Der Schritt in die Abrüstung

Von Matthias Rumpf |
Die Debatte um die Nachrüstung in den 80er Jahren hat die deutsche Öffentlichkeit gespalten wie kaum eine andere Frage. Mit der Aufstellung von Mittelstreckenraketen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs war die Logik der gegenseitigen Abschreckung an ihre Grenzen gekommen. Der INF-Vertrag vom 8. Dezember 1987 markierte das erste greifbare Ergebnis der Entspannungspolitik zwischen Ost und West.
"1987 wird in der Geschichte eingeschrieben sein, an der man den Sprung, den Schritt tun könnte zur Entmilitarisierung des menschlichen Lebens. Das sind also die einleitenden Worte..."

Washington 8. Dezember 1987. Im Weißen Haus unterschreiben US-Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Staatschef Michael Gorbatschow den INF-Vertrag, das Abkommen zum Abbau der Mittelstreckenwaffen in Europa. Es ist der erste Abrüstungsvertrag überhaupt, der die Abschaffung einer kompletten Waffengattung vorsieht, und das erste greifbare Ergebnis der Entspannungspolitik zwischen Ost und West, die mit Gorbatschows Machtübernahme im Kreml begonnen hat.

Mittelstreckenraketen sind Waffen, die über eine Distanz von 500 bis 5500 km Atomsprengköpfe ins Ziel tragen können. 1976 hatte die Sowjetunion damit begonnen, die so genannten SS20-Raketen aufzustellen, und damit ihr Arsenal in diesem Bereich vergrößert und modernisiert.

"Bei den Mittelstreckenwaffen ist das Gleichgewicht durch sowjetische Aufrüstung merklich beeinträchtigt worden. Besonders eindrucksvoll sind die Zahlen im Bereich der nuklearen Mittelstrecken- oder eurostrategischen Raketen auf dem Lande. Heute verfügt die Sowjetunion über mehr als 600 eurostrategische Raketen, darunter mittlerweile schon mehr als 200 SS20, die jeder drei Sprengköpfe haben mit insgesamt über 1000 nuklearen Gefechtsköpfen","

so Bundeskanzler Helmut Schmidt im Frühjahr 1981 im Deutschen Bundestag. Schmidt fürchtete, dass Westeuropa durch die neuen Waffen Moskaus erpressbar würde. Denn gegenüber einem nuklearen Angriff mit Mittelstreckenwaffen auf Westeuropa wäre die Abschreckung durch die amerikanischen Interkontinentalwaffen nicht mehr glaubhaft gewesen.

Nicht zuletzt auf Betreiben Schmidts hatte die Nato deshalb 1979 ihren so genannten Doppelbeschluss gefasst. Innerhalb von vier Jahren sollte in Verhandlungen mit Moskau der Abbau der SS20 erreicht werden. Andernfalls würde das westliche Bündnis seinerseits mit Mittelstreckenwaffen in Europa nachrüsten.

""Da das westliche Faustpfand lediglich in einer Absichtserklärung bestand, notfalls vier Jahre später ebenfalls Mittelstreckenraketen zu stationieren, war zu erwarten, dass die Sowjetunion in der Zwischenzeit ihre gewaltige Propagandamaschine gegen solche Pläne mobilisierte und dass diese Anstrengungen sich auf Deutschland konzentrieren würden","

schreibt Schmidt in seinen Erinnerungen. Was sich in den folgenden Jahren in der Bundesrepublik als Reaktion auf den Doppelbeschluss ereignete, war ein Massenprotest, der wohl die schlimmsten Befürchtungen des Kanzlers noch übertraf.

Schon im Oktober 1981 demonstrierten im Bonner Hofgarten über 300.000 Menschen gegen die Nachrüstung, und Helmut Schmidt stand im Zentrum der Kritik. Die Friedensaktivisten und Mitgründerin der Grünen, Petra Kelly, auf der Bonner Kundgebung:

""Diese bundesweite europäische gewaltfreie Demonstration ist ein Ausdruck unseres Misstrauens unserer Kritik bezogen auf diese Bundesregierung, angeführt von Bundeskanzler Schmidt. Dies ist sehr wohl eine Anti-Schmidt-Demonstration."

Und auch die eigene Partei rückte von ihrem Kanzler ab. Willi Brandt, damals SPD-Parteichef, sagte im gleichen Jahr im Deutschlandfunk:

"Ich glaube ja, dass es falsch wäre, gerade für uns hier in Deutschland, wenn wir uns an einseitigen Schuldzuweisungen beteiligten. Da ließe sich - was die beiden ganz Großen angeht, die Weltmächte, die nuklearen Weltmächte - ließe sich eine Menge Kritisches an beide Adressen gerichtet sagen."

In der Tat waren die USA nach dem Amtsantritt von Ronald Reagan Anfang 1981 nicht mehr bereit, mit Moskau über die Mittelstreckenwaffen zu verhandeln. Erst Ende des Jahres wurden die Gespräche in Genf wieder aufgenommen. Fortschritte blieben aber aus, weil der Westen nicht bereit war, die Forderung Moskaus zu akzeptieren und die britischen und französischen Mittelstreckenraketen in die Verhandlungen einzubeziehen.

Als Reagan dann das Raketenabwehrprogramm SDI ankündigte und 1983 unter der Regierung Kohl die Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper in Deutschland und anderen Nato-Staaten stationiert wurden, brach die Sowjetunion die Genfer Verhandlungen ab. Erst unter Gorbatschow machte Moskau dann die entscheidenden Zugeständnisse, sodass 1987 der INF-Vertrag zum Abbau der Mittelstreckenwaffen unterzeichnet werden konnte.