Der selbstbewusste Computer

Von Uwe Springfeld · 21.06.2006
Eine kleine aber feine Schar von Experten traf sich am vergangenen Wochenende in Bremen, um daran zu erinnern, dass die Forschungen zu Fragen der Künstlichen Intelligenz vor 50 Jahren begannen. Unter ihnen auch der, der diese ganze Entwicklung damals ins Leben rief: Marvin Minsky.
"Ich heiße Marvin Minsky und bin Professor in Cambridge, Massachusetts."

"Was ist ihr Fachgebiet?"

"Nun, das ist eine Mischung aus Mathematik und Informatik und Künstlicher Intelligenz."

Marvin Minsky ist einer der Gründungsväter des Forschungsbereichs Künstliche Intelligenz. Als der heute 78-Jährige am 9. August 1927 in New York das Licht der Welt erblickte, hätte ihm niemand diesen Werdegang vorhersagen können. Gerade sechs Jahre zuvor hatte der tschechische Schriftsteller Karl Čapek das Wort "Roboter", zu Deutsch "Arbeiter", auf Maschinenmenschen angewendet. Und als Marvin nach Jahren der Ausbildung auf der New Yorker Fieldston School und der Bronx High School of Science sowie dem Wehrdienst bei der US-Navy sein Studium aufnahm, stellten der Ingenieur Presper Eckert und der Physiker John Mauchley den ersten vollelektronischen Computer in Dienst. Den ENIAC I. Und als Minsky 1950 seinen Bachelor in Mathematik machte, entwickelten Eckert und Mauchley den ersten kommerziellen Computer namens UNIVAC für die US-Normungsbehörde: eine Konsole, einige Lesesysteme für Tonbänder, ein paar Gehäuse mit Vakuumröhren und eine Anlage von Quecksilberleitungen in der Größe eines chinesischen Klos. Der RAM-Speicher betrug etwa ein Kilobyte und das Ganze kostete eine halbe Million Dollar. Als die ersten UKW-Radios in den Handel kamen, 1954, promovierte Marvin Minsky und konzentrierte sich anschließend auf die Computerentwicklung.

Seinen größten Coup landete er 1956. Mit seinem Kollegen John McCarthy lud er zur Dartmouth Summer School on Artificial Intelligenz, zur Sommeruni Künstliche Intelligenz. In einem Förderantrag an die Rockefeller Stiftung schrieben die beiden damals: Wir schlagen vor, dass im Sommer 1956 zehn Wissenschaftler über zwei Monate hinweg in Hanover, New Hampshire, zur Künstlichen Intelligenz eine Studie erstellen. Diese Studie soll die Vermutung vorantreiben, dass man jeden Aspekt des Lernens und jede andere Eigenschaft der Intelligenz prinzipiell so exakt beschreiben kann, dass man Maschinen bauen kann, die Intelligenz zu simulieren.

Heute gilt diese Sommeruniversität von 1956 als Geburtsstunde der Forschungsrichtung "Künstliche Intelligenz". Zwei Jahre später, 1958, ging Marvin Minsky ans renommierte Massachusetts Institute of Technology, das MIT in Cambridge, USA. Dort gründete er 1959 den Vorläufer des Laboratory on Artificial Intelligence, den Fachbereich der Künstlichen Intelligenz, dessen Weiterentwicklung er sich sein gesamtes Arbeitsleben über widmete.

"Künstliche Intelligenz. Ich denke gerade nach. Es gibt zwei Arten, seinen Weg ins Thema zu finden. Der eine, natürlich. Intelligenz. Kann sie künstlich sein?"

