Der Schwarze Tod
Der Sammelband "Pest – Die Geschichte eines Menschheitstraumas" schildert die politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Auswirkungen der Epidemien. Die Medizingeschichte wird knapp abgehandelt. Eines wird dafür umso deutlicher: Die Pest war und ist "eine Chiffre für den katastrophalen Einbruch des nicht Steuerbaren".
"Die Leichen lagen übereinander, die Sterbenden wälzten sich auf den Straßen und halbtot um alle Brunnen, lechzend nach Wasser. Die Heiligtümer… lagen voller Leichen der drin an geweihtem Ort Gestorbenen; denn die Menschen, völlig überwältigt von Leid und ratlos, was aus ihnen werden sollte, wurden gleichgültig gegen Heiliges und Erlaubtes ohne Unterschied… Da war keine Schranke mehr, nicht Götterfurcht, nicht Menschengesetz."
Ob die Schilderungen einer furchtbaren Seuche im Jahr 430 vor Christus, die sich in den Schriften des Griechen Thukydides finden, die Pest beschreiben, ist ungewiss. Viele Symptome der damaligen Epidemie stimmen mit dem uns heute bekannten Krankheitsbild nicht überein. Das muss aber nicht weiter verwundern, denn jede Infektionskrankheit verändert sich im Laufe ihrer Verbreitung.
Umso schwieriger ist für den Historiker aufzuspüren, wann die Pest zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte aufgetreten ist. Insofern ist der jetzt von Mischa Meier, Professor für alte Geschichte in Tübingen, herausgegebene Sammelband "Pest – die Geschichte eines Menschheitstraumas" denn auch nur ein Versuch der beteiligten 23 Autoren, Spuren zu finden.
Das fällt nicht leicht, denn viele Beschreibungen sind, so Karl-Heinz Leven in seiner Einleitung, mit Vorsicht zu genießen, denn religiöse Motive führten den Autoren damals ebenso die Feder wie medizinische Vorurteile.
So glaubte man zum Beispiel gerade in der Antike, dass üble Ausdünstungen und Verunreinigungen der Luft die Krankheit übertrügen, sah in ihr eine Strafe der Götter für frevelhaftes Verhalten. Das Christentum übernahm dieser Deutung, glaubte an eine gottgesandte Prüfung, hatte aber Mühe, zu erklären, warum die Seuche keine Unterschiede zwischen gottesfürchtigem und lasterhaftem Leben machte, alle gleichermaßen umbrachte. Heftig beklagte man den Niedergang der Moral, wie ein Zitat aus der Novellensammlung "Decamerone" des italienischen Schriftstellers Giovanni Boccaccio belegt:
"Der Schrecken dieser Heimsuchung hatte die Herzen der Menschen mit solcher Gewalt verstört, dass auch der Bruder den Bruder verließ, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und nicht selten die Frau ihren Mann. Das Schrecklichste, ganz und gar Unfassliche aber war, dass Väter und Mütter sich weigerten, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen, als wären es nicht die eigenen."
Allzu ausführlich behandelt der Band die ersten Schilderungen solcher Epidemien im Altertum und im Vorderen Orient, spekulieren mehrere Autoren detailliert über früheste Pestausbrüche. Das ist ein bisschen zuviel des Guten für all diejenigen, die keine Spezialisten für diese Epochen sind.
Spannender und interessanter wird es, wenn Jürgen Strothmann über die politischen Folgen des Schwarzen Todes berichtet. Durch das Sterben reicher und einflussreicher Bürger wurden zum Beispiel in den Städten wichtige politische Funktionen frei. Neue Eliten entstanden, soziale Umwälzungen fanden statt, sogar Aufstände brachen aus. Zudem suchte man Sündenböcke und fand sie vor allem in den Juden, die allerorts in Europa Pogromen zum Opfer fielen.
So verschieden die Autoren, so unterschiedlich die Abhandlungen, manche leicht lesbar, manche etwas dröge und langweilig. Allerdings hat man freie Wahl, kann sich unter den 20 Aufsätzen die raussuchen, deren Themen einem am interessantesten scheinen. Dabei geht es keinem der Autoren um eine Medizingeschichte. Auf den 450 Seiten des Buches findet sich kaum ein Dutzend über die Entschlüsselung des Pesterregers 1894 durch den Schweizer Arzt Alexandre Yersin und die immerhin 50 Jahre dauernde Suche nach einem wirksamen Medikament.
Obwohl die Pesterreger in Tieren überlebt haben und es vereinzelt noch immer zu Infektionen des Menschen kommt, hat die Pest doch heute ihren Schrecken verloren. Sie ist heilbar. Den Autoren des Buches geht es denn auch eher um die politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Auswirkungen der als Pest bezeichneten Epidemien. Eines allerdings wird rasch klar: Die Pest war und ist – so Mischa Meier –
"eine Chiffre für den katastrophalen Einbruch des nicht Steuerbaren, des nicht Planbaren in die geordnete Welt des Alltags; ein Wort, das paradigmatisch steht für das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein und jegliche Kontrolle zu verlieren, und damit ein Wort, das eine Urangst des Menschen aufruft."
