Der schwimmende Hamburger

Von Petra Marchewka |
Immer mehr Hanseaten wollen sich mit einem Hausboot oder einem schwimmenden Haus auf einem der Hamburger Gewässer niederlassen und beantragen bei der Stadt eine Genehmigung dafür. Bislang ist Wohnen auf dem Wasser in Hamburg ein Leben in der Grauzone. Dauerhaft festmachen darf man an Hamburger Ufern eigentlich nirgends, weil die bau- und wasserrechtlichen Gesetze dazu noch fehlen. Jetzt sind die Behörden aber kooperativ: Seit kurzem gibt es sogar extra einen "Hausboot-Lotsen" beim Bezirksamt Mitte.
Gabriel: "Das Wasser ist ja einfach so ein wunderbares Medium, ne.... "

Der große Holztisch steht in der Wohnküche direkt am Fenster. Bänke drum herum, Aschenbecher, voll, ein paar Zeitungen, dahinter: Wasser, graublau und unbewegt.

Gabriel: "...ich sitze oft auf der Veranda draußen, nachts auch, gucke einfach nur aufs Wasser, das sich dann so bewegt, oder spiegelglatt liegt. Oder wenn ein Schiff hier vorbeikommt, das tut meiner Seele einfach gut, ne. "

Kein bisschen Wind in diesem Seitenbecken der Süderelbe. Nichts schwankt, nichts wackelt, fester Boden an Bord der "Magdeburg".

Gabriel: "Ich muss natürlich aufpassen, dass hier kein Wasser reinkommt in das Boot, nech. Ich muss aufpassen. Dass hier nichts durchrostet. Dass hier kein Loch entsteht und ich ein U-Boot habe. Das ist ja meine Aufgabe, aufzupassen, dass es funktioniert. "

Der Mann trägt Jogginghose und Schlabberhemd, die Haare graublond zerstrubbelt und licht, das Kinn voll graublonder Stoppeln. Er schüttet pechschwarzen Kaffee in zwei Becher. Den Kaffee, sagt er, bekommt er direkt aus der Rösterei, gleich da hinten, seinem Liegeplatz schräg gegenüber. Die Leute hier im Harburger Hafen, die mögen ihn. Nicht nur, weil er früher einmal so berühmt war. Früher, als er bei Dieter Thomas Heck "Hey Boss, ich brauch mehr Geld" gesungen hat.

Gabriel: "So einfach strukturierte Leute – nichts dagegen zu sagen, ich will das gar nicht werten im Grunde, ja – aber die denken immer: Das ist sozialer Abstieg. Ich hab' selbst in dem Buch von Dieter Bohlen... der hat neulich so ein Buch geschrieben: Gabriel ist jetzt vollkommen am Ende, der lebt auf einem Hausboot, ne. (...) Wo habe ich das Buch, irgendwo habe ich es hier rumliegen... "

Bücher liegen hier überall herum. Platten und CD’ auch. Johnny Cash, Willie Nelson. Mit dem ist Gunter Gabriel auch auf einem Foto zu sehen, das im Regal lehnt. Der Schlagersänger wohnt jetzt seit acht Jahren auf diesem Hausboot, hat es von außen rot gestrichen, innen Wände weg geflext und Schränke reingebaut und so den alten Kahn in ein Maß geschneidertes Refugium verwandelt.

Gabriel: "...hier ist die Toilette, ne, hier ist das Bad, hab ich mir reingebaut, da war vorher nur 'ne Dusche... (...) Dann hab ich hier meine Schreibstube, da schreibe ich meine Songs, (...) hier ist die Heizung, die ganze Heizungs- und Wasseranlage, Wasserdruckbehälter, damit aus der Dusche auch wirklich ein Dampfstrahl rauskommt, ne. "

Das Schlafzimmer eine kuschelige Koje, vom Bett aus auch der Blick aufs Wasser, wohin sonst. Küche und Essraum, alles ein bisschen niedriger und verwinkelt, eben keine genormte "Vier-Zimmer-Küche-Bad-Variante". Stattdessen gedrungene Weite, in der es ein bisschen nach Diesel riecht und die – wohin man auch blickt - im Wasser endet.

Gabriel: "...Und das ist hier natürlich das Schönste... Hier werde ich im Winter vielleicht mal einen Wintergarten draus machen... "

Veranda industrieromantisch im Hafenbecken, auf der anderen Uferseite leuchtet ein Bürohaus mit gläserner Front.

