwissenschaften, Soziologie und Philologie. Auch die sogenannte Trivialkultur interessiert ihn. Eines seiner bekanntesten Bücher hat er dem Stil des Boxers Muhammad Ali gewidmet. Heute feiert Jan Philipp Reemtsma seinen 60. Geburtstag. Was treibt ihn an auf seinem intellektuellen Weg?
"Ich muss Sie enttäuschen, das ist nicht spektakulär, was ich zu sagen habe. Ich mache das gerne, was ich tue und ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte. Das kling unbescheiden, soll es aber ganz in Gegenteil sein: Ich kann nix besser als das. Ob ich das gut mache? - Da können wir immer noch sagen, das mache ich nicht besonders gut ... aber ich kann nichts anderes besser."
"Es sollte jedenfalls ein interessanter Ort werden - ich glaube, das ist es geworden. Das Institut sollte ein eigenes Profil in der Forschungslandschaft von Deutschland spielen und das ist ihm gelungen."
Jan Philipp Reemtsma wird 1952 in Bonn geboren, als Sohn des schwerreichen Tabakunternehmers Philipp Fürchtegott Reemtsma. Als sein Vater stirbt, ist er sieben. Später studiert er Germanistik und Philosophie - die Welt des Geldadels, Jetset und Luxus interessieren ihn nicht. Als er mit 26 über das väterliche Erbe verfügen kann, verkauft er seine Anteile für 300 Millionen Euro. Wenige Jahre später gründet er das Institut. Es macht Furore mit der Ausstellung: "Verbrechen der Wehrmacht". Sie weist nach, dass Hitlers Generäle in Osteuropa einen Vernichtungskrieg gegen die Zivilbevölkerung führten und entlarvt den Mythos von der angeblich sauberen Wehrmacht.
"So wie man vor 1995 über dieses Thema geredet hat, wird man nicht wieder darüber reden und was will man mehr, wenn man einen öffentlichen Diskurs beeinflussen will."
Die Ausstellung löst eine heftige öffentliche Debatte aus. Reemtsma und seine Mitarbeiter werden überrascht von der großen Resonanz.
"Ja insgesamt - nicht nur die Abwehr dieser Ausstellung, sondern die Wirkung, die sie überhaupt entfaltet hat - das hatten wir im Haus nicht so vorausgesehen. Aber es kommt, wie es kommt. Am Ende hat sich die These und die Art und Weise, wie wir die These dargestellt haben, durchgesetzt."
Reemtsma gilt vielen als der Prototyp des bürgerlichen Linksintellektuellen. Aber mit solchen Etiketten kann er wenig anfangen. Er schreibt Bücher, brilliert mit geschliffenen Reden und Vorträgen. Er engagiert sich -auch durch den Einsatz seines Vermögens. Noch als Germanistikstudent bietet er dem von ihm verehrten und herzkranken Schriftsteller Arno Schmidt den Gegenwert eines Nobelpreises an: 350.000 Mark:
"Ich hatte irgendwann mal die Idee, das ich Arno Schmidt ein wenig seine Arbeit erleichtern könnte durch finanzielle Zuwendungen; und dann bin ich einmal losgefahren und habe ihn aufgesucht in seinem Wohnort und ihm angeboten, das zu tun - und er hat es nach reiflichem Überlegen angenommen. Alle anderen Gerüchte und Legenden, die sich darum ranken, sind alle falsch- es war `ne unspektakuläre Angelegenheit."
Arno Schmidt war durch den Raubdruck seines Hauptwerks "Zettels Traum" um das Honorar gebracht worden, das ihm erlaubt hätte, hauptberuflich weiterzuschreiben. Für Reemtsma heute wie damals ein Grund, in der Frage des Urheberrechts klar Position zu beziehen:
"Ich halte alle Bestrebungen, diese ja nicht ganz leicht im Laufe des 19. Jahrhunderts errungene Position des Schriftstellers als ein Rechteinhaber, dieses aufzuweichen, für äußerst prekär. Das einzige, was der freie Schriftsteller hat, ist das Recht am eigenen Werk. Er ist materiell darauf angewiesen und er ist angewiesen, weil er derjenige ist der seine Gedanken in die Welt setzt und dann die Kontrolle darüber haben muss, wie sie in der Welt vorkommen."