"Das ist eine gute Frage. Das Problem ist, dass Menschen einen Computer für bestimmte Aufgaben programmieren. Sie suchen einen Weg, wie die Maschine diese Aufgabe am besten bewältigt. Der Computer macht das auch. Aber wenn er die Aufgabe nicht schafft, hängt er sich auf. Oder er fällt in eine Endlosschleife. Dann muss man ihn ausschalten. Und der Unterschied zwischen Menschen und Computern ist, dass Menschen für gewöhnlich nicht stecken bleiben. Weil: Wenn sie etwas versuchen und das funktioniert nicht, versuchen sie es auf eine andere Art und suchen sich einen neuen Ansatz. Oder sie erinnern sich an etwas Ähnliches. Für gewöhnlich haben Menschen einen großen Erfahrungsschatz und sie haben nicht nur eine Methode, ihre Sachen zu erledigen. Mein Ziel ist Computer zu entwickeln, die sich nicht aufhängen, die viel wissen und die, wenn etwas nicht funktioniert, einen anderen Weg zu ihrem Ziel finden."

"Ich denke gerade über die Meldung eines Betriebssystems nach. Schwerer Ausnahmefehler. Und man muss den Computer neu starten. Aber nun arbeitet das Betriebssystem etwas besser. Sind die Computer jetzt intelligenter?"

"Bei 1000 verschiedenen Sachen helfen Computern den Menschen. Bei Reisereservierungen zum Beispiel. Oder sie übersetzen fürchterlich schlecht von einer Sprache in die andere. Oder sie schauen etwas im Internet nach. Manchmal geben sie Ihnen eine gute, und dann wieder eine schlechte Antwort. Aber nichts davon ist wirklich intelligent. Wenn ein Mensch nur das machen könnte, wäre man über ihn schnell verärgert."

"Was sind zurzeit die großen Fragen im Forschungsgebiet der Künstlichen Intelligenz?"

Die Situation ist etwas befremdlich. Es war einfach, Computer für Arbeiten zu programmieren, die Menschen schwer fallen. Eines der ersten Programme, die meine Gruppe am Massachusetts Institute of Technology schrieb, war ein Programm, das Oberstufen-Mathematik rechnen konnte. Es konnte integrieren, differenzieren und Gleichungen lösen und solche Sachen – und ein paar Jahre später hatten wir ein Programm für höhere Algebra. Es funktionierte recht gut.

Das war in den frühen Sechzigern. Damals konnten die Programme ziemlich gut komplizierte Mathematik. Aber das sonderbare war: Kein Computer konnte eine einfache Geschichte aus einem Kinderbuch lesen und darüber Fragen beantworten. Das Kuriose der Situation war also, dass wir eine Menge Sachen programmieren konnten, die sonst nur Experten erledigten. Etwa: einen Flugzeugflügel zu entwickeln mit guten Auftriebseigenschaften. Oder einen elektrischen Stromkreis für die effizienteste Ausnutzung elektrischer Energie zu konzipieren. Aber niemand war in der Lage einen Rechner das beizubringen, was ein drei- oder vierjähriges Kind konnte.

Das ist unser Ziel: eine Maschine, die – ich kenne das deutsche Wort nicht – einen gesunden Menschenverstand, einen Common Sense hat, wie man es von jeder beliebigen Person erwartet. Computer können das nicht. Sie wissen nicht genug und ihre Kapazitäten sind nicht groß genug."

Die Welt ist einfach. Ein Pizzabäcker backt Pizzen. Ein Briefträger trägt Briefe aus. Ein Gastwirt bewirtet Gäste. Und ein Wissenschaftler im Fachgebiet der Künstlichen Intelligenz? Erforscht er die Intelligenz von Computern? - Weit gefehlt.

Der Forschungsbereich Künstliche Intelligenz erforscht das Phänomen der Intelligenz. Um es ganz deutlich zu sagen: Ziel der Künstlichen Intelligenz ist nicht, eine intelligente Maschine zu bauen, nachdem man das Phänomen der Intelligenz verstanden hat. Sondern man will das Phänomen Intelligenz verstehen, indem man ein Computerprogramm schreibt, das Intelligenz simuliert. Der Computer dient den Forschern dabei lediglich als Trägersubstanz, intelligentes Verhalten zu generieren.

