Der "schnellste Maler der Welt"

Von Georg Gruber · 05.05.2006
Jim Avignon ist vieles in einer Person: Pop-Art-Künstler, Partyveranstalter und Musiker. In den 90er Jahren wurde er vom Undergroundkünstler zum Star, er entwarf eine Swatchuhr und bemalte ein Flugzeug. Bekannt wurde er auch durch sein Konzept: Kunst soll für alle erschwinglich sein. Er selbst nennt sich gerne der "schnellste Maler der Welt".
Der Sound ist schlecht, sehr schlecht. Die Stimmung: gut - und doch auch leicht melancholisch. Denn er geht. Jim Avignon, der "Andy Warhol des zeitgenössischen Berlins", wie ihn eine britische Zeitschrift nannte, verlässt die Stadt. Noch einmal hat er geladen: In die "Galerie Tristesse" zur Record-Release-Party von "scratchbook" seiner inzwischen achten CD. Die Galerie ist voll, man kennt sich, trinkt Bier aus der Flasche. Die Luft wird immer dünner.

Jim Avignon singt, ist eins mit seinen kleinen Melodien. Vom Aussehen erinnert er ein bisschen an Phil Collins: kurze, lichte Haare, hohe Stirn. Wache Augen, lebendig.
Der schlechte Sound passt zum Konzept: nur nicht zu perfekt. Seine Stücke sind Skizzen, am Computer und auf billigen Keybords entstanden, 26 sind auf der neuen CD, dazu ein 100-seitiges Booklet, mit Bildern und Zeichnungen.

Auch an den Wänden hängen Bilder, die er gemalt hat, Pop-Art, bunt, ironisch, skurril. "Große Gefühle, kleines Budget" heißt eines, bei dem ein hasenähnliches Wesen einen Hang aus blauem Schnee herunter rutscht. Die Preise: ab 20 Euro, er könnte mehr verlangen - das will er aber nicht. Kunst soll für alle erschwinglich sein und nicht in teuren Galerien oder Museen verstauben:

"Ich hab das Gefühl, als Künstler produziere ich eins zu eins für ein Publikum, das die Bilder aufhängen, weil sie die Bilder mögen und nicht weil sie kalkulieren, das könnten ne Anlage sein oder weil sie damit repräsentieren wollen, sondern die Bilder landen in irgendwelchen Schlaf- und Wohnzimmern, weil die Leute die Bilder mögen – und so soll 's auch sein."

Die Regeln des Kunstmarktes haben ihn noch nie interessiert, nur wenn es galt, mit ihnen zu spielen oder sie zu brechen.
Geboren ist der - wie er sich selbst nennt - "schnellste Maler der Welt", 1965 in München, aufgewachsen in der Nähe von Karlsruhe, die Mutter Deutschlehrerin, der Vater Physikprofessor.

"Beide auch ziemlich überrascht über meine Neigung, mich auf Bühnen dieser Welt zu produzieren, mich überhaupt künstlerisch zu äußern."

Er ist Autodidakt, auf keine Akademie gegangen. 1987 verkauft er seine ersten Bilder, in einer Bar in Köln – nachdem keine Galerie sie haben wollte.

"Ich hab dann Ende der 80er ein System mit vier, fünf Cafes und Clubs in Deutschland entwickelt, in München, in Hamburg, in Köln und hab dann meine Bilder immer rotieren lassen und verkauft, davon konnte ich bis Anfang der 90er ganz gut leben, dann bin ich 89 nach Berlin gezogen, und quasi in die Techno-Subkultur-Clubwelt abgetaucht."

Berlin ist nach dem Mauerfall ein großer Abenteuerspielplatz: Illegale Clubs, Partys, erste Kontakte und Ausstellungen mit Künstlern aus dem Ostteil. Eine besondere Zeit, heute schon Mythos. Vergangenheit. Vorbei.

"Jeder war sowohl teilnehmender Künstler als auch Publikum, also alle Beteiligten haben einen riesengroßen Zirkus für sich selber gemacht und zahlungskräftiges Publikum blieb außen vor und das hat sich einfach Ende der 90er geändert, in dem die ganzen Plattenfirmen, die ganzen neuen Medienfirmen nach Berlin gezogen sind."

Jim Avignon macht in den 90er Jahren Karriere.

"95/96 gab 's eine Zeit, da hab ich für vier Zigarettenfirmen gleichzeitig das artwork gemacht, was schon absurd war."

Die Industrie will teilhaben am hippen Techno-Underground-Image: Er designed eine Swatchuhr, bemalt einen Rover und sogar ein Flugzeug mit seinen bunten Figuren und Zeichen.

"Ich hab sehr viel von dem Geld, das ich verdient habe, auch wieder für sehr viel Quatsch ausgegeben, ich hab mehrere Plattenlabel finanziert, die dann auch alle bankrott gegangen sind, ich hab eine Europatour gemacht, da hatte ich in verschiedenen Städten ganze Hotels gemietet und die Bilder dort ausgestellt und die Bilder dort in kleine Teile zerschnitten, also es war eine sehr autodestruktive Sache, aber letztendlich, ich will mal nicht sagen, dass ich mich selbst bestrafen wollte, aber im Grunde hab ich gemerkt, dass ich mit diesem Geld irgendwie nicht klar komme und dass ich es wieder loswerden möchte."

Ende 96 hat er keine Lust mehr zu malen und fängt an Musik zu machen, mit einer Orgel, die er sich im Baumarkt gekauft hat.

"Seitdem ist das im Wechselrhythmus, wenn ich mich drei vier Monate hauptsächlich mit Kunst beschäftigt hab, dann ist da irgendwie auch die Luft raus, dann kann wieder ein bisschen Musik kommen und umgekehrt."

Als Musiker nennt er sich Neoangin, spielt in Spanien, Frankreich, viel in Russland. Er ist immer unterwegs, lebenshungrig, rastlos.
Auch in New York wird er wirbeln, Musik machen, Partys mit Exil-Russen in Brooklyn veranstalten, seine Bilder ausstellen. Die Stadt entdecken, mitmischen, ja,

"Aber nicht so: hier bin ich und ich drück euch jetzt meinen Stempel auf, und muss allen beweisen, was ich kann, aus dem Alter bin ich draußen."

Seine neue Platte sei, so sagt er selbst, eine Art vertonte Midlife-Crisis. Darauf singt er auch von einem Mädchen, das Diamanten weint, und deshalb von seinen Freunden immer zum Weinen gebracht wird, weil sie am Reichtum teilhaben wollen.

"Die Frage, die sich mir stellt, ist eben nach Sinn und Zweck dieser ewigen Erneuerung, macht man es wirklich, weil man sich erneuern will oder macht man es, weil es einen Zwang gibt, weil man sonst uninteressant wird."