Ob Pest oder Aids, Ebola-Virus oder Vogelgrippe – die Namen ändern sich, die Ängste bleiben trotz modernster medizinischer Versorgung. Insofern ist die Pest eine Metapher für alles Irrational Bedrohliche. Das macht das Buch nachdrücklich klar.
Mischa Meier (Hg.): Pest – Die Geschichte eines Menschheitstraumas
Verlag Klett-Cotta, 2005
478 Seiten; 29,50 Euro
Ob die Schilderungen einer furchtbaren Seuche im Jahr 430 vor Christus, die sich in den Schriften des Griechen Thukydides finden, die Pest beschreiben, ist ungewiss. Viele Symptome der damaligen Epidemie stimmen mit dem uns heute bekannten Krankheitsbild nicht überein. Das muss aber nicht weiter verwundern, denn jede Infektionskrankheit verändert sich im Laufe ihrer Verbreitung.
Umso schwieriger ist für den Historiker aufzuspüren, wann die Pest zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte aufgetreten ist. Insofern ist der jetzt von Mischa Meier, Professor für alte Geschichte in Tübingen, herausgegebene Sammelband "Pest – die Geschichte eines Menschheitstraumas" denn auch nur ein Versuch der beteiligten 23 Autoren, Spuren zu finden.
Das fällt nicht leicht, denn viele Beschreibungen sind, so Karl-Heinz Leven in seiner Einleitung, mit Vorsicht zu genießen, denn religiöse Motive führten den Autoren damals ebenso die Feder wie medizinische Vorurteile.
So glaubte man zum Beispiel gerade in der Antike, dass üble Ausdünstungen und Verunreinigungen der Luft die Krankheit übertrügen, sah in ihr eine Strafe der Götter für frevelhaftes Verhalten. Das Christentum übernahm dieser Deutung, glaubte an eine gottgesandte Prüfung, hatte aber Mühe, zu erklären, warum die Seuche keine Unterschiede zwischen gottesfürchtigem und lasterhaftem Leben machte, alle gleichermaßen umbrachte. Heftig beklagte man den Niedergang der Moral, wie ein Zitat aus der Novellensammlung "Decamerone" des italienischen Schriftstellers Giovanni Boccaccio belegt:
"Der Schrecken dieser Heimsuchung hatte die Herzen der Menschen mit solcher Gewalt verstört, dass auch der Bruder den Bruder verließ, der Onkel den Neffen, die Schwester den Bruder und nicht selten die Frau ihren Mann. Das Schrecklichste, ganz und gar Unfassliche aber war, dass Väter und Mütter sich weigerten, ihre Kinder zu besuchen und zu pflegen, als wären es nicht die eigenen."
Allzu ausführlich behandelt der Band die ersten Schilderungen solcher Epidemien im Altertum und im Vorderen Orient, spekulieren mehrere Autoren detailliert über früheste Pestausbrüche. Das ist ein bisschen zuviel des Guten für all diejenigen, die keine Spezialisten für diese Epochen sind.
Spannender und interessanter wird es, wenn Jürgen Strothmann über die politischen Folgen des Schwarzen Todes berichtet. Durch das Sterben reicher und einflussreicher Bürger wurden zum Beispiel in den Städten wichtige politische Funktionen frei. Neue Eliten entstanden, soziale Umwälzungen fanden statt, sogar Aufstände brachen aus. Zudem suchte man Sündenböcke und fand sie vor allem in den Juden, die allerorts in Europa Pogromen zum Opfer fielen.
So verschieden die Autoren, so unterschiedlich die Abhandlungen, manche leicht lesbar, manche etwas dröge und langweilig. Allerdings hat man freie Wahl, kann sich unter den 20 Aufsätzen die raussuchen, deren Themen einem am interessantesten scheinen. Dabei geht es keinem der Autoren um eine Medizingeschichte. Auf den 450 Seiten des Buches findet sich kaum ein Dutzend über die Entschlüsselung des Pesterregers 1894 durch den Schweizer Arzt Alexandre Yersin und die immerhin 50 Jahre dauernde Suche nach einem wirksamen Medikament.
Obwohl die Pesterreger in Tieren überlebt haben und es vereinzelt noch immer zu Infektionen des Menschen kommt, hat die Pest doch heute ihren Schrecken verloren. Sie ist heilbar. Den Autoren des Buches geht es denn auch eher um die politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Auswirkungen der als Pest bezeichneten Epidemien. Eines allerdings wird rasch klar: Die Pest war und ist – so Mischa Meier –
"eine Chiffre für den katastrophalen Einbruch des nicht Steuerbaren, des nicht Planbaren in die geordnete Welt des Alltags; ein Wort, das paradigmatisch steht für das Gefühl, hilflos ausgeliefert zu sein und jegliche Kontrolle zu verlieren, und damit ein Wort, das eine Urangst des Menschen aufruft."
Ob Pest oder Aids, Ebola-Virus oder Vogelgrippe – die Namen ändern sich, die Ängste bleiben trotz modernster medizinischer Versorgung. Insofern ist die Pest eine Metapher für alles Irrational Bedrohliche. Das macht das Buch nachdrücklich klar.
Mischa Meier (Hg.): Pest – Die Geschichte eines Menschheitstraumas
Verlag Klett-Cotta, 2005
478 Seiten; 29,50 Euro