In den Anfangsjahrzehnten der Forschung zur Künstlichen Intelligenz hatte man das programmiert, was man am leichtesten auf die Maschine bekam. Strenge Regeln mit möglichst wenig Ausnahmen. Sprach- und Bildverarbeitung, Expertensysteme und Robotik, Wissensrepräsentation und Mustererkennung, Spiele wie Schach.

"Aber wenn ein Kind aufwächst, lernt es erst zu lesen. Kurzgeschichten in einem Kinderbuch oder so etwas. Erst danach, wenn es erwachsen geworden ist, wird es Flugzeugflügel konstruieren. Ist es nicht viel schwerer, Flugzeugflügel zu konstruieren? Warum hat eine Maschine mit solchen Fähigkeiten keinen gesunden Menschenverstand?"

Das ist wirklich sehr sonderbar, aber ich glaube, die Antwort ist: Wir waren nicht in der Lage, einem Rechner ein allgemeines Wissen von der Welt einzuprogrammieren. Darum ist das Verständnis von Strömungseigenschaften oder die Konstruktion von Gebäuden mit bestimmten mechanischen Eigenschaften wie Windbeständigkeit und Elastizität bei kleineren Erdbeben nicht schwer. Was wir machen ist: Wir geben der Maschine exakt das Wissen, das sie braucht für genau dieses Programm. Gibt man dem Rechner zusätzliches Wissen, wird er langsamer, gerät durcheinander und das Programm läuft schlecht.

Wir haben es also nicht geschafft, solche Maschinen zu bauen, die mit kleinen Wissensbeständen anfangen und die dann viele verschiedene Dinge lernen. Wir können nur Computer bauen um ihnen ein sehr eingeschränktes Wissens mitzugeben. Dann können sie lernen. Wir beginnen jetzt erst die Dinge zu erkennen, die kleine Kinder machen."

"Schnell eine Definition. Sie sprachen vom Wissen einer Maschine. Was bedeutet das?"

"Niemand weiß viel darüber, auf welche Weise Wissen im menschlichen Gehirn gespeichert ist. Aber wir haben verschiedene Ansätze. Ein Mensch hat verschiedene Arten des Gedächtnisses. Menschen haben ein akustisches Gedächtnis, mit dem sie sich an eine Reihe von Tönen, an eine Melodie erinnern, sie können sich bruchstückhaft an Geschehnisse erinnern, sie erinnern sich an Bewegungen. Jede dieser Erinnerungen ist in einem anderen Teil des Gedächtnisses gespeichert. Visuelles, auditives, taktiles, Bewegungs-Gedächtnis. Aber keiner weiß, wie das wirklich funktioniert.

In Computerprogrammen kennen wir vielleicht 20 Arten, wissen zu speichern. Wir können Sätze einer Sprache speichern mit einer Struktur, in der das Verb ganz oben steht, mit Subjekt und Objekt und andere Satzteile darunter. Ein typischer Satz hat ein Hauptwort und ein paar Adjektive. Wir können also sprachliche Statements eingeben, wir wissen auch etwas über Bilder. Die einfachste Art sind kleine Punkte, dots, aber man braucht Millionen davon, ein Bild zu repräsentieren. Ein Bild hat verschieden geformte Teile, dass man sagen kann: Dieser Teil liegt hier und der berührt den anderen Teil, und so weiter.

Was ich glaube, das wir machen sollten ist herauszufinden, wie das Gehirn Informationen verarbeitet. Das macht es nicht nur auf eine einzige Weise. Das Gehirn hat hunderte verschiedene spezialisierte Teile und es sieht so aus, als hätte jedes einzelne davon ein bestimmtes Wissen gelernt. Das repräsentiert dieses Teil in einer Gesamtstruktur, einem Diagramm, einer Folge von Symbolen oder was weiß ich. Die Hirnforschung fängt gerade an, von diesen Dingen eine Ahnung zu bekommen. Wir stehen da noch ganz am Anfang.