Auch in der digitalisierten Medienwelt hat sich für Reemtsma daran nichts geändert:
"Alle modernen Argumente, wie dieses Recht bestritten, aufgeweicht werden könnte, sind nicht neu. Was heute diskutiert wird, ist trotz der neuen Medien von hoher Langweiligkeit."
Reemtsma, der sanfte Scharfzüngige. Ein Mann, der Partei ergreift und sich auch selbst zu wehren weiß. Nicht immer nur mit Worten.
Am späten Abend des 25. März 1996 überfallen ihn drei Männer auf seinem Grundstück in Hamburg-Blankenese. Reemtsma schlägt zurück, wird niedergeschlagen, verletzt, gefesselt und geknebelt. Die Täter hinterlassen einen Brief auf der Gartenmauer, beschwert mit einer Handgranate. Sie verlangen Lösegeld. Zunächst 20, später 30 Millionen D-Mark. 33 Tage lang sitzt Jan Philipp Reemtsma in einem Kellerverlies in einem Haus irgendwo auf dem Land.
"Das hat so `ne doppelte Struktur in der Erinnerung. Einerseits ist es über 15 Jahre her, andererseits ist es anders, als andere Dinge, die auch 15 Jahre her sind. Für mich, wenn ich darüber rede, wenn ich mich daran erinnere, ist es von unmittelbarer Präsenz. Ich kann ihnen alles, was dort vorgekommen ist, sehr genau schildern, als wär´s gestern gewesen."
Es sind Tage voller Todesangst. Zwei Geldübergaben scheitern - erst als Freunde Reemtsmas hinter dem Rücken der Polizei agieren, gelingt die Übergabe. In der Nacht des 26. April 1996 lassen die Entführer ihr Opfer frei. Reemtsma erreicht ein Dorf, in einem Haus brennt noch Licht. Der Besitzer lässt ihn ein, er ruft seine Lebensgefährtin an: Ich bin`s, ich bin frei.
"Natürlich gibt's diese Erleichterung: Tatsächlich, ich hab`s überlebt. Aber vorherrschend ist in einem solchen Moment nicht die Erleichterung, sondern dass sie jetzt mit diesem ganzen Erlebnis dastehen in einer Welt und nicht wissen, wie sie dastehen. Also die Vorstellung, man kommt aus so einer Sache erleichtert, wie neugeboren `raus, frei: Das ist ein Irrtum. Der Druck nach einer solchen Befreiung wird noch einmal größer: Ja das kann man so sagen."
Er hat seine Entführer vor Gericht gebracht. Hat ein Buch über seine Erlebnisse geschrieben, wie er immer geschrieben hat. Mit seinem Hauptwerk "Vertrauen und Gewalt" legte er ein vielbeachtetes theoretisches Werk vor. Reemtsma kombiniert in seinen Arbeiten verschiedene Ansätze aus Kulturwissenschaften, Soziologie und Philologie. Auch die sogenannte Trivialkultur interessiert ihn. Eines seiner bekanntesten Bücher hat er dem Stil des Boxers Muhammad Ali gewidmet. Heute feiert Jan Philipp Reemtsma seinen 60. Geburtstag. Was treibt ihn an auf seinem intellektuellen Weg?
"Ich muss Sie enttäuschen, das ist nicht spektakulär, was ich zu sagen habe. Ich mache das gerne, was ich tue und ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte. Das kling unbescheiden, soll es aber ganz in Gegenteil sein: Ich kann nix besser als das. Ob ich das gut mache? - Da können wir immer noch sagen, das mache ich nicht besonders gut ... aber ich kann nichts anderes besser."