"Der Schaden ist groß"
Der Historiker Peter Steinbach kritisiert die Benennung von Arnold Tölg und Hartmut Saenger für den Stiftungsrat der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Er könne die Vorwürfe wegen Geschichtsfälschung und Revisionismus sehr gut nachvollziehen, sagte Steinbach.
Stephan Karkowsky: Bereits am 8. Juli winkte der Bundestag von vielen unbeachtet eine Personalie durch, die erst jetzt größere Beachtung findet. Ernannt wurden Mitglieder und Stellvertreter im Stiftungsrat der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung - gegen die Proteste von Grünen und Linken. Die warfen besonders zwei Stellvertretern aus dem Bund der Vertriebenen Geschichtsfälschung und Revisionismus vor.
Gestern nun hat der Holocaust-Forscher Raphael Groß diese Vorwürfe bestätigt. Groß ist Direktor des Fritz-Bauer-Instituts Frankfurt und Mitglied im wissenschaftlichen Beraterkreis der Bundesregierung für die Stiftung. Wir reden über die Vorwürfe mit dem Mannheimer Historiker Professor Peter Steinbach, dem wissenschaftlichen Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Guten Morgen, Herr Steinbach!
Peter Steinbach: Guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Herr Steinbach, können Sie die Vorwürfe nachvollziehen?
Steinbach: Ich kann die Vorwürfe sehr gut nachvollziehen, wenn ich mir die Positionen der beiden kritisierten Mitglieder des Stiftungsrats anschaue, nämlich Herrn Saenger und Herrn Tölg. Beide übernehmen eigentlich Klischees und Thesen, die vor allen Dingen innerhalb einer rechten Geschichtsbetrachtung gang und gäbe sind. Das eine Argument bezieht sich darauf, dass Deutschland nicht alleine Schuld an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, den die Nationalsozialisten ja ganz bewusst in Szene gesetzt haben, auch um ethnische Flurbereinigung, ethnische Säuberung in Europa einzuleiten. Und zum anderen sind wir im Grunde der Meinung, dass die Verbrechen der Deutschen relativiert werden können durch angebliche Verbrechen der anderen Seite.
Karkowsky: Zum einen also geht es um Hartmut Saenger, Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft (Anmerkung: Im Live-Gespräch bezeichnete der Moderator irrtümlicherweise Herrn Saenger als Autor des Buches "1939. Der Krieg, der viele Väter hatte". Dies ist falsch und daher in der Abschrift des Interviews gestrichen worden). Seine Ansicht, dass Deutschland nicht allein schuld ist am Zweiten Weltkrieg, vertritt er ja schon lange. Was ist jetzt so problematisch daran, dass er als Stellvertreter in den Stiftungsbeirat kommt?
Steinbach: Zu den wirklich gängigen und verbreiteten und akzeptierten Thesen gehört, dass die Nationalsozialisten einen Weltanschauungs- und Rassenkrieg miteinander verknüpft und ganz bewusst inszeniert haben. Saenger interpretiert diesen Krieg eigentlich als einen traditionellen Hegemonialkonflikt, er fragt nach den Positionen der Briten, der Franzosen, der Polen, und bewegt sich eigentlich so wieder genau auf jene Interpretationen zu, die geradezu geeignet sind zu erklären, dass die Vertreibung nach 1945 nicht allein ein Problem der nationalsozialistischen Geschichte war, sondern im Grunde auch viele Väter hatte. Genau das ist ja der Titel von Saengers Buch.
Karkowsky: Und halten Sie das für eine Einzeläußerung oder für eine einmal in diesem Buch geäußerte Äußerung, die er heute nicht mehr wiederholen würde oder meinen Sie, das ist heute seine aktuelle Meinung?
Steinbach: Ich beobachte, dass diese Thesen nun immer breiter vertreten werden. Es gibt da eine rechte Publizistik, die sie pflegt, das ist etwa die "Junge Freiheit", das sind diverse landsmannschaftliche Organe, die diese Thesen vertreten. Brisant werden sie, weil ja gerade die Errichtung des Zentrums Vertreibung so umstritten war, denn diese Vertreibung kann man nur verstehen, wenn man sie in den Kontext der europäischen und insbesondere der deutschen Verbrechensgeschichte rückt. Es ist ja nicht so, dass hier von den europäischen Staaten eine blinde Rache geübt worden ist, sondern die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten ist im Grunde der Endpunkt einer langen Kette.