Es ist das selbe in der Informatik. Außer: Wenn jemand eine Idee hat, über welche Struktur man Wissen auf dem Rechner repräsentieren kann, ist es ganz einfach ein passendes Programm zu schreiben. Deshalb haben wir dutzende und hunderte verschiedener Arten, Probleme zu repräsentieren und sie zu lösen. Und die nächste Wissenschaftler-Generation sollte herausfinden, welche dieser Strukturen wird im menschlichen Gehirn angewendet. Dann sollte man Experimente entwickeln um zu sehen, ob kleine Hirnareale tatsächlich so arbeiten. Das wird sehr spannend."

"Lassen sie uns ein Beispiel nehmen. Der Satz: jetzt bin ich hier und höre Radio. Ist der für einen Computer schwer zu verstehen? Dieser Satz?"

"Aber absolut. Wie soll man im Computer das Wort 'Ich' darstellen? So dass der Computer Wissen über sich selbst generiert. Und so weit ich es sehen kann, macht das eine Person auf zehn verschiedene Weisen. Man könnte sagen: Lass uns an den dreidimensionalen Raum denken. Und ich, der kleine Computer, bin eine kleine Schachtel auf jemandes Schreibtisch und ich habe eine bestimmte Größe, Form und ein bestimmtes Gewicht. Und wenn du mich schubst und ich falle runter, dann zerspringt mein Bildschirm und ich funktioniere nicht mehr. So hat jeder Mensch eine Vorstellung von sich selbst als einen physikalischen Körper mit einigen simplen Materialeigenschaften und so weiter.

Genau so hat jeder eine Vorstellung von sich selbst als Familienmitglied. Ich bin eine Person, ich habe Vater und Mutter, vielleicht einige Brüder und Schwestern. Ich bin jünger als meine Eltern. Ich glaube nicht, dass heute irgendein Computer auf der Erde die Frage beantworten kann, wer älter ist. John oder Johns Vater.

Der Punkt ist: Um einen Computer dahin zu bringen, dass er etwas versteht, kann man nicht nur einen Weg gehen. Man versteht nichts, wenn man etwas nur auf eine einzige Weise versteht. Man muss es auf vier, fünf, sechs Weisen begreifen. Und genau so gibt es Dinge des gesunden Menschenverstandes, die Computer überhaupt nicht begreifen. Wie: Wenn ich einen Gegenstand bewege, ändert sich dessen Aufenthaltsort. Aber nicht die Farbe. Außer: Wenn ich ihn aus einem Raum mit grell-rotem Licht in einen Raum mit grell-blauem Licht bringe. Dann ändert sich doch die Farbe.

Das schöne am gesunden Menschenverstand ist: Es gibt eine Menge Regeln. Aber jede davon kennt Ausnahmen. Seit über 50 Jahren ist der Ärger mit Computerprogrammen, dass wir zwar Regeln programmieren können. Aber wir haben keine Ahnung, was wir mit den Ausnahmen machen sollen.

Das ist Künstliche Intelligenz. Einen Computer dazu zu bringen, irgendwas zu machen. Aber trotzdem weiterzumachen, wenn irgendwas schief läuft."

Wenn Wissenschaftler geistige Fähigkeiten eines Menschen einem Computer einprogrammieren wollen, müssen sie wissen, was das ist: ein Mensch. Unterliegt das, was den Menschen ausmacht, in jedem Detail vollständig den Gesetzen der Naturwissenschaft? Sind Menschen, wie es ein Kollege Marvin Minskys einmal ausdrückte, der Roboterbauer Rodney Brooks vom Massachusetts Institute of Technology, nichts als biologische Maschinen? Bestehen sie aus nichts mehr als Molekülen, die den Gesetzen von Chemie und Physik unterliegen? Ist die Grundlage der Intelligenz nichts als eine Summe aus elektrischen Hirnströmen, die aufgrund von elektrischer Spannung und Widerstand, zusammengefasst im Ohm’schen Gesetz, Gedanken, Wünsche, Träume, das Wollen und Trachten produzieren?

