"Der seidene Faden"
Originaltitel: "Phantom Thread"
Buch und Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Leslie Manville
Länge: 130 Minuten
"Der verzweifelte Versuch, einen Dialog zu schaffen"
Paul Thomas Anderson erzählt die Geschichte eines außergewöhnlichen Liebespaars - er der gefragte Modeschöpfer, sie die eigensinnige Kellnerin. Im Interview verrät die Hauptdarstellerin Vicky Krieps, wie sie die Figur der Alma mit Anderson entwickelte und wie es ist, mit Daniel Day-Lewis zu arbeiten.
Patrick Wellinski: Paul Thomas Anderson ist vielleicht der kompromissloseste Regisseur, den das amerikanische Kino derzeit zu bieten hat. Spielfilme wie "Magnolia" oder "There will be blood" gelten als wahre Kinomonolithen. Die Bilder groß, die Geschichten gewaltig und nicht selten auch verwirrend und hermetisch. Seine achte Regiearbeit heißt "Der seidene Faden", kommt nächsten Donnerstag endlich auch in unsere Kinos und ist erst mal die Geschichte des genialen Modeschöpfers Reynolds Woodcock, der sich im London der 1950er-Jahre einen ganz eigenen Kosmos aufgebaut hat. Er ist der unantastbare Gott in seinem Reich. Alles wird dem Diktat seiner Kreativität unterstellt. Bis er die junge Alma kennenlernt. Sie verlieben sich, aber schon bald zeigt sich, Alma ist eine Störung in Woodcocks System.
Alma: Hier ist ein Tee für dich.
Woodcock: Ich hatte nicht um Tee gebeten. Trägst du ihn bitte raus?
Alma: Ja, ich trag ihn raus.
Woodcock: Ein bisschen zu spät, oder?
Alma: Ich trag ihn schon raus.
Woodcock: Ja, aber ein bisschen zu spät, oder?
Alma: Ich trag ihn ja raus.
Woodcock: Der Tee geht raus, aber die Störung, die bleibt hier drin bei mir.
Woodcock: Ich hatte nicht um Tee gebeten. Trägst du ihn bitte raus?
Alma: Ja, ich trag ihn raus.
Woodcock: Ein bisschen zu spät, oder?
Alma: Ich trag ihn schon raus.
Woodcock: Ja, aber ein bisschen zu spät, oder?
Alma: Ich trag ihn ja raus.
Woodcock: Der Tee geht raus, aber die Störung, die bleibt hier drin bei mir.
Wellinski: Den Reynolds Woodcock im "Seidenen Faden" spielt der große Daniel Day-Lewis. Es soll seine letzte Kinorolle sein, und prompt gab es dafür auch eine Oscar-Nominierung. Die weibliche Hauptrolle wiederum wurde mit Vicky Krieps besetzt. Dem deutschen Kinogänger ist die luxemburgische Schauspielerin gut bekannt, zum Beispiel als Jenny von Westfalen-Marx aus Raoul Pecks Biopic "Der junge Karl Marx". Ich konnte vor der Sendung mit Vicky Krieps über ihre Rolle in "Der seidene Faden" an der Seite von Daniel Day-Lewis sprechen. Es war auch der Tag, an dem die Oscar-Nominierungen bekannt gegeben wurden. Ganze sechs Stück hat der Film erhalten, aber Vicky Krieps wurde nicht nominiert. Deshalb wollte ich erst mal von ihr wissen, ob sie das enttäuscht.
Vicky Krieps: Ich persönlich habe gebetet, dass ich keine Nominierung bekomme, weil mir das alles ein bisschen viel ist. Ich freue mich riesig für die ganzen anderen Nominierungen und vor allem für die Regie, weil ich finde, dass das absolut berechtigt ist, weil ich war ja dabei, und dieser Film hat ganz viel damit zu tun, wie der gemacht wurde, was die Regie da für Entscheidungen getroffen hat. Wirklich ganz viel. Was mich betrifft, wie gesagt, ich bin eher erleichtert.
Erleichtert über die fehlende Oscar-Nominierung
Wellinski: Jetzt müssen Sie natürlich auch noch mal uns die Geschichte erzählen, die Sie, glaube ich, schon, seitdem der Film raus ist, jedem erzählen müssen. Wie schafft man das, als luxemburgische Schauspielerin die weibliche Hauptrolle in einem Paul-Thomas-Anderson-Film zu bekommen?
Krieps: Indem man an das glaubt, was man macht, das immer weiter macht, irgendwann dann einen kleinen unbekannten deutschen Arthouse-Film namens "Zimmermädchen Lynn" macht, der dann tatsächlich von einem Paul Thomas Anderson in Hollywood auf seinem iPad gesehen wird.
