Der Sezierer mit der Kamera

Moderation: Ulrike Timm |
Der Regisseur Michael Verhoeven sorgte mit seinen Filmen "Die weiße Rose" und "Das schreckliche Mädchen" in den 1980er Jahren für Aufsehen, weil sie an die verdrängte Nazizeit erinnerten. Während seiner Kindheit habe sich niemand daran erinnern wollen, sagt der Regisseur. Er habe versucht, "sozusagen versteckte Tumoren offenzulegen".
Ulrike Timm: Einer der vielseitigsten und eindringlichsten Regisseure, die wir haben, wird 75 Jahre alt, Michael Verhoeven. Am bekanntesten vielleicht immer noch "Die weiße Rose", der Film über den Widerstand der Geschwister Scholl hatte 1982 sogar politische Folgen. Als junger Mann sprengte Michael Verhoeven die Berlinale mit seinem experimentellen Film "o.k.", und berühmt wurde auch "Das schreckliche Mädchen", eine Schülerin recherchiert über ihre Stadt im Dritten Reich und läuft gegen Wände. Die Nazizeit ist überhaupt immer wieder Thema seiner Filme, die letzten waren dokumentarischer Art, "Der unbekannte Soldat" und "Menschliches Versagen".

Michael Verhoeven hat aber auch ganz andere Töne als Regisseur und Drehbuchautor, etwa wenn er mit seiner Frau Senta Berger zum Unterhaltungs-Dream-Team des Fernsehens wurde, zum Beispiel für die TV-Serie "Die schnelle Gerdi". Michael Verhoeven, guten Morgen!

Michael Verhoeven: Ja, auch guten Morgen! Schönen Dank, Sie haben alles schon gesagt, dann könnten wir eigentlich jetzt schon Schluss machen!

Timm: Eigentlich wollen wir weitermachen! Ich wollte Sie erst mal fragen: Beine baumeln, Schneidetisch oder große Fete? Verraten Sie uns, wie Sie Ihren Ehrentag verbringen?

Verhoeven: Ja, ich bin eigentlich geflüchtet. Das heißt, ich werde dann geflüchtet sein, weil ich eigentlich nur so mit Senta zusammen sein will. Nicht dass mich die Familie zu sehr anstrengt, die strengt ja gar nicht an, aber dann ist schon ziemlich viel Rummel hier so, mit Firma und ich mache ja gerade einen neuen Film oder fange gerade an. Und dann wollen einfach sehr viele Menschen netterweise zeigen, dass sie mich mögen oder so, in dieser Art, und dann wird das ein bisschen viel. Deswegen haue ich ab.

Timm: Sie haben so charmant gesagt, ich hätte schon alles angerissen an Filmen, das stimmt aber nicht. Wenn man die Liste all dessen, was Sie gemacht haben, mal durchgeht, dann kommt man auf propere eng beschriebene zwei DIN-A4-Seiten. Ein bisschen habe ich herausgegriffen! Was sind denn für Sie selbst ganz besonders wichtige Arbeiten?

Verhoeven: Na ja, das ist wahrscheinlich eine biografische Sache. Mein erster Film natürlich als Produzent und Regisseur, das ist war eine Literaturverfilmung, das war Strindbergs "Totentanz", ein sehr schwieriges Theaterstück. Und ich habe mir halt eingebildet, das müsste mein erster Film sein. War es auch, war aber dann ganz wunderbar, ich hatte so tolle Schauspieler, ich hatte die Lilli Palmer, den Karl-Michael Vogler, der damals ein wirklicher Theaterstar war hier in München, und vor allen Dingen meinen Vater in der Hauptrolle. Und das war schon wirklich toll, weil sich da das Schiffchen gedreht hat. Ich habe ja viel unter seiner Regie gespielt. Und das war schon auch ein bisschen aufregend, jetzt dann ihn zu inszenieren.