Und wer diesen Zusammenhang infrage stellt oder vielleicht durch Schuldzuweisung relativiert, der legt meiner Ansicht nach die Axt an die (…) europäisch sogar in Polen akzeptierte Idee, sich mit den europäischen Vertreibungen zu beschäftigen. Es wird im Grunde eine verengte nationalstaatliche Perspektive propagiert, und die ist den Gedanken, integrale Leidensgeschichten im Europa der Diktaturen vor Augen zu führen, nicht nur schädlich, sondern sie verzerrt geradezu Ursache und Wirkung.
Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur Professor Peter Steinbach, den wissenschaftlichen Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Herr Steinbach, die zweite problematische Personalie ist Arnold Tölg, ein fast 76-jähriger schlesischer Vertriebener und CDU-Politiker. Tölg ist BDV-Chef von Baden-Württemberg, also vom Bund der Vertriebenen dort. Was ließe sich gegen Tölg vorbringen?
Steinbach: Ich denke, dass Raphael Groß Recht hat mit den Vorwürfen an Tölg, weil er sagt, im Grunde versucht er, die Gewaltverbrechen, die sich auch in der Vertreibung deutlich sichtbar machen lassen, auf andere Verbrecher oder sogenannte Verbrechen der Alliierten zu beziehen. Das ist das klassische Argument der Relativierer der nationalen Zeit, der nationalsozialistischen Zeit, und insofern ist auch hier wieder genau das festzustellen, was man auch gegen Saenger einbringen kann.
Sie schauen nicht präzise auf das Phänomen der Vertreibung, das ja in sich differenziert ist. Sie fragen nicht, welche Verantwortung die Nationalsozialisten an dem Leiden der Bevölkerung hatten, auch weil sie ja viel zu spät den Befehl oder die Erlaubnis gaben, die bedrohten Ostgebiete durch die frontbedrohten Ostgebiete zu räumen.
Das heißt, sie stellen im Grunde eine reduzierte Kausalität auf und scheinen damit zu bestätigen, was viele Kritiker dieser Vertreibungszentren, dieser Vertreibungsausstellung moniert haben. Hinzu kommt, dass es ja nicht der erste Skandal ist, der im Zusammenhang mit diesem Zentrum diskutiert worden ist. Aus dem wissenschaftlichen Beirat ist die polnische Seite, ist die tschechische Seite, ist Helga Hirsch herausgetreten – übrigens genau mit denselben Argumenten und mit denselben Warnungen, die Raphael Groß jetzt sehr mutig, finde ich, vorgetragen hat.
Karkowsky: Was ist daran mutig?
Steinbach: Ich glaube, dass Raphael Groß erst mal mutig ist, dass er als Leiter des Jüdischen Museums, als Mitverantwortlicher für das Leo-Baeck-Institut in London, überhaupt signalisiert hat – und das gilt übrigens auch für Salomon Korn, der im Stiftungsrat ist –, wir nehmen eure Leidensgeschichte ernst und setzen uns mit ihr auseinander. Und eigentlich müssen sie diese Art Relativierung, die Saenger und Tölg personifizieren, als, ja, im Grunde als einen Schlag gegen ihre eigenen Bemühungen, eine differenzierte integrale Betrachtung der Leidensgeschichten im 20. Jahrhundert ins Auge zu rücken, interpretieren. Also dass sie sich engagieren, halte ich für mutig, aber dass sie jetzt auch ein Zeichen setzen durch ihre Kritik, das ist ganz sicherlich ein Beispiel für wissenschaftliche Courage.
Karkowsky: Nun könnte man auch sagen, die beiden kritisierten Mitglieder des Bundes der Vertriebenen, also Saenger und Tölg, sind ja nur Ersatzspieler. Sie sitzen quasi auf der Ersatzbank, und die eigentlichen Delegierten im Beirat, an denen gibt es, zurzeit zumindest, noch keine Kritik. Ist der Schaden denn dann wirklich so groß, wenn die womöglich auch nie zum Zuge kommen?
Steinbach: Es sind Ersatzleute, und der Schaden ist groß, weil man sich bei der Zusammensetzung dieses Beirats vor Auge führen muss, was eigentlich die Beschäftigung mit der Vertreibung, auch der Deutschen, aus den Ostgebieten für die europäische Geschichte bedeutet. Und da sind ganz viele Zeichen der Unterstützung und der Sympathie auch von polnischer Seite gekommen, das muss man wirklich ganz deutlich sagen, auch gegen alle Kritik, die im Vorspiel um die Besetzung dieses Gremiums mit Erika Steinbach abgelaufen sind.
