Der Schrecken des schwarzen Kontinents
Mehrfach ist Denis Johnson im Auftrag großer Magazine unterwegs gewesen. In dem Band "In der Hölle" berichtet der amerikanische Lyriker und Erzähler von mehreren Reisen durch Afrikas Krisengebiete, hinein in das schon von Joseph Conrad beschworene "Herz der Finsternis". Für die Leser hat sich das wiederholte Wagnis gelohnt: Das Schreckliche, das er gesehen und gehört, verwandelte der Schriftsteller in lakonische Prosastücke von rauer Anmut und Klarheit.
Denis Johnson, geboren 1949 als Sohn eines US-Offiziers in München, ging in jungen Jahren einen Weg, über den er als Lyriker und Erzähler später immer wieder schreiben sollte. Er war ganz unten, ein Trinker, ein Junkie, mehrfach Patient in psychiatrischen Kliniken. 1978 - der Dichter versuchte eben, clean zu werden - will er Gottes Gegenwart gespürt haben: den Herrn, der dem Sünder Johnson vergibt. Heute führt der Autor in Idaho ein bürgerliches Leben mit Haus, Familie, gutem Einkommen.
Doch in seinem Werk, in vielen Bänden mit Prosa und Poesie, berichtet er beharrlich von jenem anderen Universum, von verlorenen Seelen in apokalyptischen Landschaften. Ausgestoßene und Auferstandene sind seine Figuren, Spinner und Säufer, Kranke und Killer. Sie leben in der Unterwelt der Verdammten, sie warten (wie einst ihr Schöpfer D.J.) auf Erlösung, Erlösung durch den Herrn dort oben, doch sie ahnen: Sie warten vergebens. So grotesk und abstoßend Johnsons Stoffe häufig sind, so hell und fein ist sein Stil. In den USA gehören Philip Roth und Don DeLillo zu den Verehrern des Autors; deutsche Kritiker nannten seine Bücher (etwa die Story-Sammlung "Jesus’ Sohn") "wahnwitzig gut" und "schrecklich schön".
Mehrfach ist Denis Johnson im Auftrag großer Magazine unterwegs gewesen. Für die Zeitschrift "The New Yorker" reiste er durch Afrikas Krisengebiete, hinein in das schon von Joseph Conrad beschworene "Herz der Finsternis". Es waren für beide Seiten, Redaktion und Reporter, gewagte Experimente: ein Ex-Junkie, ein eher labiler Typ als Kriegsberichterstatter...
Bei diesen Fahrten glaubte Johnson, in die Hölle zurückzukehren. Erneut sah er Zugedröhnte und Durchgeknallte, verzweifelt Hoffende und hoffnungslos Verzweifelte, reuelose Mörder, vom Wahn gezeichnet – nur hatte das Grauen plötzlich eine ganz neue Dimension. Bibellektüre konnte ihn diesmal nicht trösten, denn, notierte er, "im Augenblick lebe ich selbst in der Welt der Bibel – einer Welt der Krüppel und Monster".
Der Reisende, nach Selbstauskunft "ein verwirrter Mann", fühlte sich fehl am Platz, er empfand das Aberwitzige, auch das Zynische seiner Mission. "...die Blutspuren im Gras sahen aus, als wären geschlachtete Schweine über den Rasen gezerrt worden. Ein paar Dutzend Leute beobachteten mich die ganze Zeit, während ich so tat, als hätte ich irgend etwas zu untersuchen, und auf meinen Notizblock schrieb: ‚Und ich bin der Idiot, der mit Zettel und Stift durch die Gegend läuft, und es gibt nichts, nichts, nichts anderes, was ich tun kann.’"
Traumatisiert kehrte Denis Johnson aus den Abgründen der Dritten Welt zurück. Für die Leser aber hat sich das wiederholte Wagnis gelohnt: Das Schreckliche, das er gesehen und gehört, verwandelte der Schriftsteller in lakonische Prosastücke von rauer Anmut und Klarheit. Der Berliner Tropen-Verlag hat die drei aufrüttelnden Berichte nun in einem schmalen Band vorgelegt.
"Bürgerkrieg in der Hölle", ein klassisch journalistischer Text vom September 1990, bietet Momentaufnahmen aus Liberia nach dem Ende schwerer Unruhen. Bei einer Pressekonferenz erlebt der Amerikaner einen Bandenführer – unter makabren Umständen. Als die Reporter in dessen Hauptquartier kommen, singt der Aufrührer mit eigener Reggae-Band gerade "Rivers of Babylon". "Die Männer um ihn herum klatschen, wiegen sich im Takt und singen fünfstimmig mit." Wenig später zeigt der Rebellenchef den Gästen auf Video, wie er dem gestürzten Staatspräsidenten bei der Folter die Ohren abschneiden ließ.