Timm: Sie haben ja auf ganz eigene Art gegen die berühmte Schauspielerfamilie rebelliert, aus der Sie stammen, Sie sind nämlich ausgebildeter Arzt. Was ganz Bürgerliches also! Und haben promoviert mit einer Arbeit über bösartige Hirntumore, die sich maskieren, die sich verstecken. Ich verstehe nun gar nichts von Medizin, hatte aber sofort die Assoziation, da gibt es doch innere Verbindungslinien zwischen dem, was Sie als Mediziner besonders interessiert hat, und dem, was Sie als Filmemacher immer wieder gemacht haben. Ist da was dran oder wäre das totale Überinterpretation?

"Versteckte Tumoren offenlegen"

Verhoeven: Ja, das ist eine Parallele, die ganz stark in meinem ersten Film ist, wo man nicht drauf kommt gleich, weil Strindberg, "Totentanz", so Ehekrieg und so was. Das haben viele damals nicht gleich verstanden, dass das eben für mich eine Geschichte war der Lebenslüge. Weil wenn Sie das Theaterstück kennen oder meinen Film, das wäre noch viel schöner, wenn Sie meinen Film kennen, da ist es so, dass er sich was einredet und seiner Frau was einredet, was nicht war, und sie ihm auch. Sie glaubt, sie war ein großer Star als Sängerin, und wir wissen, das war nicht, und er glaubt, er ist ein großer Politiker und Machthaber und so. Und das war mein sozusagen Beispiel aufs ganz Kleine bezogen von dem, was ich so erlebt hatte in den 50er-Jahren.

Weil die Nazizeit kenne ich ja nur als Kind, das habe ich nicht so wahrgenommen, ich habe nur wahrgenommen, dass es sozusagen eine Nazizeit in Deutschland ja nie gegeben hat, weil sich niemand daran erinnern konnte! Und nur die Leute, die Opfer waren sozusagen, die konnten sich erinnern.

Und das hat mich schon sehr interessiert, weil eben, Sie müssen sich vorstellen, meine Lehrer in der Schule, im Gymnasium, das waren natürlich alles Nazis mal gewesen. Und dass sie es immer noch waren, hat man gemerkt an dem, wie sie uns geprügelt haben zum Beispiel. Also, da habe ich schon versucht, etwas sozusagen versteckte Tumoren und so offenzulegen.

"Das waren einfach junge Leute"

Timm: Ich komme noch mal auf Ihre beiden vielleicht doch berühmtesten Filme, "Die weiße Rose" und "Das schreckliche Mädchen", die sind dann womöglich auch entstanden heraus aus dem Erleben einer typischen 50er-Jahre-Kindheit und aus dem Erleben, dass es eine Nazizeit, wie Sie so schön sagen, nie gab, weil sich niemand erinnern wollte. Mit diesen beiden Filmen haben Sie es ja getan auf großartige Weise!

Verhoeven: Ja, ganz unterschiedlich. Also, das fing so an, dass ich sehr beeindruckt war, als ich gelesen habe, was die älteste Schwester, die Inge Aicher-Scholl über ihre Geschwister geschrieben hat, dieses kleine Büchlein "Die weiße Rose". Das hat mich sehr beeindruckt, weil ich wusste natürlich, da gibt es so was, da ist irgendwie so was passiert. Aber ich habe es zum ersten Mal verstanden, dass da fünf Stundenten und ein Professor das gemacht haben, was andere auch hätten machen sollen, dann wäre das vielleicht auch nicht tödlich ausgegangen, wenn das so viele machen.

Aber dass ich da einen Film draus mache, das habe ich natürlich auch nicht gedacht. Aber es hat mich beschäftigt und es hat mich lange beschäftigt, sodass ich sehr viel darüber gelesen habe. Später dann habe ich herausgefunden, dass es alles nicht stimmt, was in diesen Geschichtsbüchern und Schulbüchern stand. Jetzt kommen so langsam in Büchern die Partikel der Wahrheit zutage.

Ich habe das damals, weil ich mich mit diesen Familien angefreundet habe, erfahren, so in Einzelgesprächen und durch Personen, die ich dann kennengelernt habe vom einen zum anderen, und da habe ich erfahren, was da wirklich war, was das für eine Atmosphäre war, wie die gelebt haben. Und da war alles Heldische, was ich so auch in Büchern gelesen hatte, weg, und auch dieses Religiös-Fanatische war auch weg, sondern das waren einfach junge Leute, waren Studenten, die Liebschaften hatten, die gelebt haben wie die anderen Studenten auch, aber eben gesagt haben, Schluss, so geht es nicht!

