Der Schnittmeister

Von Silke Lahmann-Lammert · 03.02.2009
Wenn am Ende eines Films von Fatih Akin der Abspann über die Leinwand läuft, kann man sicher sein, dass sein Name dabei ist: Andrew Bird. Seit "Kurz und Schmerzlos" hat der Brite mit Wohnsitz in Hamburg alle Spielfilme von Fatih Akin geschnitten. Zurzeit arbeitet er an "Soul Kitchen" – der neuen Komödie des deutschtürkischen Regisseurs.
Filmzitat Snake:
"Was wollt ihr drei Spinner?"

Floyd, Rico und Walter treten gegen den Zocker Snake im Tischfußball an. Es geht ums Ganze:

Filmzitat Walter:
"Das ist der Schlüssel zu ’nem 74er Granada GLX-Coupé von Ford. Der Wagen ist von mir mit `nem australischen V8-Fünf-Liter-Motor ausgestattet worden. Er ist damit das beschleunigungsstärkste Aggregat, das auf Hamburgs Straßen als PKW unterwegs ist."

Was dann folgt, ist das aufregendste Kickermatch der Filmgeschichte: Das hölzerne Fußballfeld aus der Vogelperspektive. Snakes Pokerface. Die angespannten Gesichter seiner Gegenspieler. Schweißtropfen. Zuckende Mundwinkel. Und immer wieder die schmutzigweiße Kugel, die sich zwischen den Figuren ihren Weg ins Tor bahnt.

Bird: "Das ist unglaublich, wie viele junge Männer, wenn die erfahren, dass ich diesen Film geschnitten habe, kommen die dann auf mich zu und sagen: Ey, das ist einer meiner Lieblingsfilme! Ich liebe diesen Film wirklich über alles."

Andrew Bird ist 52. Ein Mann von kleiner Statur, mit wenigen, stoppelkurzen Haaren. Zum Film kam der Brite erst spät. Nach einer Kindheit in einfachen Verhältnissen - sein Vater besaß einen Pub - studierte Bird in seiner Heimatstadt London Germanistik.

Bird: "”Ich bin nach meinem Studium dann hierher gekommen. Mit `nem Stipendium. Und bin hier in Hamburg dann hängen geblieben.""

Wegen einer Liebesgeschichte, die längst Schnee von gestern ist. Jahrelang verdiente er sein Geld als Übersetzer.

Bird: "”Ich hatte das Gefühl, ich bleib da stehen, wenn ich das zu lange mache. Zum Film gekommen bin ich durch die eigenen Super-8-Filme, die ich gemacht habe, da hab ich alles gemacht: Kamera, Schnitt, auch selber mitgespielt.""

Andrew Bird war Anfang 30, als er sich entschloss – ja was eigentlich? – zu werden.

Bird: "”Neuerdings nennt man sich – glaube ich – einfach Filmeditor. Ich sage einfach: Ich schneide Filme.""

Das Handwerk lernte er als Schnittassistent und sammelte anschließend erste Erfahrungen bei Low Budget Projekten. Mitte der Neunzigerjahre machte der Produzent Ralph Schwingel ihn mit Fatih Akin bekannt, der damals einen Cutter für seinen Kurzfilm "Sensin – du bist es!" suchte.

Bird: "”Wir haben uns wunderbar verstanden bei diesem Kurzfilm und seitdem arbeiten wir auch zusammen.""

Im Schneideraum sitzt Andrew Bird vor riesigen Flachbildschirmen. Per Mouseklick fährt er eine Szene aus Fatih Akins gerade abgedrehter Komödie "Soul Kitchen" ab: Protagonist Zinos und seine Kumpels wollen sich – nicht ganz legal - den Vertrag über Zinos Restaurant zurückholen. Denn sein Bruder hat den Laden verzockt.

Bird: "”Die müssen da in zwei Gebäude einbrechen, jetzt überlegen sie, wo zuerst.""

Filmzitat: "”Wollen wir nich erst zu Neuman fahren? Warte mal zwei Sekunden, wollen wir nicht erst zum Notar? Ey samma, is das nich oberscheißkackegal, wo wir zuerst einbrechen?"".

Vier Versionen gibt es von der Diskussion im Lieferwagen.

Bird: "”Manchmal sind das echte Feinheiten, nach denen man aussucht, welcher Take jetzt der Beste ist. Also ich hab jetzt nur mal ’nen bisschen nach dem Tempo, nach der Energie, auch nach dem Bild, wann wer wo zu sehen ist. Und wer dann im lustigsten ist hier in diesem Fall.""

Wie viel Einfluss hat der Filmeditor auf das Gesamtwerk?

Bird: "”Oh! Nen Rieseneinfluss. Das muss ich wahrscheinlich auch sagen. Viel passiert im Drehbuch, viel passiert am Set. Man kann aber dann immer noch alles umändern. Hier im Schneideraum wird alles dann so festgelegt, wie der Film dann später in die Welt geht.""

Das beste Beispiel dafür ist Fatih Akins Epos "Auf der anderen Seite". Als der Regisseur den fertig geschnittenen Film seinen Freunden vorführte, reagierten die verwirrt auf die verschachtelte Erzählstruktur. Daraufhin begannen Akin und Bird noch mal von vorn und schufen im Schneideraum eine völlig neue Version des Dramas:

Bird: "”Die Figuren sind die Gleichen, die Dialoge sind die gleichen, aber die Struktur des Ganzen ist komplett anders als es im Drehbuch vorgesehen war.""

Obwohl sie immensen Anteil an der künstlerischen Gestaltung haben, werden Cutter wie Andrew Bird vom Kinopublikum kaum wahrgenommen.

Bird: "”Ich glaube, dass Filmeditoren in der Regel Menschen sind, die sich nicht ins Rampenlicht drängen. Ich finde es sehr angenehm, alleine vor mich hinzufummeln den ganzen Tag. Aber ich find’s nen bisschen schade, dass der Beruf so wenig Anerkennung findet im Großen und Ganzen.""

Zumindest in Filmkreisen würdigt man seine Verdienste. Im vergangenen Jahr bekam Bird für "Auf der anderen Seite" den Deutschen Filmpreis in der Kategorie "bester Schnitt". Schon lange kann er sich seine Aufträge aussuchen. Allerdings ist die Arbeit nicht immer leicht mit seinen Aufgaben als Vater zu vereinbaren. Er lebe, sagt Bird, in "komplizierten Verhältnissen": Zwei Kinder aus zwei verflossenen Beziehungen. Mehr möchte er nicht erzählen. Und eine Freundin gebe es auch.

Trotzdem hat Bird sich schon wieder neue Ziele gesteckt: Er will einen eigenen Spielfilm drehen. Als Autor, Regisseur und Cutter. Und vielleicht muss der Brite - der ungeachtet aller Höflichkeit den Eindruck vermittelt, in ein Mikrofon zu sprechen, bereite ihm Qualen - dann doch noch lernen, im Rampenlicht zu stehen.