Gabriel: "...dann hab ich hier diese Reling drumgebaut, die gab's früher auch nicht, aber ich wollte natürlich hier ums Schiff gehen können…"

300 Euro zahlt Gabriel dem Mann, dem die Kaimauer gehört, an der sein Schiff vertäut ist, von ihm bekommt er auch Strom und Trinkwasser. Das Abwasser wird in Auffangtanks gesammelt und alle paar Monate von einer Firma abgesaugt. Privatpost gibt der Briefträger in der benachbarten Werft ab, behördliche Schreiben landen bei einem Hamburger Freund, bei dem Gabriel offiziell gemeldet ist. Zwar gibt es in Hamburg ein paar wenige, die wie Gabriel auf einem Hausboot wohnen, aber ein schwimmendes Zuhause als behördliche Meldeadresse für einen Hansestädter – so etwas geht hier nicht. Gut, dass auf Hamburger Gewässern bald einige Areale für Hausboote offiziell freigegeben werden sollen, findet der Sänger.

Gabriel: "Das wird Zeit, für so eine Hafenstadt wie Hamburg, eine weltoffene Stadt, das wird ja nun wirklich Zeit. Und der Hafen sieht ja auch grauenhaft aus, so leer. "

Dabei hat die Hansestadt Hamburg schon immer gern ganz dicht am Wasser gebaut.

Wasser - das Medium fürs schönere Wohnen. An Elbe und Alster befinden sich traditionell attraktive Adressen in teuren Quartieren, und zur Zeit macht Hamburg mit dem Bau eines ganzen Stadtviertels in unmittelbarer Wassernähe Schlagzeilen: Zwischen der historischen Speicherstadt und dem Hafen entsteht die HafenCity, die, wenn sie einmal fertig ist, zum maritimen Lebensmittelpunkt für rund 12.000 neue Bewohner, zur Arbeitsstätte für mehr als 40.000 Beschäftigte und, so hofft man in der Hansestadt, zum Ziel für Millionen Touristen, Besucher und Kunden werden soll. Eine Wasserstadt, mitten in der Stadt.

Neuester Plan aus der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung: Nicht nur an den Ufern der Hamburger Gewässer sondern auch auf dem Wasser selbst soll man in Hamburg bald wohnen dürfen.

Walter: "Wir sehen das Wohnen auf dem Wasser ja als eine weitere zusätzliche Komponente, die Hamburg besonders attraktiv macht... "

Professor Jörn Walter, Oberbaudirektor in Hamburg.

Walter: "...und was wir jetzt versuchen gerade voranzutreiben ist, mal Standorte zu identifizieren, wo man das in Hamburg befördern kann, und damit natürlich insgesamt auch zu einer Belebung des Stadtbildes aber auch der Wohnqualität in dieser Stadt beitragen kann. "

In Hamburg fehlen bis jetzt die bau- und wasserrechtlichen Gesetze, um sich auf dem Wasser niederzulassen. Diejenigen, die das derzeit trotzdem tun, befinden sich in einer juristischen Grauzone, müssen etwa, wie Gunter Gabriel, Einzelverträge mit Grundstücksbesitzern aushandeln, an deren Land sie festgemacht haben. Um eine generell gültige juristische Regelung zu schaffen, sind nun die Rädchen der Hamburger Verwaltung angelaufen: Das Bezirksamt Hamburg Mitte hat zum Beispiel schon mal einen Hausboot-Lotsen ins Amt gehoben, der die Anfragen von interessierten Bürgern notieren soll. Rund 300 sollen es schon sein. Außerdem hat die Bezirksversammlung ein Gutachten in Auftrag gegeben: Ein Architektenteam sollte herausfinden, wie machbar und nützlich eine künftige Wasserbesiedlung in Hamburg wäre.

Das Ergebnis: Hamburg, heißt es, habe seine architektonischen Chancen schlichtweg verschenkt. Hamburgs Image als Wasserstadt könne mit einer "schwimmenden Lebensader" um eine Facette bereichert werden, mit so einer "Perlenkette" auf dem Wasser hätte die Stadt die Chance, einerseits Flüsse, Kanäle und Hafenbecken zu beleben, sie könne andererseits das Wohnen im innerstädtischen Bereich stärker etablieren – denn viele der möglichen schwimmenden Siedlungen wären zentrumsnah gelegen.

Walter: "Wenn wir etwa denken an das Hochwasserbassin, dieses große Bassin, was südlich des Berliner Bogens steht, das wird der eine oder andere vielleicht kennen, dieses berühmte Bauwerk... "

Rund 20 Hausboote könnten hier einmal liegen, schätzt Oberbaudirektor Walter.