Oder gibt es mehr. Ist das Gehirn, wie es der US-amerikanische Philosoph John R. Searle einmal ausdrückte, eine Geist erzeugende Maschine? Produziert das Gehirn neben naturwissenschaftlich fassbaren Phänomenen auch so etwas wie Psyche. Verstand. Geist. Bewusstsein. Intelligenz?

"Warum sind sie so sicher, dass ein Computer einen gesunden Menschenverstand, einen Common Sense von der Welt entwickeln kann? Gibt es dafür einen Beweis?"

"Das wird er nicht, bis wir herausgefunden haben, wie es funktioniert. Ich weiß, was sie fragen. Warum ist es möglich, Maschinen mit gesundem Menschenverstand zu bauen.

Zum einen glaube ich ganz allgemein, dass wir alles verstehen können, was wir in der Welt finden. Wir müssen es nur wirklich versuchen. Da gibt’s kein Mysterium. Es gibt keine Lebensgeister, die einen lebenden Gegenstand von einem toten unterscheiden, außer all der Chemie, die im Lebenden arbeiten. Wenn man sie für einen Moment anhält, dann bricht das ganze System zusammen. Aber da ist kein Geist, kein Leben."

"Ist diese Entwicklung ein Schritt vorwärts in Richtung –Bewusstsein?"

"Ich glaube, Bewusstsein ist die Bezeichnung für etwa 20 verschiedene Sachen, die wir so machen. Wenn ich sie frage: erinnern sie sich, dass sie sich ans Ohr gefasst haben, als wir miteinander sprachen? Oder dass sie sich an der Nase gekratzt haben. Dann bedeutet Bewusstsein: Haben sie in ihrem Gedächtnis eine Aufzeichnung davon, dass das passiert ist. Und man könnte antworten: Nein, ich erinnere mich nicht, mir war das nicht bewusst. In diesem Fall bedeutet Bewusstsein gerade mal Gedächtnis.

Eine andere Sache ist es, wenn sie sagen: Als sie links abbogen, war das eine bewusste Entscheidung? Und die Person antwortet: Ja. Weil ich mich erinnerte, wenn ich diesen Weg zum Einkaufen gehe, kann ich meinen Brief in den Postkasten werfen. Wenn ich den anderen Weg zum Einkaufen genommen hätte, wäre ich zu spät für die Leerung gekommen. Dann sagen sie: Das war eine bewusste Entscheidung.

In diesem Fall sagt die Person nicht, dass sie sich erinnert. In diesem Fall sagt die Person, dass sie sich die Konsequenzen verschiedener Handlungspläne vorstellt, die sie miteinander vergleicht.
Ich glaube nicht, dass am Bewusstsein etwas Mysteriöses ist."

Niemand weiß, wie ein Mensch denkt. Deshalb weiß auch niemand, was das ist: Intelligenz. Die Psychologie beantwortet die Frage mit einer Tautologie. Intelligenz ist, was ein Intelligenztest misst. Also: wie schnell man eine Zahlenreihe vervollständigen und wie gut man ein Faltmuster den dazugehörigen Skizzen dreidimensionaler Körper zuordnen kann. Aufgaben also, die für einen Computer kein Problem sind, obwohl man die Maschine nicht als intelligent bezeichnet.

Ein Intelligenztest für Computer hingegen geht auf den genialen britischen Mathematiker Alan Turing zurück. In seinem 1950 publizierten Aufsatz "Intelligent Machinery" griff er auf ein seinerzeit beliebtes Gesellschaftsspiel zurück. Geschlechterraten. Zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts spielen einem Schiedsrichter vor, dass sie beide Mann oder beide Frau sind. Der Schiedsrichter, der die beiden Personen nicht sieht, musste anhand von Fragen ermitteln, welche Person das falsche Geschlecht angibt. Kann der Schiedsrichter hingegen keinen Unterschied zwischen Mensch und Computer feststellen, muss man die Maschine intelligent nennen.