Wellinski: Es ist unglaublich. "Das Zimmermädchen Lynn", das, glaube ich, 2014 in München zum ersten Mal lief, da wurden Sie auch ausgezeichnet. Die Figur, die Sie dort spielen, die hat viel von der Alma aus "Der seidene Faden". Hat denn Paul Thomas Anderson Ihnen denn auch gesagt, dass er sich die Alma so vorstellt, oder haben Sie mit ihm die Alma dann doch noch anders erarbeitet?
Krieps: Er hat mir irgendwann gesagt, dass er diesen Film gesehen hat, weil ich wollte natürlich wissen, wie kommst du überhaupt auf mich. Aber nein, seine Vorstellung von Alma war ganz anders. Da sind Ähnlichkeiten, die waren aber zufällig da, die ihn wahrscheinlich angesprochen haben, als er den Film gesehen hat. Aber er hat nie darauf zurückgegriffen, dass ich da jetzt irgendwie von "Zimmermädchen" was nehmen sollte. Gar nicht. Das war für ihn jetzt nicht relevant.
Wellinski: Wie arbeitet er mit Ihnen? Wenn er so eine Figur wie Alma erschafft, sagt er Ihnen, so, das ist Ihre Geschichte, daher kommt sie, dahin soll sie, so funktioniert sie, weil im Film selbst erfahren wir von Alma ja relativ wenig.
Krieps: Nein. Er schreibt ein Drehbuch, das wunderschön ist und das einfach ganz viel erzählt. Und mir gab er nur als Information, dass Alma, weil ich aus Luxemburg komme, aus Luxemburg kommt, im Krieg geflohen ist, in England jetzt lebt, und dass sie ihre Mutter verloren hat. Den Rest musste ich irgendwie aus dem Drehbuch nehmen. Da gab es nämlich noch einige Szenen, die sind nicht im Film, zur Back-Story. Und den Rest habe ich mir selbst ausgedacht.
Wellinski: Das will er auch dann, dass die Schauspieler diese Arbeit letztendlich dann selbst leisten?
"Die Beziehung ist auf jeden Fall seltsam"
Krieps: Ja, auf jeden Fall. Er ist dann jemand, der zu dir kommt und sagt, was würde Alma denn da jetzt machen, oder sag doch mal, wie würde Alma da reagieren. Er geht auch ganz stark davon aus, dass man das selbst macht. Ich glaube, wäre ich jetzt dahin gekommen und hätte diese Vorbereitungen nicht gemacht, dann hätte ich doof aus der Wäsche geguckt.
Wellinski: Dieser Film funktioniert ja ganz stark über so einen gewissen Moment, ich würde ihn so beschreiben, dass jemand gerade in eine abgeschlossene Welt eindringt. Wir lernen Reynolds Woodcock kennen, einen ganz großen Modeschöpfer, Modedesigner, der auch so ein bisschen Herr seiner Welt ist. Wenn er frühstückt, müssen alle ruhig sein. Alle wissen, wie sein Tagesablauf ist, keiner stört ihn dabei. Alle lassen sich auch darauf ein, damit er kreativ sein kann. Und dann kommt Alma, dann kommen Sie, und Sie sind ja eigentlich ein reinstes Störfeuerwerk. Die Alma frühstückt laut, sie kocht, obwohl er das gar nicht möchte. Wie würden Sie eigentlich diese seltsame Dynamik in dieser Beziehung beschreiben?
Krieps: Die Beziehung ist auf jeden Fall seltsam und anders als alles, was ich bis dahin so gekannt habe. Deswegen ist auch die Dynamik eine andere wie alles, was ich irgendwie kenne. Aber für mich ist es im Endeffekt ein Tanz, der mal so, mal so hin und her geht und im Endeffekt der verzweifelte Versuch, einen Dialog zu schaffen in einer Beziehung. Weil darum geht es ja im Endeffekt immer, wie man es dann immer wieder schafft, über die Zeiten hinweg, über die Situation hinweg im Dialog zu bleiben.
Wellinski: Ist Alma eine Art Muse für Reynolds, oder ist sie das schon schnell nicht mehr?
Krieps: Ich glaube, am Anfang ist sie eine Muse, und sie wird sehr schnell zu was anderem. Ich glaube, sie wird sehr schnell zu einer Art… vielleicht wird sie plötzlich zu seiner Welt. Sie ist auf einmal seine ganze Welt, und in dieser Welt verliert er selbst sich dann wiederum und muss sich finden. Und dabei hilft sie ihm.
Wellinski: Paul Thomas Anderson hat erst acht Filme gedreht, das ist ja im ersten Moment erst mal gar nicht so viel, aber jeder für sich ist immer ein ganz großes Event auch unter Cineasten. Er ist ein ganz starker Autorenfilmer, wo man immer das Gefühl hat, es geht auch irgendwie um ihn, oder um Dinge, die ihn stark beschäftigen. Erklärt er Ihnen das? Er sagt, ich habe dieses Drehbuch geschrieben, ich wollte das und das ausdrücken, das ist meine Idee?
