Der Schmutz kommt vom Westen

Von Isabella Kolar |
Heute beginnt der Klimagipfel in Kopenhagen, 192 Staaten ringen 11 Tage lange um ein Nachfolgeabkommen für Kyoto. Russland ist der weltweit drittgrößte Emittent von Treibhausgasen. Präsident Medwedjew hat kürzlich angeboten, die CO2-Emissionen bis 2020 um 22 Prozent zu reduzieren.
Sankt Petersburg gilt neben Moskau als eine der am stärksten verschmutzten Städte des Landes mit der schlechtesten Luft. Umweltgruppen wie Greenpeace und Bellona leisten Graswurzelarbeit bei Mülltrennung und Atomkraft. Selbst Gasprom hat die "Energieffizienz" für sich entdeckt.

Igor Babanin wühlt eifrig in der Mülltonne. Den Fotoapparat hat der Leiter des Projektes "Ressourceneffektivität" bei Greenpeace Petersburg dabei immer im Anschlag. Metall, Glas, Plastik gehören in diese gelbe Tonne im verschneiten Hinterhof des Boulevard Novatorov im Südwesten von Sankt Petersburg. Papier, Zeitschriften, Zigarettenschachteln liegen in der benachbarten blauen Tonne. Vor sieben Jahren hat Greenpeace gemeinsam mit einem kommerziellen Müllentsorgungsunternehmen angefangen, getrennte Tonnen aufzustellen, 4000 sind es mittlerweile auf 2000 Plätzen, die halbe Stadt ist damit versorgt.

Igor: "Das ist nicht in Ordnung, es wird zu selten geleert, steht unbequem für die Leute und vor allem, es gibt keine Information. Klar, es gibt Schlimmeres, hier haben die Container wenigstens ein Dach, sie haben nicht gebrannt, aber es gibt keine Information. Die Menschen, die in diesen Häusern hier leben, werden nicht informiert, viele Wissen nichts von diesen Containern, man muß es ihnen sagen."

Deshalb streifen Igor Babanin und seine Truppe unermüdlich bei Wind und Wetter durch die Stadt, informieren die Anwohner und kontrollieren die Tonnen. Ein Beispiel für die Graswurzelarbeit, die Greenpeace Petersburg mit seinen nur fünf hauptamtlichen Mitarbeitern und vielen Freiwilligen leistet. Neun U-Bahn Stationen von hier entfernt sitzt der 24-jährige Ökologe und Greenpeace-Aktivist Georgij Timofeev an einem rechteckigen Holztisch. Der Heizkörper plätschert und der Blick aus dem Fenster trifft auf riesige rostige Ölbehälter, ein leeres Industriegebiet, fernab der Zivilisation. Georgij zuckt mit den Achseln. Etwas anderes können sie sich nicht leisten, Spenden fließen spärlich.

Georgij: "Natürlich gibt es Leute, die glauben, dass es bei uns überhaupt keine ökologischen Probleme gibt und dass das, was wir machen Zeitverschwendung ist. Doch zum Glück sind das die Ausnahmen. Die Mehrheit der Bevölkerung sagt zu uns: ja, in Ordnung, tut was. Sie sind nicht dazu bereit, selber etwas zu tun, doch sie hindern uns nicht am Arbeiten."

Der passionierte Fahrradfahrer Georgij quält sich täglich auch bei Schneematsch durch den Petersburger Straßenverkehr und weiß daher aus eigener Erfahrung: Umweltverschmutzung in der ehemaligen Zarenstadt - das heißt heute vor allem: viele Autos in vielen langen Staus. Die Luft ist schlecht, aus den Auspuffen der Fahrzeuge qualmen dicke Schwaden, alte billige Rostlauben konkurrieren mit schicken Oligarchenschlitten. Anderthalb Millionen Autos gibt es derzeit in Sankt Petersburg bei einer Einwohnerzahl von 4,5 Millionen.

Georgij: "Die Leute kaufen einfach gerne Autos. Sie sehen die Reklame, dass das Auto groß und bequem ist und kaufen es. Wenn sie nicht genug Geld für ein großes Auto haben, kaufen sie ein altes Auto, was die Umwelt noch mehr verschmutzt. Wenn es schlecht funktioniert, reparieren sie es selbst und fahren damit. Das beeinflusst den Zustand der Luft in der Stadt sehr stark. Die Stadtverantwortlichen tun nichts, um die öffentlichen Verkehrsmittel zu fördern. Es wird jedes Jahr schlimmer, denn die Zahl der Autos steigt an und damit auch die Staus. Und die Steuern, die sie zahlen, sind gering."