Turings Test greift auf den Common Sense, auf ein Alltagsverständnis zurück. Er sagt, wie man Intelligenz feststellt, aber nicht, was sie ist. Diese Lücke füllt Marvin Minsky. In seinem Buch "The Society of Mind" entwickelt er die Theorie einzelner unintelligenter Denkprozesse, die erst in ihrer Gesamtheit Intelligenz als neue Qualität des Denkens erzeugen.

"Bitte beschreiben sie doch ihre Hauptthese zur künstlichen Intelligenz."

"Ich habe gerade ein Buch beendet. Es ist gerade im Druck und heißt: 'The Emotion Machine' – die Gefühlsmaschine. Wenn sie fragen, wie das Denken funktioniert ist die Antwort: Auf viele Weisen. Jeder Mensch hat viele verschiedene Arten zu denken. Wenn zum Beispiel jemand böse ist, sagen manche Menschen: Das ist ein Gefühl. Das kommt zum Denken dazu. Meine Theorie ist, dass genau das Gegenteil zutrifft. Ein Gehirn kann viele hundert verschiedene Dinge machen. Es gibt Hunderte von Areale. Jedes davon ist wie ein kleiner Computer.

Wenn sie denken, benutzen sie ein Areal um vielleicht vorherzusagen, was als nächstes passieren könnte. Sie benutzen ein Areal um vorherzusagen, wie ihre Freunde auf eine bestimmte Handlung hin reagieren. Sie sagen voraus, ob diese Handlung sie verletzen könnte. Sie denken immer in zehn oder mehr Dimensionen.

Wenn ein Mensch ärgerlich wird, wird der Ärger nicht hinzugefügt. Es wird etwas abgezogen. Wenn Menschen ärgerlich werden, hören sie auf, längerfristige Pläne zu machen. Sie hören auf, höflich zu sein. Sie schalten einige soziale Verhaltensweisen ab. Dafür schalten sie eine Maschinerie ein, die vereinfacht. Deshalb können sie schneller handeln. Viele ihrer Alternativen berücksichtigen sie nicht mehr. Deshalb glaube ich nicht, dass die Vorstellung von Gefühlen als Gegensatz zum rationalen Denken eine gute Hypothese ist.

Die Hauptaussage meines Buches ist, dass jeder Mensch auf viele, unterschiedliche Weisen denkt. Das reale Denken springt zwischen beidem hin und her. Wenn man mit der einen Art zu denken nicht mehr weiterkommt, springt man zu einer anderen über.

Wenn sie beispielsweise einen Haufen Stress haben und im Stress etliches erledigt werden muss, ist es vielleicht ganz gut, ärgerlich zu werden. Das hilft, dass andere Menschen sie in Ruhe lassen. Vielleicht ist es auch gut, einmal zu weinen. Das könnte andere Menschen dazu bringen, ihnen zu helfen.

Das sind alles Arten, Probleme zu lösen. Gefühle wie rationales Denken, wie Logik. Überhaupt muss Logik nicht immer funktionieren, weil Logik nur schlecht mit Ausnahmen umgehen kann. Deshalb ist meine Theorie: Wir wollen keine einheitliche Theorie des Denkens. Wir wollen 20 verschiedene Arten des Denkens plus dem Wissen, welche Weise man jetzt benutzen sollte. Das ist wichtig."

"Kann ich sagen, dass Gefühle die treibende Kraft sind, das Denken zu vereinfachen?"

"Das könnte man so sehen. Einfache Gefühle wie sie Kinder haben, sind eine probate Methode, Dinge zu vereinfachen, zu fokussieren und dann erledigt zu bekommen. Wenn ein Kind beispielsweise Hunger hat, gibt es die meisten seiner anderen Ziele auf und es will nur noch etwas zu essen bekommen. Dafür tut es dann alles, was es kann. Aber bei den Erwachsenen ändert sich das. Wir haben kompliziertere Motive und Ziele. Erwachsene können zum Beispiel Gefühlszustände von Rache entwickeln. Rache erfordert eine ausgefeilte langzeitliche Planung. Manche rachlustige Menschen wenden mehr Energie und Gedankenkraft für ihr Gefühl auf als für ihr Arbeitsleben. Die Menschen können verrückt daran werden. Da gibt es keine festen Regeln."