Es sind viele Zeichen des Verständnisses gekommen, und deshalb kann man im Augenblick wirklich nur warnen vor einer derartig holzschnittartigen Methode, weil ich ganz sicher bin, wenn sich das durchsetzt, wenn sich das publizistisch wieder breit macht in Ostmitteleuropa, in Tschechien, in Polen, dann wird dieser Gedanke außerordentlich schwer zu etablieren sein, und dann hätte diese Nachbesetzung wirklich genauso großen Schaden angerichtet wie die Diskussion um die Besetzung des Beirats oder des Stiftungsrates durch Geschichtspolitiker der Bundesrepublik.
Karkowsky: Nun scheint das Kind ja zunächst mal in den Brunnen gefallen und die Beiratsmitglieder sind vom Bundestag ernannt worden. Was meinen Sie, wie die Bundesregierung nun reagieren müsste?
Steinbach: Na ja, ich glaube, die Entscheidungen sind gefallen, aber damit sind ja die Diskussionen nicht abgeschlossen, und ich denke, man muss wirklich jetzt auch innerhalb des Bundes der Vertriebenen eine Klärung herbeiführen. Das fordert übrigens Raphael Groß auch, weil er sagt, nehmt doch endlich die Geschichte eurer Interessenvertretung in den Blick, fragt nach Kontinuitäten, fragt nach Brüchen, fragt nach Chancen und nehmt dadurch nun wirklich die Differenzierung in den Blick.
Es sind ja nicht alle Vertriebenen Reaktionäre, die also ein vergangenes Geschichtsbild vertreten, sondern viele sind ja wirklich ernsthaft bemüht, ein Verständnis für unterschiedliche Leidensgeschichten, auch für die Leiden der anderen – denn die Vertreibung in Polen begann ja durch den nationalsozialistischen Überfall auf Polen, und damit begann ja ethnische Flurbereinigung –, das ins Auge zu setzen. Also ich kann mir nur vorstellen, dass der Differenzierungsprozess weitergeht, da ist der wissenschaftliche Direktor der Stiftung gefordert. Er muss im Grunde jetzt deutlich machen, dass hier ein nicht allein von geschichtspolitischen Positionen abhängiges Zentrum entsteht, das sich um eine integrale Leidensgeschichte im Europa des 20. Jahrhunderts bemüht, und in diese Geschichte dann auch die Geschichte der Deutschen aus den Ostgebieten einbeziehen.
Karkowsky: Zur Kritik an zwei stellvertretenden Mitgliedern im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung Professor Peter Steinbach, der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Herr Steinbach, Ihnen vielen Dank!
Steinbach: Dankeschön!
Link auf dradio.de:
Steinbach bietet Verzicht auf Stiftungsratssitz an - SPD lehnt Bedingungen der Vertriebenen-Präsidentin ab *
Gestern nun hat der Holocaust-Forscher Raphael Groß diese Vorwürfe bestätigt. Groß ist Direktor des Fritz-Bauer-Instituts Frankfurt und Mitglied im wissenschaftlichen Beraterkreis der Bundesregierung für die Stiftung. Wir reden über die Vorwürfe mit dem Mannheimer Historiker Professor Peter Steinbach, dem wissenschaftlichen Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Guten Morgen, Herr Steinbach!
Peter Steinbach: Guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: Herr Steinbach, können Sie die Vorwürfe nachvollziehen?
Steinbach: Ich kann die Vorwürfe sehr gut nachvollziehen, wenn ich mir die Positionen der beiden kritisierten Mitglieder des Stiftungsrats anschaue, nämlich Herrn Saenger und Herrn Tölg. Beide übernehmen eigentlich Klischees und Thesen, die vor allen Dingen innerhalb einer rechten Geschichtsbetrachtung gang und gäbe sind. Das eine Argument bezieht sich darauf, dass Deutschland nicht alleine Schuld an der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, den die Nationalsozialisten ja ganz bewusst in Szene gesetzt haben, auch um ethnische Flurbereinigung, ethnische Säuberung in Europa einzuleiten. Und zum anderen sind wir im Grunde der Meinung, dass die Verbrechen der Deutschen relativiert werden können durch angebliche Verbrechen der anderen Seite.
Karkowsky: Zum einen also geht es um Hartmut Saenger, Sprecher der Pommerschen Landsmannschaft (Anmerkung: Im Live-Gespräch bezeichnete der Moderator irrtümlicherweise Herrn Saenger als Autor des Buches "1939. Der Krieg, der viele Väter hatte". Dies ist falsch und daher in der Abschrift des Interviews gestrichen worden). Seine Ansicht, dass Deutschland nicht allein schuld ist am Zweiten Weltkrieg, vertritt er ja schon lange. Was ist jetzt so problematisch daran, dass er als Stellvertreter in den Stiftungsbeirat kommt?