In "Ein Anarchisten-Führer durch Somalia" (entstanden 1995) beschreibt Johnson eine alptraumhafte Fahrt mit einem Offizier jenes Clanführers, der zwei Jahre zuvor 23 pakistanische UN-Soldaten ermorden ließ. Von sich selbst erzählt der Autor hier bisweilen ironisch in der dritten Person. "Der Amerikaner, eine Art Schriftsteller, gibt sich im Moment für einen deutschen Brunnenmechaniker aus. Die Somalier mögen Wasser, und sie mögen die Deutschen. Sehr viel lieber als die Amerikaner jedenfalls."
"Die Kindergarde", der längste, literarisch stärkste und eindrücklichste Report der kleinen Sammlung, führt Autor und Leser noch einmal nach Liberia. Johnson will 1992 den selbsternannten Präsidenten Charles Taylor treffen, einen besonders grausamen Warlord, genannt "Charles, der Schlächter". Taylor gibt ein Interview und lässt einen Gefangenen vorführen; Johnson erinnert sich: "Sein Gesicht und sein Kopf waren voll blutiger Schrunden und eiternder Fleischwunden..." Was der Reporter damals noch nicht wissen kann: Taylor soll für Kriegsverbrechen mit Hunderttausenden Toten verantwortlich sein; im Frühjahr 2006 wird ein Prozess gegen ihn beginnen.
Als Schriftsteller ist Denis Johnson nach Afrika gereist, nicht als investigativer Journalist. Er urteilt eher mit Bauch und Herz als mit dem Kopf, er fühlt mehr, als dass er analysiert. Und doch kommt er zu einem klaren Befund, schmerzhaft, realistisch und von Dauer: Diesen wüsten, verwüsteten Regionen ist nicht zu helfen. Was wir unter Zivilisation verstehen, hat dort auf absehbare Zeit keine Chance. Das urbane zwanzigste Jahrhundert? "Nur ein Flimmern auf dem Bildschirm der Hitze, eine sonderbare, gespenstische Fata Morgana ..." Die erste Welt – daran lässt der in Monrovia eingeschlossene Autor am Ende einer Reportage keinen Zweifel – machte sich mitschuldig an den Schrecken des schwarzen Kontinents, schuldig durch Gleichgültigkeit. "Die Frage ist: Wo liegt Liberia? Kümmert es da draußen irgendwen?"
Denis Johnson: In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell.
Tropen Verlag, Berlin 2006. 186 Seiten, 16,80 Euro
Doch in seinem Werk, in vielen Bänden mit Prosa und Poesie, berichtet er beharrlich von jenem anderen Universum, von verlorenen Seelen in apokalyptischen Landschaften. Ausgestoßene und Auferstandene sind seine Figuren, Spinner und Säufer, Kranke und Killer. Sie leben in der Unterwelt der Verdammten, sie warten (wie einst ihr Schöpfer D.J.) auf Erlösung, Erlösung durch den Herrn dort oben, doch sie ahnen: Sie warten vergebens. So grotesk und abstoßend Johnsons Stoffe häufig sind, so hell und fein ist sein Stil. In den USA gehören Philip Roth und Don DeLillo zu den Verehrern des Autors; deutsche Kritiker nannten seine Bücher (etwa die Story-Sammlung "Jesus’ Sohn") "wahnwitzig gut" und "schrecklich schön".
Mehrfach ist Denis Johnson im Auftrag großer Magazine unterwegs gewesen. Für die Zeitschrift "The New Yorker" reiste er durch Afrikas Krisengebiete, hinein in das schon von Joseph Conrad beschworene "Herz der Finsternis". Es waren für beide Seiten, Redaktion und Reporter, gewagte Experimente: ein Ex-Junkie, ein eher labiler Typ als Kriegsberichterstatter...
Bei diesen Fahrten glaubte Johnson, in die Hölle zurückzukehren. Erneut sah er Zugedröhnte und Durchgeknallte, verzweifelt Hoffende und hoffnungslos Verzweifelte, reuelose Mörder, vom Wahn gezeichnet – nur hatte das Grauen plötzlich eine ganz neue Dimension. Bibellektüre konnte ihn diesmal nicht trösten, denn, notierte er, "im Augenblick lebe ich selbst in der Welt der Bibel – einer Welt der Krüppel und Monster".