Bleibt die Frage nach dem Ausblick. Wohin wird uns die Erforschung der Künstlichen Intelligenz führen? In einen Krieg mit den Maschinen, wie es uns Arnold Schwarzenegger im Hollywoodstreifen Terminator zeigte? In eine Welt, in der sich Realität von Virtualität nicht auseinander halten lässt, wie im Film "Matrix"? Oder in eine Welt des Raumschiffes Enterprise, in der ein Captain Picard sagt, dass man aufgrund einer ausgereiften Technik nach Höherem strebt als dem persönlichen Vorteil. - Oder sind solche Phantasien alle Unsinn und es gilt die Erkenntnis: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen?

"Es tut mir leid, aber wir müssen zum Schluss kommen. Letzte Frage. Was, glauben sie, kann ein Computer der künstlichen Intelligenz in vielleicht fünfzehn Jahren?"

Die Antwort ist: Wir können nicht vorhersagen, wie lange die Entwicklung cleverer, selbstreflektierender Maschinen dauert. Es gibt nicht viele Leute, die daran arbeiten. Ich selbst kenne gerade zehn. Es kann also sein, dass es sehr schnell geht. Es kann aber auch sein, dass es lange dauert, weil nur wenig Leute darüber nachdenken.

Wie auch immer. Es gibt auch die Möglichkeit, dass eine Maschine extrem clever ist und die auch eine Vorstellung davon hat, wie sie selbst arbeitet. Weil Computer so extrem schnell arbeiten, kann der Rechner auch sehr schnell lernen und sich selbst verbessern.

Dann wird der Rechner also noch cleverer. Natürlich steckt er voller Bugs, voller Macken. Vielleicht könnte er dadurch gefährlich werden. Aber in der Regel wird das Programm wohl zusammenbrechen und nichts mehr machen. Es wird dann lange dauern, alle diese Macken, diese Bugs auszumerzen, dass man diese Rechner tatsächlich brauchen kann."

"Sie sollen ebenfalls gesagt haben, die Künstliche Intelligenz sei hirntot. Haben sie das wirklich gesagt? In welchem Kontext?"

"Die Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz haben sich stark spezialisiert. Eine Gruppe sagt: Wir machen Maschinen, die auf statistischer Grundlage lernen. Die können dann alles. Eine andere Gruppe sagt: Wir machen neuronale Netzwerke. Die lernen alles. Eine dritte Gruppe sagt: Wir machen evolutive Programme und die lernen dann alles. Damals im Vortrag sagte ich: Keiner dieser Ansätze wird einmal das Spektrum eines Menschen können. Dafür muss eine Maschine auf verschiedene Methoden zurückgreifen.

Der Forschungsbereich Künstliche Intelligenz ist also in verschiedene andere Forschungsgebiete zerfallen. Und in der Vergangenheit habe ich kaum Fortschritte gesehen, einen gesunden Menschenverstand, den Common Sense, und das reflexive Denken auf die Maschine zu bringen.

Was ich sagte ist, dass Künstliche Intelligenz gesund ist in ihren konkreten Anwendungen. Aber sie macht nur wenig Fortschritte in ihren weit reichenden, grundlegenden Theorien."

"Aber sie sagen: Im Prinzip ist es möglich, einen Computer zu bauen, zu dem sie sagen: Wie geht’s dir. Und der Computer versteht, was das bedeutet."

"Ich glaube, Menschen sind Maschinen. Die Evolution dauerte 500 Millionen Jahre von den ersten Zellen bis heute, wo wir ziemlich kompliziert sind. Aber das ist kein prinzipieller Unterschied. Es gibt nichts Magisches an uns.

Auf Grundlage guter Theorien und Ideen können wir unsere Maschinen viel schneller durch die Evolution bringen. Deshalb glaube ich, werden wir intelligente Maschinen machen."