Walter: "...und jetzt stellen Sie sich das eines Tages vor: Dieser wunderschöne Kanal, dieses Bassin, gibt es dann vorgelagert Stege, und an diesen Stegen liegen diese Hausboote, das werden Pontons sein, auf denen dann die eigentlichen Häuser stehen, und das werden teilweise Typen wahrscheinlich sein, die sehr viel Noblesse ausstrahlen, da gibt es ja sehr schöne zweigeschossige Gebäude sogar, die Wohnzimmer haben, Kinderzimmer haben, die flexibel baubar sind, ein interessantes Stück Architektur darstellen, und außerdem diesen ganzen Raum beleben, das könnte ich mir gut vorstellen... "

Schon im nächsten Frühjahr könnten die ersten Areale ausgewiesen, die ersten Liegeplätze vergeben werden. Wenn bis dahin die "Abstimmung mit allen Beteiligten" beendet ist. Fragen zu den Themen Müllabfuhr, Brandschutz und Postversorgung gehören da noch zu den übersichtlichen.

Walter: "Es geht einerseits um Erschließungsfragen, die dort geklärt werden müssen, die Frage: Anschlüsse an Sielleitungen, Wasserversorgung, es geht um die Frage bei den Sportbootbelangen: Können Hausboote parallel oder auch senkrecht liegen, also ist das Gewässer breit genug, und es geht manchmal auch um Fragen: Wie kann man überhaupt an ein solches Grundstück herankommen, schlichtweg um Wegerechte...

Dafür ist die Verwaltung da, dass sie genau das schafft, einen Ausgleich dafür zu schaffen, bei den verschiedensten Themenfelder ist uns das gelungen, ich wüsste nicht, warum das bei den Hausbooten nicht auch gelingen soll. "

Gabriel: "Ich muss ganz ehrlich sagen, am Anfang habe ich auch nachts gehört, wenn die Wasserpumpe ging, oder da gluckerte was und da gluckerte was, was ist denn jetzt los... "

Gunter Gabriel kippt die Becher noch mal mit pechschwarzem Kaffee voll.

Gabriel: "...ich hab natürlich anfangs auch Alpträume gehabt, dass das Schiff sinkt und so, da hatte ich noch keine Ahnung, ich hatte ja überhaupt gar keine Ahnung von so was, ne. "

Seine Zigarettenschachtel ist schon lange leer.

Gabriel: "Rauchst Du gar nicht? "

1998 hat der Sänger das ehemalige DDR-Arbeitsboot "Magdeburg" gekauft, für 80.000 D-Mark. Da, wo jetzt die Küche ist, haben sich damals die Binnenschiffer zur Pause getroffen - die "Magdeburg" war Arbeitsplatz und gleichzeitig schwimmendes Zuhause.

Gabriel: "Was meine Freundin zum Beispiel stört ist, dass im Sommer unheimlich viele Spinnen hier sind, ne, die die ganze Reling voll wie so einen Kokon vollspinnen, ne. Durch die Spinnen gibt’s ja keine Mücken, die Spinnen sind meine Freunde. Aber das sehen Frauen natürlich anders, die haben ja meistens so eine Spinnenallergie. Aber morgens wische ich die meistens weg, die Netze. "

Viele ausgemusterte Binnenschiffe wie dieses hier dienen heute Individualisten als Wohnort – oft an Plätzen, die ebenfalls ausgemustert wurden, in ehemaligen Hafenanlagen und Industriebrachen.

Gabriel: "Das war früher natürlich mal ein Industriehafen, die ganzen Betriebe hier, die ganzen Türme hier, das waren ja früher mal Speicher für Getreide und so, ja, Fisch, Fischmehlerzeugung, das ist ja alles still gelegt worden, traurig, traurig, traurig, sind heute High-Tech-Büros drin. (...) Das ist der Binnenhafen Harburg. Du lebst in einer komplett anderen Welt. Und das gefällt mir. "

Gleich neben Gabriels roter "Magdeburg" hat eine kleine gelbe Villa festgemacht. Sie sieht aus, als sei sie aus der Toskana entführt und auf einen Ponton gesetzt worden, damit sie sich in Hamburg über Wasser halten kann. Kein Hausboot, sondern ein "Schwimmendes Haus".