Zuständig bei der Stadtverwaltung ist Iwan Serebritzky, Leiter des Komittees für Umweltschutz der Stadt Petersburg. Er steht mit wehender Krawatte am Kamenoostrovsky Prospekt mitten in Petersburg und konstatiert, dass 80 Prozent der Luftverschmutzung in seiner Stadt von den Autos und nur 20 Prozent von Betrieben und Industrie herrühren. Und eines ist für den eleganten schlanken Herrn im Jacket inmitten der braunen Abgasschwaden ganz klar: die Petersburger Luft ist gut und wenn sie nicht gut ist, dann liegt das an den Winden vom Westen:

Iwan: "Im Moment ist die Qualität der Luft in Sankt Petersburg ziemlich gut. Es gibt keine Erhöhung der elementaren Verschmutzungs-Komponenten wie Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid und Ozon. Nicht wir sind die Verschmutzer. Allgemein kommt vor allem bei Stickoxid die Verschmutzung in Russland aus Europa und nicht umgekehrt. Und das in bedeutendem Umfang."

Im Westen die Verschmutzer und im Osten die angeblich effektivsten Umweltschützer – diese sowjetnostalgische Theorie würde vermutlich auch den Herren in Anzug und Krawatte in der Petersburger Zentrale des kremlnahen Energieriesen Gasprom gefallen. Der ist bisher eher macht - als umweltpolitisch aufgefallen .

Doch auch hier hat man begriffen, dass Energiesparen gleich Geldsparen gleich mehr Profit und Imagegewinn ist und leistet sich daher seit fünf Jahren eine eigene Umweltabteilung. Gasprom-Generaldirektor Sergej Gustow fährt in seinem Büro eine Fülle von Vorher-Nachher-Schautafeln auf: darauf kontrastieren lächelnde Menschen in sonnendurchfluteten Wohnzimmern wirkungsvoll mit zitternden im grauen Keller. Gustow ist der Herrscher über 578.000 Kilometer Gasprom-Leitungen durch Russland. Gleichzeitig ist er Leiter von Gasprom Sankt Petersburg, seit fünf Jahren zuständig für die Wärmeversorgung von drei Bezirken der Stadt. Gustows Lieblingswort dabei: Energieeffektivität:

Gustow: "Wir haben das System der Wärmeversorgung komplett rekonstruiert, die alten Röhren gegen energieeffiziente neue ausgetauscht, wir haben das Wärmenetzwerk ausgetauscht, wir haben die Quellen dezentralisiert, die Effektivität beträgt jetzt 93 Prozent, und wir haben keinen Energieverlust in diesen Netzwerken."

Pro Jahr und pro Bezirk bedeutet das eine Ersparnis von 21 Millionen Kubikmeter Gas bzw. in Barem über eine Million Euro. Gustows Augen leuchten. Gasprom macht derzeit in der Stadt an der Newa allerdings nicht mit Energiesparen sondern mit einem geplanten Wolkenkratzer von 406 Metern Schlagzeilen, der alle bisher erlaubten Höhenparameter der Stadt sprengt. Das in Form einer Fackel geplante Ochta-Zentrum soll auch Fitnessräume und Kinos beinhalten und am Rande der Sankt Petersburger Innenstadt gebaut werden.

Gustow: "Ich bin absolut für den Bau dieses Komplexes. Dieser Bezirk muss natürlich noch entwickelt werden. Ich glaube, dass die Errichtung des Ochta-Zentrums der Weiterentwicklung der Zone jenseits des Flusses dient. Ich glaube, dass da ein gutes Modell ausgewählt wurde, das zu einer neuen architektonischen Dominante von Petersburg werden wird."

Was dem einen eine architektonische Dominante, das dem anderen eine ökologische Pleite: Nikolaj Rybakow, Petersburger Direktor der Umweltschutzorganisation Bellona, steuert seinen roten Kleinwagen mit dem eingedellten Heck vorsichtig durch den dichten Verkehr auf der Newa-Brücke. Sein anklagender ausgestreckter Finger zeigt auf die Stelle, wo hier an der Ecke der Gasprom-Tower entstehen soll. Angesichts des drohenden Verkehrsinfarkts auch ohne und erst recht mit einer Großbaustelle an diesem Nadelöhr der Stadt sieht Rybakow darin auch ein Umweltproblem. Er hofft, dass der Turm nie gebaut wird, kämpft vor Gericht dagegen.

Zehn Minuten Luftlinie entfernt, eine halbe Stunde später, der Journalist Aleksandr Schurschew bespricht mit Nikolaj Rybakow in dem schmalen Büro mit Hinterhofblick den Online-Auftritt von Bellona für den Klimagipfel in Kopenhagen. Sie beugen sich konzentriert über Rybakows Laptop: Wie lang sollen die Texte sein? Wie schnell muss die Seite aktualisiert werden? Woher die Fotos nehmen? Bellona hat als internationale unabhängige NGO fünf Büros weltweit, zwei davon in Russland, in Petersburg und Murmansk, die Zentrale sitzt in Oslo.

Beim Klimagipfel in Kopenhagen hat Bellona als einzige NGO einen eigenen Pavillon, der als Treffpunkt der russischen NGOs dient. Der 30-jährige strohblonde Rybakow ist seit einem Jahr im Amt als Chef von 18 Petersburger Mitarbeitern im Alter von 20 bis 70 Jahren.

