Der Schiri muss weg!

Vier verkrachte russische Existenzen machen sich auf, um einen Schiedsrichter zu töten, weil der schuld daran ist, dass Russland schon wieder nicht die Fußball-EM gewonnen hat - glauben sie. Ein aberwitziger Plan und ein getarnter Urlaub an der türkischen Mittelmeerküste führen zum Ziel und zu allerlei absurd-komischen Situationen.
Wer je ein Herz für den Fußball entwickelt hat, und sei es auch nur zeitweilig, dem wird der Titel dieses Romans sofort einleuchten. Denn für den wahren Fan kommt unweigerlich einer dieser bitteren Momente, da die geliebte Mannschaft "unglücklich" verliert, und oft genug erscheint dieses Unglück in einer sehr konkreten Verkörperung. Nicht zufällig nannte man ihn früher "den Mann in Schwarz", und wenn das heutzutage auch nicht mehr üblich ist, weil die ehedem eintönige Kleiderordnung längst einem bunten Allerlei gewichen ist, so bleibt dieser Figur ihre Rolle als Verursacher allen Fußballfanunglücks doch zwangsläufig erhalten. Und die schmerzende wunde Seele des Fußballfans will irgendwann die Süße der Rache kosten.

Der Witz, einer der Witze dieses Romans, besteht freilich darin, dass die hier versammelten vier Hauptfiguren gar nicht wirklich ihr Herz an den Fußball verloren haben. Was ihnen besonders wehtut, als Russland endlich einmal das Endspiel (!) einer Europameisterschaft erreicht hat, ist die gepeinigte nationale Seele, weil es mit dem Titel wieder nicht klappen will, denn ... genau. Und weil in Russland nie etwas wirklich gelingt, sondern alles immer nur noch ein bisschen schlechter und komplizierter wird, wird das Fußballunglück zur Projektionsfläche für den nationalstolzen Racheplan. Das wird er büßen, der schwarze Mann!

Alle vier sind etwas verkrachte Existenzen, die der wilde russische Kapitalismus nicht eben in die erste Reihe geschleudert hat: der Ich-Erzähler, mit einschlägigen Erfahrungen aus seiner Militärdienstzeit ausgestattet, arbeitet als Scharfschütze in einem Atomkraftwerk in einer Provinzstadt. Scharfschütze im Atomkraftwerk? Genau. Seine Arbeit besteht darin, auf der Lauer zu liegen und darauf zu achten, ob ein Unbefugter auf das Gelände des Kraftwerks gelangt. Und wenn ja ..., was aber offenbar noch nie passiert ist.

Seine Freunde, Pepsi und Hot Dog, arbeiten hauptberuflich als Parkplatzwächter und nebenberuflich als Diebe und Schieber. Einzig Natascha hat sich ein richtiges "Bisnes" aufgebaut. Per Internet betreibt sie eine Agentur für Ehevermittlungen, mit deren Hilfe heiratswillige Russinnen ihren Traummann im Westen finden können oder umgekehrt. Da die Stadt aber eine "verbotene" ist (das Atomkraftwerk!), kommen eh nur Spione dorthin zum Heiraten, was die Agentur auch für den Geheimdienst FSB interessant macht.

Wie sich nun die russischen Underdogs auf die Spur des verhassten Schiedsrichters begeben, dazu einen getarnten Urlaub ("all inclusive") an der türkischen Mittelmeerküste buchen müssen, um schließlich einen aberwitzigen Plan auszutüfteln, wie sie mit einem zerbrochenen Freizeitsport-Bogen in der Sauna den Schiedsrichter zur Strecke bringen können, während sie gleichzeitig in einer Striptease-Vorführung in der Hotel-Bar auftreten, das alles erzählt dieser schräge, überdrehte und reichlich absurde Roman mit sehr viel Sinn für Slapstick, aber durchaus auch mit sensiblen, anrührenden Elementen.

Die Autoren
Die Brüder Oleg (1969) und Wladimir (1974) Presnjakow sind als Söhne russisch-iranischer Eltern in Jekaterinburg im Ural geboren. Sie sind Gründer eines experimentellen Theaterstudios und haben als Dramatiker bereits internationale Erfolge verbuchen können, und zwar mit den Stücken "Fußbodenbelag" und "Terrorismus". Das vorliegende Buch ist der erste Roman der Brüder Presnjakow.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Brüder Presnjakow: Tötet den Schiedsrichter
Roman. Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007.
208 Seiten, 8,95 Euro