Warsakis: "Wir sind hier im Wohnbereich, wo eine offene Küche integriert ist, man muss sagen, dass das nur ein Beispiel ist von vielen, die umsetzbar wären. "

Andonis Warsakis lehnt sich an die Küchenzeile, die ab Werk in den Farben des Meeres gestrichen ist. Warsakis ist Vertriebsleiter der Rostocker Firma Aqua House. Aqua House baut schwimmende Häuser: Typ Rostock etwa mit einer Wohnfläche von 87 Quadratmeter auf zwei Geschossen, oder Typ Mirow, ein Modell für Singles und Paare mit knapp 50 Quadratmetern, großer Überdachung, ebensolcher Dachterrasse und großzügiger Verglasung. Preis für das kleine gelbe hier im Harburger Hafen: 220.000 Euro. So oder so ähnlich könnte die Zukunft wasserseitigen Wohnens also auch aussehen.

Warsakis: "Wir bauen custom-made, genau so, wie der Kunde das wünscht, wir zeigen ihm dabei auf, wo die technisch machbaren Grenzen sind, er zeigt uns den finanziellen Rahmen auf, und so kommen wir bisher immer sehr gut zueinander. "

Etwa 20 schwimmende Häuser hat das Unternehmen bundesweit bis jetzt verkauft – obwohl Aqua House erst seit 2003 am Markt ist.

Warsakis: "Viele, mit denen ich gesprochen habe, sind es einfach leid, in diesen nicht sehr attraktiven Wohnungen zu wohnen, die man heute normalerweise an Land hat. Reihenhäuser, Wohneinheiten von 10, 20, 30, 40 und mehr Parteien, die Leute haben einen Drang, dieses Outdoor-Living, dieses Leben draußen, zu praktizieren, das können sie hier sehr gut ausleben... "

Was in Hamburg Zukunft ist, lebt in Amsterdam schon seit Jahren: In Hollands schönster Großstadt sind rund 2600 ehemalige, zu schwimmenden Häusern umgebaute Frachtschiffe an den Ufern der Grachten vertäut. Die Preise für solche Boote liegen je nach Zustand und Schönheit zwischen 40.000 und 500.000 Euro.

In manchen Teilen Asiens leben die Menschen in Hausboot-Arealen in der Größe ganzer Stadtteile. Eine heißbegehrte Lösung für das Leben am Wasser bietet Seattle: Auf dem Lake Union liegen die "Floating homes", schicke Schwimmhäuser mit hellgrauer Holzverkleidung, bekannt aus dem Kinofilm "Schlaflos in Seattle" von 1993 mit Meg Ryan und Tom Hanks.

Gabriel: "Dieses Hausboot, das war eben ein Traum, ne... "

Der Sänger Gunter Gabriel habe, erzählt er, viele persönliche und berufliche Abstürze erlebt. Ganz unten sei er gewesen, ohne einen Pfennig Geld.

Gabriel: "Als ich also 1995, 96 nach Hamburg kam und in der Schaubude war mit Carlo von Tiedemann, da sagte der: Was wünschst Du Dir für Hamburg? Ich sagte, ja, ich suche ein Hausboot. Die Schaubude war kaum zu Ende, da waren die ersten Anrufe schon da, von Reedern, von Eigentümern, ne. "
Auf dem Wasser habe er wieder ein Zuhause gefunden. Dem Wasser, der chemischen Verbindung zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, und - wie Heinrich Heine fand - dem "Spiegel der Seele".

Gabriel: "Dieses Hausboot, das hat mich inspiriert durch einen Songschreiber aus Amerika, einer der größten, Shel Silverstein, der lebte auf einem Hausboot in San Franciso, Sausalito, unter der Golden Gate, ne, ein Supertyp, hier guck’... einer der besten Songschreiber der Welt, der lebte also auf diesem Hausboot, von außen sah das fürchterlich aus, da dachtest Du, das ist eine absolute Ruine, ich hab jetzt kein Bild davon... "

Hamburg ist nicht Sausalito. Trotzdem bedeutet Wohnen auf dem Wasser Grenzenlosigkeit, auch hier.

Gabriel: "Ich kann nur sagen, ich fühle mich wohl, und Ende aus, mehr kann ich dazu nicht sagen. Ich fühle mich sauwohl hier, und ich habe mich noch nie so wohl gefühlt wie hier, ja. Und zwar vom ersten Moment an, als ich das Boot betrat. Ich hatte ja noch meine Wohnung in der Stadt, die hab ich nie wieder betreten.
Ich finde das einfach dufte, ja. "