Steinbach: Zu den wirklich gängigen und verbreiteten und akzeptierten Thesen gehört, dass die Nationalsozialisten einen Weltanschauungs- und Rassenkrieg miteinander verknüpft und ganz bewusst inszeniert haben. Saenger interpretiert diesen Krieg eigentlich als einen traditionellen Hegemonialkonflikt, er fragt nach den Positionen der Briten, der Franzosen, der Polen, und bewegt sich eigentlich so wieder genau auf jene Interpretationen zu, die geradezu geeignet sind zu erklären, dass die Vertreibung nach 1945 nicht allein ein Problem der nationalsozialistischen Geschichte war, sondern im Grunde auch viele Väter hatte. Genau das ist ja der Titel von Saengers Buch.
Karkowsky: Und halten Sie das für eine Einzeläußerung oder für eine einmal in diesem Buch geäußerte Äußerung, die er heute nicht mehr wiederholen würde oder meinen Sie, das ist heute seine aktuelle Meinung?
Steinbach: Ich beobachte, dass diese Thesen nun immer breiter vertreten werden. Es gibt da eine rechte Publizistik, die sie pflegt, das ist etwa die "Junge Freiheit", das sind diverse landsmannschaftliche Organe, die diese Thesen vertreten. Brisant werden sie, weil ja gerade die Errichtung des Zentrums Vertreibung so umstritten war, denn diese Vertreibung kann man nur verstehen, wenn man sie in den Kontext der europäischen und insbesondere der deutschen Verbrechensgeschichte rückt. Es ist ja nicht so, dass hier von den europäischen Staaten eine blinde Rache geübt worden ist, sondern die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten ist im Grunde der Endpunkt einer langen Kette.
Und wer diesen Zusammenhang infrage stellt oder vielleicht durch Schuldzuweisung relativiert, der legt meiner Ansicht nach die Axt an die (…) europäisch sogar in Polen akzeptierte Idee, sich mit den europäischen Vertreibungen zu beschäftigen. Es wird im Grunde eine verengte nationalstaatliche Perspektive propagiert, und die ist den Gedanken, integrale Leidensgeschichten im Europa der Diktaturen vor Augen zu führen, nicht nur schädlich, sondern sie verzerrt geradezu Ursache und Wirkung.
Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur Professor Peter Steinbach, den wissenschaftlichen Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Herr Steinbach, die zweite problematische Personalie ist Arnold Tölg, ein fast 76-jähriger schlesischer Vertriebener und CDU-Politiker. Tölg ist BDV-Chef von Baden-Württemberg, also vom Bund der Vertriebenen dort. Was ließe sich gegen Tölg vorbringen?
Steinbach: Ich denke, dass Raphael Groß Recht hat mit den Vorwürfen an Tölg, weil er sagt, im Grunde versucht er, die Gewaltverbrechen, die sich auch in der Vertreibung deutlich sichtbar machen lassen, auf andere Verbrecher oder sogenannte Verbrechen der Alliierten zu beziehen. Das ist das klassische Argument der Relativierer der nationalen Zeit, der nationalsozialistischen Zeit, und insofern ist auch hier wieder genau das festzustellen, was man auch gegen Saenger einbringen kann.
Sie schauen nicht präzise auf das Phänomen der Vertreibung, das ja in sich differenziert ist. Sie fragen nicht, welche Verantwortung die Nationalsozialisten an dem Leiden der Bevölkerung hatten, auch weil sie ja viel zu spät den Befehl oder die Erlaubnis gaben, die bedrohten Ostgebiete durch die frontbedrohten Ostgebiete zu räumen.
Das heißt, sie stellen im Grunde eine reduzierte Kausalität auf und scheinen damit zu bestätigen, was viele Kritiker dieser Vertreibungszentren, dieser Vertreibungsausstellung moniert haben. Hinzu kommt, dass es ja nicht der erste Skandal ist, der im Zusammenhang mit diesem Zentrum diskutiert worden ist. Aus dem wissenschaftlichen Beirat ist die polnische Seite, ist die tschechische Seite, ist Helga Hirsch herausgetreten – übrigens genau mit denselben Argumenten und mit denselben Warnungen, die Raphael Groß jetzt sehr mutig, finde ich, vorgetragen hat.
Karkowsky: Was ist daran mutig?
