Der Siegeszug des Radios beginnt

Von Brigitte Baetz |
Am Anfang stand ein Cello-Solo mit Klavier-Begleitung. Es war das erste Musikstück, was in Deutschland über das neue Medium zu hören war. Drei Jahre nach den USA begann 1923 auch hierzulande mit dem Sender "Funk-Stunde AG Berlin" das Rundfunkzeitalter.
"Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin im Voxhaus auf Welle 400 Meter. Meine Damen und Herren, wir machen Ihnen davon Mitteilung, dass am heutigen Tage der Unterhaltungsrundfunkdienst mit Verbreitung von Musikvorführungen auf drahtlos-telefonischem Wege beginnt. Die Benutzung ist genehmigungspflichtig."

Es ist der 29. Oktober 1923. Deutschland liegt wirtschaftlich am Boden. Es herrschen Hunger und Inflation. Ein Pfund Kohlrüben kostet laut einem Bericht des "Berliner Tagblattes" 156 Millionen Papiermark, Schmorfleisch ist ab 22 Milliarden Papiermark zu haben. In Hamburg wird ein kommunistischer Aufstand niedergeschlagen, in Sachsen eine Koalitionsregierung aus Kommunisten und Sozialdemokraten per Reichsexekution abgesetzt. Zur gleichen Zeit bereitet ein gewisser Adolf Hitler in München einen Putschversuch vor. Und in Berlin nimmt die "Funkstunde" um acht Uhr abends ihren Betrieb auf. Das erste Musikstück wird live übertragen: ein Cello-Solo mit Klavierbegleitung, das Andantino von Fritz Kreisler. Es spielen Otto Urack und Fritz Goldschmidt - hier in einer Schallplattenaufnahme.

Eine kleine Dachkammer in der Potsdamer Straße 4 wird zum Geburtsort des deutschen Hörfunks. Im Haus der Vox-Schallplatten- und Sprechmaschinen-AG geht ein kommerzielles Programm auf Sendung, das zunächst vom geschäftsführenden Direktor Friedrich Georg Knöpfke selbst moderiert wird.

"Sie hören als nächstes die Kapelle Bernard Etté. Sie bringt Ihnen einen Foxtrott zu Gehör: Wenn die Jazz-Band spielt."

Entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Hörfunks hat der gelernte Elektrotechniker und studierte Ingenieur Hans Bredow. Seit Anfang des Jahrhunderts hat er sich mit Unternehmergeist und Erfindungsreichtum am weltweiten Ausbau des Telegrafenwesens beteiligt. Seit 1921 ist er Staatssekretär im Reichspostministerium. Bredow prägt als erster den Begriff Rundfunk und erteilt die Genehmigung für die "Funkstunde", die damit das erste regelmäßige Radioprogramm in Deutschland wird. Sein Engagement für das neue Medium begründet Bredow auch gesellschaftspolitisch:

"Das deutsche Volk ist wirtschaftlich verarmt und es ist auch nicht zu bestreiten, dass auch die geistige Verarmung Fortschritte macht, denn wer kann sich heute noch Bücher und Zeitschriften kaufen. Wer kann sich die Freude guter Musik und unterhaltender und bildender Vorträge gönnen? … Ein freudloses Volk wird arbeitsunlustig. Hier setzt die Aufgabe des Rundfunks ein."

Nach Berliner Vorbild entstehen in den großen Städten des Landes wie Hamburg, Frankfurt am Main und Königsberg weitere Rundfunksender, die als Aktiengesellschaften organisiert sind. Nachdem die Massenproduktion von Radiogeräten begonnen hat und die Lizenzen billiger geworden sind, durchbricht die Zahl der Hörer 1928 die Zwei-Millionen-Grenze. Längst haben sich da Sendungen für spezielle Zielgruppen etabliert: für Landwirte beispielsweise, für Frauen oder für junge Hörer. Auch die Kultur entdeckt das Radio beziehungsweise das Radio die Kultur, so zum Beispiel den Dadaisten Kurt Schwitters:

"Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne.
Ich liebe Dir.
Du, Deiner, Dich, Dir, ich, Dir, Du, mir, wir …"

Bert Brecht erhofft sich vom Hörfunk sogar einen revolutionären Impetus – wenn es gelänge, den Hörer am Programm zu beteiligen, ihn quasi auch zum "Sender" zu machen. Doch die politische Realität weist bald in eine ganz andere Richtung. Denn die 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialisten wissen um die Bedeutung des neuen Mediums für ihre Zwecke. Joseph Goebbels stellt klar:

"Wir machen gar keinen Hehl daraus: Der Rundfunk gehört uns, niemandem sonst."

Hans Bredow reicht noch am Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler seinen Rücktritt als Reichs-Rundfunk-Kommissar ein. Er, wie andere Radiopioniere ein Verfechter des "Freien Wortes", ist den Nazis ein Dorn im Auge und geht für 16 Monate ins Gefängnis. Friedrich Georg Knöpfke, der erste Direktor der Funk-Stunde, nimmt sich nach Misshandlungen durch die Gestapo im September 1933 das Leben.