Der Reisende, nach Selbstauskunft "ein verwirrter Mann", fühlte sich fehl am Platz, er empfand das Aberwitzige, auch das Zynische seiner Mission. "...die Blutspuren im Gras sahen aus, als wären geschlachtete Schweine über den Rasen gezerrt worden. Ein paar Dutzend Leute beobachteten mich die ganze Zeit, während ich so tat, als hätte ich irgend etwas zu untersuchen, und auf meinen Notizblock schrieb: ‚Und ich bin der Idiot, der mit Zettel und Stift durch die Gegend läuft, und es gibt nichts, nichts, nichts anderes, was ich tun kann.’"
Traumatisiert kehrte Denis Johnson aus den Abgründen der Dritten Welt zurück. Für die Leser aber hat sich das wiederholte Wagnis gelohnt: Das Schreckliche, das er gesehen und gehört, verwandelte der Schriftsteller in lakonische Prosastücke von rauer Anmut und Klarheit. Der Berliner Tropen-Verlag hat die drei aufrüttelnden Berichte nun in einem schmalen Band vorgelegt.
"Bürgerkrieg in der Hölle", ein klassisch journalistischer Text vom September 1990, bietet Momentaufnahmen aus Liberia nach dem Ende schwerer Unruhen. Bei einer Pressekonferenz erlebt der Amerikaner einen Bandenführer – unter makabren Umständen. Als die Reporter in dessen Hauptquartier kommen, singt der Aufrührer mit eigener Reggae-Band gerade "Rivers of Babylon". "Die Männer um ihn herum klatschen, wiegen sich im Takt und singen fünfstimmig mit." Wenig später zeigt der Rebellenchef den Gästen auf Video, wie er dem gestürzten Staatspräsidenten bei der Folter die Ohren abschneiden ließ.
In "Ein Anarchisten-Führer durch Somalia" (entstanden 1995) beschreibt Johnson eine alptraumhafte Fahrt mit einem Offizier jenes Clanführers, der zwei Jahre zuvor 23 pakistanische UN-Soldaten ermorden ließ. Von sich selbst erzählt der Autor hier bisweilen ironisch in der dritten Person. "Der Amerikaner, eine Art Schriftsteller, gibt sich im Moment für einen deutschen Brunnenmechaniker aus. Die Somalier mögen Wasser, und sie mögen die Deutschen. Sehr viel lieber als die Amerikaner jedenfalls."
"Die Kindergarde", der längste, literarisch stärkste und eindrücklichste Report der kleinen Sammlung, führt Autor und Leser noch einmal nach Liberia. Johnson will 1992 den selbsternannten Präsidenten Charles Taylor treffen, einen besonders grausamen Warlord, genannt "Charles, der Schlächter". Taylor gibt ein Interview und lässt einen Gefangenen vorführen; Johnson erinnert sich: "Sein Gesicht und sein Kopf waren voll blutiger Schrunden und eiternder Fleischwunden..." Was der Reporter damals noch nicht wissen kann: Taylor soll für Kriegsverbrechen mit Hunderttausenden Toten verantwortlich sein; im Frühjahr 2006 wird ein Prozess gegen ihn beginnen.
Als Schriftsteller ist Denis Johnson nach Afrika gereist, nicht als investigativer Journalist. Er urteilt eher mit Bauch und Herz als mit dem Kopf, er fühlt mehr, als dass er analysiert. Und doch kommt er zu einem klaren Befund, schmerzhaft, realistisch und von Dauer: Diesen wüsten, verwüsteten Regionen ist nicht zu helfen. Was wir unter Zivilisation verstehen, hat dort auf absehbare Zeit keine Chance. Das urbane zwanzigste Jahrhundert? "Nur ein Flimmern auf dem Bildschirm der Hitze, eine sonderbare, gespenstische Fata Morgana ..." Die erste Welt – daran lässt der in Monrovia eingeschlossene Autor am Ende einer Reportage keinen Zweifel – machte sich mitschuldig an den Schrecken des schwarzen Kontinents, schuldig durch Gleichgültigkeit. "Die Frage ist: Wo liegt Liberia? Kümmert es da draußen irgendwen?"
Denis Johnson: In der Hölle. Blicke in den Abgrund der Welt
Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell.
Tropen Verlag, Berlin 2006. 186 Seiten, 16,80 Euro