Timm: "Die weiße Rose" war meines Wissens der erste große Film über den Widerstand der Geschwister Scholl. Sie haben damals große Schwierigkeiten gehabt, den finanziert zu kriegen, und 1982 hatte er sogar politische Folgen, als Folge des Films wurde nämlich der Volksgerichtshof der Nazis im Nachhinein zum Terrorinstrument erklärt. War das für Sie ein besonderer Gewinn aus diesem Film?

Verhoeven: Ja, natürlich. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, damit habe ich ja gar nie gerechnet, dass wir so weit kommen mit diesem Film, dass dieser Film solche konkreten politischen Folgen hatte. Damit konnte ich nicht rechnen, weil es stand Spitz und Knopf und es hätte sein können, dass ich mit meinen Anschuldigungen dem Bundesgerichtshof gegenüber, der ja doch die Richter am Volksgerichtshof geschützt hat auf seine Art, dass ich damit durchkomme.

Es war eigentlich, letzten Endes war das ein Ergebnis, das die Angehörigen der Weißen Rose durchgesetzt haben. Die haben einfach Druck gemacht in der Politik, den ich nie hätte machen können.

"Die Themen wandeln sich und bleiben doch vielleicht immer ähnlich"

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit dem Regisseur, Drehbuchautor und früheren Arzt Michael Verhoeven aus Anlass seines 75. Geburtstages. Herr Verhoeven, wenn Sie Filme gemacht haben übers Nicht-Hinschauen-Wollen in den 1980ern und 90ern und schauen jetzt auf die Neonaziszene heute, zum Beispiel auf den Prozess, der gerade in München läuft, ist das mit dem Nicht-Hinschauen-Wollen so anders geworden?

Verhoeven: Ja, es ist schon anders geworden, weil die Neonazis sind halt nur Teile der Gesellschaft, kleine Teile der Gesellschaft und deswegen muss man das auch anders sehen. Genauso kritisch, aber anders, anders betrachten. Es gibt natürlich andere Themen heute, wenn Sie denken, was mit diesem Snowden da gerade passiert, wo jemand etwas wirklich Gutes tut sozusagen, also auch eine Tat gegen das Gesetz – was die Weiße Rose getan hat, war ja gegen das Gesetz, das war ja Hochverrat –, und das, was der getan hat, ist auch eine Art Hochverrat, und trotzdem denke ich, es ist sehr, sehr hilfreich, was er getan hat. Also, die Themen wandeln sich und bleiben doch vielleicht immer ähnlich.

Timm: Michael Verhoeven, so ein vielfältiges, ein eindringliches Leben bisher für den Film – doch nicht für die Medizin –, können Sie sich eigentlich noch an Ihr allererstes Kinoerlebnis erinnern?

Verhoeven: Ja! Ja, ja, weil ich gerade gestern gefragt worden bin und gegrübelt habe, und ich weiß es und es ist überhaupt nicht cineastisch und überhaupt nicht toll und aufregend: Es war in einer Gaststätte, die so einen kleinen Kinosaal hatte, das war hier in München. Ich war sieben, so, und da lief ein Märchenfilm, wie das auch altersgemäß war, und zwar war das "Tischlein deck dich". Und ich war total begeistert von einer Sache, nämlich dass man so einen Knüppel bei sich hat, wo man dann sagen kann "Knüppel aus dem Sack" und der verprügelt dann den, den man eigentlich verprügeln möchte. Also, das hat mich mit sieben begeistert. Heute habe ich andere Themen.

Timm: "Tischlein deck dich, Esel streck dich, Knüppel aus dem Sack!" Ein richtiger Kinderfilm.

Verhoeven: Ja, also nicht was Großes.

Timm: Michael Verhoeven, ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Geburtstag privatissimo und bedanke mich für das Gespräch!

Verhoeven: Ich danke Ihnen, Frau Timm, schönen Tag!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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