Der selbstlose Mensch
Der Mensch ist kein gieriger Egoist, sondern ein altruistisches Wesen. So lautet die These des Autors, der sich mit den Vorteilen selbstlosen Handelns beschäftigt und dabei auch einen fundierten Überblick über den aktuellen Stand der Forschung gibt.
Was ist der Mensch – dem Menschen ein Wolf oder von Natur aus gut? In seinem neuen Buch "Der Sinn des Gebens" schlägt sich auch der Wissenschaftsjournalist und Autor Stephan Klein auf die Seite derer, die den Menschen als selbstloses und nach Gerechtigkeit strebendes Wesen verstehen, statt als gierigen Egoisten. Um dieses Menschenbild zu untermauern nimmt Klein seine Leser mit auf eine faszinierende Reise in das Reich der Freundlichkeit und ihres evolutionsbiologischen Nutzens.
In einer Mischung aus aktuellen Studien, biographische Glanzlichtern und geisteswissenschaftlichen Bezügen beleuchtet Klein Vor- und Nachteile altruistischen Handelns; wie schon in der "Glücksformel" ist es sein besonderer Verdienst, sich seinem Thema so informativ wie unterhaltsam zu nähern. Das neue Buch hat zwei Teile – den ersten widmet der Autor dem Verhältnis der Menschen untereinander. Er beschreibt, wie sich in Experimenten wie dem "Vertrauensspiel", das die Großzügigkeit Fremden gegenüber untersucht und gelingende Zusammenarbeit belohnt, herausstellte, dass selbstloses Verhalten und ein gewisses Grundvertrauen für beide Parteien eine wesentlich gewinnbringendere Strategie sind als blanker Eigennutz – aber nur, wenn es den Altruisten möglich ist, Trittbrettfahrer zu bestrafen. Hier spricht Klein vom "Homo reciprocans": Wie du mir, so ich dir.
Studien belegen, dass uns ein Empfinden für Gerechtigkeit tatsächlich angeboren ist, ebenso wie die Bereitschaft, Regeln zu folgen; Klein schließt daraus, dass es eine evolutionäre Notwendigkeit für Normen und Gesetze gibt. Denn eine Gesellschaft braucht Handhabe, Schmarotzer zu entlarven und ihren Mitgliedern ungestörte Kooperation zu ermöglichen. Von gegenseitigem Misstrauen geprägte Gemeinschaften haben meist einen niedrigen Lebensstandard – der wiederum egoistisches Verhalten fördert.
Im zweiten Teil seines Buches untersucht der Autor das Aufkommen der Selbstlosigkeit und stellt fest, dass nicht Intelligenz am Anfang der Menschheitsentwicklung steht, sondern Freundlichkeit. Erst nachdem unsere Vorfahren gelernt hatten, bei der Kinderaufzucht und der Jagd zu kooperieren, entstand ein Überfluss an Zeit und Nahrung, der soziokulturellen Fortschritt ermöglichte. Und der Autor stellt fest: Am Anfang unserer Menschwerdung stehen Empathie und die Fähigkeit, zu teilen.
Diese Verbundenheit muss nicht auf die eigene Gruppe beschränkt sein. Vor gut 2500 Jahren kam es zu einem gewaltigen und evolutionär nicht ganz nachvollziehbaren Sprung vom lokalen zum globalen "Wir". Alle Weltreligionen formulierten damals eine eigene Version der "Goldenen Regel": "Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du."
Die Einsicht, dass uns mehr eint, als trennt, ist die zentrale These von Kleins überaus lesenwertem Buch. Denn nicht Eigensucht sichert das Überleben des Einzelnen und der Gruppe, sondern Kooperation und Hilfsbereitschaft, gegründet auf Mitgefühl und Wohlwollen. Klein schließt mit einer Studie, die belegt, dass es ihre Teilnehmer gegen ihre eigene Erwartung glücklicher machte, 50 Euro zu verschenken, als sie für sich auszugeben. Vielleicht ist doch alles ganz einfach: Geben ist der Sinn des Lebens.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Stefan Klein: Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2010
288 Seiten, 18,95 Euro
In einer Mischung aus aktuellen Studien, biographische Glanzlichtern und geisteswissenschaftlichen Bezügen beleuchtet Klein Vor- und Nachteile altruistischen Handelns; wie schon in der "Glücksformel" ist es sein besonderer Verdienst, sich seinem Thema so informativ wie unterhaltsam zu nähern. Das neue Buch hat zwei Teile – den ersten widmet der Autor dem Verhältnis der Menschen untereinander. Er beschreibt, wie sich in Experimenten wie dem "Vertrauensspiel", das die Großzügigkeit Fremden gegenüber untersucht und gelingende Zusammenarbeit belohnt, herausstellte, dass selbstloses Verhalten und ein gewisses Grundvertrauen für beide Parteien eine wesentlich gewinnbringendere Strategie sind als blanker Eigennutz – aber nur, wenn es den Altruisten möglich ist, Trittbrettfahrer zu bestrafen. Hier spricht Klein vom "Homo reciprocans": Wie du mir, so ich dir.
Studien belegen, dass uns ein Empfinden für Gerechtigkeit tatsächlich angeboren ist, ebenso wie die Bereitschaft, Regeln zu folgen; Klein schließt daraus, dass es eine evolutionäre Notwendigkeit für Normen und Gesetze gibt. Denn eine Gesellschaft braucht Handhabe, Schmarotzer zu entlarven und ihren Mitgliedern ungestörte Kooperation zu ermöglichen. Von gegenseitigem Misstrauen geprägte Gemeinschaften haben meist einen niedrigen Lebensstandard – der wiederum egoistisches Verhalten fördert.
Im zweiten Teil seines Buches untersucht der Autor das Aufkommen der Selbstlosigkeit und stellt fest, dass nicht Intelligenz am Anfang der Menschheitsentwicklung steht, sondern Freundlichkeit. Erst nachdem unsere Vorfahren gelernt hatten, bei der Kinderaufzucht und der Jagd zu kooperieren, entstand ein Überfluss an Zeit und Nahrung, der soziokulturellen Fortschritt ermöglichte. Und der Autor stellt fest: Am Anfang unserer Menschwerdung stehen Empathie und die Fähigkeit, zu teilen.
Diese Verbundenheit muss nicht auf die eigene Gruppe beschränkt sein. Vor gut 2500 Jahren kam es zu einem gewaltigen und evolutionär nicht ganz nachvollziehbaren Sprung vom lokalen zum globalen "Wir". Alle Weltreligionen formulierten damals eine eigene Version der "Goldenen Regel": "Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du."
Die Einsicht, dass uns mehr eint, als trennt, ist die zentrale These von Kleins überaus lesenwertem Buch. Denn nicht Eigensucht sichert das Überleben des Einzelnen und der Gruppe, sondern Kooperation und Hilfsbereitschaft, gegründet auf Mitgefühl und Wohlwollen. Klein schließt mit einer Studie, die belegt, dass es ihre Teilnehmer gegen ihre eigene Erwartung glücklicher machte, 50 Euro zu verschenken, als sie für sich auszugeben. Vielleicht ist doch alles ganz einfach: Geben ist der Sinn des Lebens.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Stefan Klein: Der Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen
S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 2010
288 Seiten, 18,95 Euro