Steinbach: Ich glaube, dass Raphael Groß erst mal mutig ist, dass er als Leiter des Jüdischen Museums, als Mitverantwortlicher für das Leo-Baeck-Institut in London, überhaupt signalisiert hat – und das gilt übrigens auch für Salomon Korn, der im Stiftungsrat ist –, wir nehmen eure Leidensgeschichte ernst und setzen uns mit ihr auseinander. Und eigentlich müssen sie diese Art Relativierung, die Saenger und Tölg personifizieren, als, ja, im Grunde als einen Schlag gegen ihre eigenen Bemühungen, eine differenzierte integrale Betrachtung der Leidensgeschichten im 20. Jahrhundert ins Auge zu rücken, interpretieren. Also dass sie sich engagieren, halte ich für mutig, aber dass sie jetzt auch ein Zeichen setzen durch ihre Kritik, das ist ganz sicherlich ein Beispiel für wissenschaftliche Courage.
Karkowsky: Nun könnte man auch sagen, die beiden kritisierten Mitglieder des Bundes der Vertriebenen, also Saenger und Tölg, sind ja nur Ersatzspieler. Sie sitzen quasi auf der Ersatzbank, und die eigentlichen Delegierten im Beirat, an denen gibt es, zurzeit zumindest, noch keine Kritik. Ist der Schaden denn dann wirklich so groß, wenn die womöglich auch nie zum Zuge kommen?
Steinbach: Es sind Ersatzleute, und der Schaden ist groß, weil man sich bei der Zusammensetzung dieses Beirats vor Auge führen muss, was eigentlich die Beschäftigung mit der Vertreibung, auch der Deutschen, aus den Ostgebieten für die europäische Geschichte bedeutet. Und da sind ganz viele Zeichen der Unterstützung und der Sympathie auch von polnischer Seite gekommen, das muss man wirklich ganz deutlich sagen, auch gegen alle Kritik, die im Vorspiel um die Besetzung dieses Gremiums mit Erika Steinbach abgelaufen sind.
Es sind viele Zeichen des Verständnisses gekommen, und deshalb kann man im Augenblick wirklich nur warnen vor einer derartig holzschnittartigen Methode, weil ich ganz sicher bin, wenn sich das durchsetzt, wenn sich das publizistisch wieder breit macht in Ostmitteleuropa, in Tschechien, in Polen, dann wird dieser Gedanke außerordentlich schwer zu etablieren sein, und dann hätte diese Nachbesetzung wirklich genauso großen Schaden angerichtet wie die Diskussion um die Besetzung des Beirats oder des Stiftungsrates durch Geschichtspolitiker der Bundesrepublik.
Karkowsky: Nun scheint das Kind ja zunächst mal in den Brunnen gefallen und die Beiratsmitglieder sind vom Bundestag ernannt worden. Was meinen Sie, wie die Bundesregierung nun reagieren müsste?
Steinbach: Na ja, ich glaube, die Entscheidungen sind gefallen, aber damit sind ja die Diskussionen nicht abgeschlossen, und ich denke, man muss wirklich jetzt auch innerhalb des Bundes der Vertriebenen eine Klärung herbeiführen. Das fordert übrigens Raphael Groß auch, weil er sagt, nehmt doch endlich die Geschichte eurer Interessenvertretung in den Blick, fragt nach Kontinuitäten, fragt nach Brüchen, fragt nach Chancen und nehmt dadurch nun wirklich die Differenzierung in den Blick.
Es sind ja nicht alle Vertriebenen Reaktionäre, die also ein vergangenes Geschichtsbild vertreten, sondern viele sind ja wirklich ernsthaft bemüht, ein Verständnis für unterschiedliche Leidensgeschichten, auch für die Leiden der anderen – denn die Vertreibung in Polen begann ja durch den nationalsozialistischen Überfall auf Polen, und damit begann ja ethnische Flurbereinigung –, das ins Auge zu setzen. Also ich kann mir nur vorstellen, dass der Differenzierungsprozess weitergeht, da ist der wissenschaftliche Direktor der Stiftung gefordert. Er muss im Grunde jetzt deutlich machen, dass hier ein nicht allein von geschichtspolitischen Positionen abhängiges Zentrum entsteht, das sich um eine integrale Leidensgeschichte im Europa des 20. Jahrhunderts bemüht, und in diese Geschichte dann auch die Geschichte der Deutschen aus den Ostgebieten einbeziehen.
Karkowsky: Zur Kritik an zwei stellvertretenden Mitgliedern im Stiftungsrat der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung Professor Peter Steinbach, der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin. Herr Steinbach, Ihnen vielen Dank!
Steinbach: Dankeschön!
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Steinbach bietet Verzicht auf Stiftungsratssitz an - SPD lehnt Bedingungen der Vertriebenen-Präsidentin ab *