Krieps: Ich glaube, er selbst sucht, während er den Film macht, so wie ich suche, während ich was spiele und in jedem Satz versuche, was zu finden und rauszufinden, während ich ihn spreche. Und er ist da einfach sehr ehrlich, dass er nicht hingeht und sagt, so, ich will jetzt das damit erreichen, und das ist mein Ziel, sondern dass er sagt, ich habe folgende Ansätze, dieser Film ist entstanden, als ich krank war und gemerkt habe, dass meine Frau mich pflegt. So was sagt er einem dann. Er sagt, dass er sich dann gedacht hat, dass das Ganze in der Modewelt spielt. Aber mehr eigentlich nicht. Das sind alles so lose Teile, die er dir so gibt. Und er selbst weiß vielleicht mehr, weiß vielleicht nicht mehr, man weiß es nicht. Aber er sagt es dir auf jeden Fall nicht.
"Verstehen, wie dieses Kleid getragen werden möchte"
Wellinski: Jetzt spielt das Ganze in der Modewelt, in einer sehr abgeschlossenen Modewelt. Wie schwer war es für Sie, diese Codes und Verhaltensweisen letztendlich zu adaptieren? Sie müssen ja Kleider tragen, wo es ja auch immer wichtig ist als Schauspielerin, dass das Kleid nicht einen trägt, sondern dass man das Kleid trägt. War es leicht für Sie, sich in diese Modewelt hineinzufinden?
Krieps: Ich dachte, es würde sehr schwierig werden. Und ich dachte auch, dass ich das nicht kann und habe festgestellt, dass ich das irgendwie sehr gut kann, weil ich, glaube ich, immer von innen an die Dinge herangehe. Ich hab also nie darüber nachgedacht, wie das Kleid aussieht, sondern immer nur daran gedacht, wie es sich anfühlt. Und über das Anfühlen versucht, zu verstehen, wie dieses Kleid getragen werden möchte. Und deshalb hat es dann doch funktioniert, obwohl ich eigentlich dachte, dass ich das nicht kann. Und sonst habe ich einfach ganz viel gelesen und mir angeguckt, diese Pathé-Filme auf YouTube, diese Schwarzweißfilme, wo man diese ersten Dior-Shows sieht, wie die Models damals ganz anders gelaufen sind, wie die so waren, was auch die Zeit mit denen gemacht hat und die ganzen Regeln und so weiter.
Wellinski: Jetzt spielen Sie an der Seite von Daniel Day-Lewis. Ich überlege gerade, wie ich die Frage am besten formuliere – wie spielt es sich an der Seite von Daniel Day-Lewis? Ist er ein Schauspieler – Sie haben ja mit so vielen schon gespielt –, einfach ein professioneller Darsteller, mit dem man gern spielt, oder ist das schon anders?
Krieps: Es ist erst mal wie jeder professionelle Schauspieler, mit dem man gern spielt. Aber er ist jemand, der extrem konzentriert ist, extrem vorbereitet und es sehr ernst nimmt, was er da macht, was ich jetzt erst mal auch tue. Nur, hier ist es extrem in dem, dass er halt nicht rausbricht. Er bleibt in der Rolle, und bleibt es die drei Monate lang und ist auch nur in der Rolle anzusprechen, zu finden. Ich habe also nur mit Reynolds Woodcock zu tun gehabt. Das war natürlich schon eher intensiv als Erfahrung.
Wellinski: Ist das nicht auch anstrengend? Ganz normal, wenn man dann mal kurz fragen will mit einem Kollegen, wollen wir die Szene jetzt noch mal, und dann spricht man letztendlich immer mit der Figur?
Sich in der deutschen Fassung selbst synchronisiert
Krieps: Erst mal denkt man, das wäre anstrengend, aber man denkt da nicht mehr drüber nach. Das ist dann einfach so. Du denkst nicht darüber nach, wieso kann ich jetzt nicht mit dem Kollegen über die Szene reden. Du merkst auf einmal, dass das überflüssig ist. Braucht es ja gar nicht. Wenn du deine Figur hast und der andere hat die Figur, dann brauchst du nicht drüber reden. Dann kannst du einfach spielen.
Wellinski: Ich habe noch eine Frage. In der deutschen Synchro-Version synchronisieren Sie sich ja selbst. Wie haben Sie das erlebt?
Krieps: Ich habe das schon ein paarmal gemacht, aber neu war, dass ich es auf Französisch und Deutsch synchronisiert habe. Das war einfach sehr anstrengend, Zeit einnehmend und interessant auch zu sehen, wie verschiedene Länder verschiedene Dinge ausdrücken und was so eine Sprache macht mit Worten und Gefühlen.
Wellinski: Frau Krieps, vielen Dank für die Zeit und weiterhin viel Erfolg!
Krieps: Danke sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.