Rybakow: "Ich glaube schon, dass die Russen umweltbewusst sind, weil sich gerade jetzt viele Jugendliche darum bemühen, ökologischer zu leben und an Umweltaktionen teilnehmen viel mehr als an politischen Aktionen. Mir scheint, dass die Frage nach dem Erhalt der Umwelt und ihre Wiederherstellung nach allem, was der Mensch mit ihr gemacht hat, die wichtigste Frage ist, die es für den Menschen derzeit auf der Welt geben kann."

Ein besonderer Focus von Bellona liegt auf Atomkraft und Atommüllentsorgung. Das gefällt nicht jedem.

Rybakow: "Natürlich versuchen die Regierenden uns auf jeder beliebigen Ebene zu stören. So wollten wir zum Beispiel eine unabhängige Untersuchung in Auftrag geben zum Bau des neuen Blocks des Atomkraftwerks vor den Toren Sankt Petersburgs. Das wurde uns verwehrt mit der Begründung, das sei ein Staatsgeheimnis. Was überhaupt nicht stimmt und der Fall liegt jetzt beim Europäischen Gerichtshof. Natürlich freut es hier niemanden, dass Bellona eine Organisation ist, die einen unabhängigen Ansatz hat bei den Fragen, die wir für wichtig halten."

Die professionellen russischen Umweltschützer haben in den letzten Wochen im Vorfeld des Klimagipfels von Kopenhagen mit Skepsis die ständig neuen Stellungnahmen von Präsident Medwedjew und Premier Putin verfolgt. Zuletzt erklärte Medwedjew vor knapp drei Wochen beim EU-Russland-Gipfel in Stockholm, Russland wolle den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase bis 2020 deutlich reduzieren. Er schlug vor, die CO2-Emissionen in den kommenden elf Jahren um 20 bis 25 Prozent zu senken. Bisher hatte Moskau zugesichert, den Treibhausgas-Ausstoß um 15 Prozent zu senken. Keine Idee, die Rybakow überzeugt, denn Russland müsse nicht viel dafür leisten:

Rybakow: "Russland hat das Kyoto-Protokoll unterzeichnet, weil es für das eigene Land keinerlei Beschränkungen bedeutete: Die Wirtschaft ist gemeinsam mit der Sowjetunion zusammengebrochen, der Treibhausgas-Ausstoß ist dadurch automatisch stark zurückgegangen. Russland hat schon beim Unterzeichnen gewusst, dass es die Auflagen früher erfüllt, deshalb ging das ganz friedlich. Auf der einen Seite erklären wir, dass wir ein mächtiger Staat sind, auf der anderen Seite wollen wir die entsprechenden Verpflichtungen nicht übernehmen. Die Größe eines Landes bedeutet auch gewisse negative Pflichten, zu denen wir stehen müssen."

Das Hotel Kristovskij Ostrov im Nordwesten von Sankt Petersburg, ein hufeisenförmiger Holztisch umrahmt von viereckigen weißen Säulen, an der Frontseite eine Leinwand. Männer und Frauen jeden Alters begrüßen und unterhalten sich, wühlen in Papieren und Aktentaschen, suchen nach Sitzgelegenheiten. Vertreter von russischen, weißrussischen und ukrainischen NGOs sind zu diesem dreitägigen Umweltkongress zusammengekommen, um aus Anlass des Klimagipfels von Kopenhagen ihre Forderungen an die russische Regierung zu formulieren. Eduard Podgajskij vom baltischen ökologischen Forum sitzt am Fenster, sortiert seine Blätter:

Podgajskij: "Mich interessiert das Thema Klimawandel und ich will die Position Russlands und unsere Möglichkeiten darauf Einfluß zu nehmen verstehen. Ich will wissen, wohin die Reise geht. Unsere Aufgabe hier ist es, zu versuchen, eine Entscheidung zu beeinflussen, damit keine Deklarationen sondern gesetzlich verpflichtende Mechanismen verabschiedet werden."

Vladimir Tschuprow, der Leiter des Energieprogramms von Greenpeace Russland aus Moskau, steht daneben und hört skeptisch zu:

"Die Krise ist ein Beweis dafür, dass man sich mit Ökologie beschäftigen muß, in diesem Fall mit dem Einsparen von Ressourcen. Selbst Medwedjew hat ja gesagt, dass die Krise ein Ansporn für die Modernisierung unseres Landes ist. Denn aus der Krise kommen nur die Länder heil heraus, die ökologisch und energetisch effektiv wirtschaften. Bisher gehört Russland nicht zu diesen Ländern und es tut bislang auch nichts dafür, um sich in diese Richtung zu bewegen."

Draußen vor dem Konferenz-Hotel fließt die Newa gemächlich vorbei. 80.000 Tonnen Schmutzwasser werden pro Jahr in den Fluß geleitet. Doch als Greenpeace vor einem Monat an einer Schnittstelle Proben nehmen wollte, sagte die Stadtverwaltung von Sankt Petersburg "NJET". Das sei nicht von öffentlichem Interesse.