Der Skandal als Blitzableiter
Barschel, Flick, Neue Heimat - diese Namen stehen für die großen politischen Skandale der Bundesrepublik Deutschland. Sie haben das Land erschüttert. Alles, was danach kam, war vergleichsweise harmlos. Allerdings gibt es heute mehr Skandale als je zuvor. Denn eine Gesellschaft braucht sie zur Selbstverständigung.
Mit dem Wort Skandal verbindet man gemeinhin etwas Negatives. Nach der Lektüre dieses Buches kann sich das ändern: Skandale hat es immer gegeben, wird es immer geben und das ist gut so, lautet die Botschaft.
Im Rahmen einer Projektarbeit haben angehende Journalisten vom Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg Interviews geführt mit 29 Menschen, die allesamt Experten für das Thema Skandal sind: Weil sie selbst welche provozieren wie der Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode. Weil sie für Skandalabwehr zuständig sind wie die PR-Manager Dietmar Ecker, Moritz Hunzinger und Fritz Goergen. Weil sie Skandale aufdecken, wie der Boulevardjournalist Michael Kneissler. Oder weil sie selbst Opfer geworden sind, wie Natascha Kampusch, Gerd Heidemann oder der Lyriker Sascha Anderson. Die Interviewer wollten herausfinden, wann ein Ereignis zum Skandal wird, welche Dynamik sich dabei entwickelt und ob das nun gut oder schlecht ist.
Herausgekommen ist ein höchst lehrreiches Buch – aus zweierlei Hinsicht. Zunächst kann man es lesen als nüchterne Beschreibung der Funktionsweise von öffentlichen Skandalen. Ohne eine bestimmte Dramaturgie geht gar nichts. Skandale gibt es nur personalisiert, sie nähren sich aus der archaischen Differenzierung in gut und böse und die Fokussierung auf einen Gegner.
Wichtig zu wissen: Gewinnen kann man als Beteiligter nie, bestenfalls nicht verlieren. Denn die Öffentlichkeit interessiert immer nur die Niederlage. Das auch macht das Doppelgesicht des Skandals aus. Auch wenn er – wie der Soziologie Ulrich Beck in seinem Interview sagt – zur "Verantwortung" zwingt und "zur Aufklärung" beiträgt; oder wie Journalist Kneissler erklärt, der Gesellschaft die Möglichkeit bietet, sich an eigene Normen zu erinnern: Wer Teil des Aufsehens ist, läuft Gefahr, nicht unbeschadet herauszukommen. Manche sind bis ans Lebensende gezeichnet.
Ein Skandal, so die Experten, lässt sich nie kontrollieren. Warum etwas zur öffentlich angeprangerten moralischen Verfehlung wird, können die Befragten nicht genau sagen, aber Indizien liefern. "Ein Thema muss das kulturelle Nervensystem berühren", bringt es Ulrich Beck auf den Punkt.
Neben dieser – sehr überzeugenden – Untersuchung des Phänomens Skandal, eröffnet sich dem Leser ein weiteres Feld, das noch viel spannender ist. Die Studenten, die offenkundig gründlich recherchiert haben, entlocken ihren Gesprächspartnern Informationen, die so noch nirgendwo zu lesen sind – und zum Teil schockieren.
Wenn "Spiegel"-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen berichtet, wie ein Staatsanwalt, um die Medien anzuheizen, die Kühltruhe, in der ein totes Kind drei Jahre lang gelegen hat, aufbauen und öffnen lässt (ein bestialischer Verwesungsgeruch stieg in den Raum), wundert man sich schon, was so möglich ist. Auch die Kritik Friedrichsens an der voyeuristischen "Spiegel"-Story über ein Entführungsopfer ist erstmals dokumentiert.
Einzelheiten über die Hitler-Tagebuch-Story, deren einziges Opfer offenbar der Journalist Gerd Heidemann ist, finden sich ebenso wie Details aus dem Innenleben der FDP in den Jahren vor dem Selbstmord von Jürgen Möllemann. Dass es den Autoren gelungen ist, die medienscheue Natascha Kampusch zu interviewen, ist nicht weniger erstaunlich.
Wer mehr wissen will über die (schmutzigen) Einzelheiten hinter dem äußeren Erscheinungsbild von Skandalen, dem sei dieses Buch empfohlen.
Rezensiert von Vera Linß
Jens Bergmann, Bernhard Pörksen (Hg.): Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung
Herbert von Halem Verlag, Köln 2009
352 Seiten, 18 Euro
Im Rahmen einer Projektarbeit haben angehende Journalisten vom Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg Interviews geführt mit 29 Menschen, die allesamt Experten für das Thema Skandal sind: Weil sie selbst welche provozieren wie der Ex-Greenpeace-Chef Thilo Bode. Weil sie für Skandalabwehr zuständig sind wie die PR-Manager Dietmar Ecker, Moritz Hunzinger und Fritz Goergen. Weil sie Skandale aufdecken, wie der Boulevardjournalist Michael Kneissler. Oder weil sie selbst Opfer geworden sind, wie Natascha Kampusch, Gerd Heidemann oder der Lyriker Sascha Anderson. Die Interviewer wollten herausfinden, wann ein Ereignis zum Skandal wird, welche Dynamik sich dabei entwickelt und ob das nun gut oder schlecht ist.
Herausgekommen ist ein höchst lehrreiches Buch – aus zweierlei Hinsicht. Zunächst kann man es lesen als nüchterne Beschreibung der Funktionsweise von öffentlichen Skandalen. Ohne eine bestimmte Dramaturgie geht gar nichts. Skandale gibt es nur personalisiert, sie nähren sich aus der archaischen Differenzierung in gut und böse und die Fokussierung auf einen Gegner.
Wichtig zu wissen: Gewinnen kann man als Beteiligter nie, bestenfalls nicht verlieren. Denn die Öffentlichkeit interessiert immer nur die Niederlage. Das auch macht das Doppelgesicht des Skandals aus. Auch wenn er – wie der Soziologie Ulrich Beck in seinem Interview sagt – zur "Verantwortung" zwingt und "zur Aufklärung" beiträgt; oder wie Journalist Kneissler erklärt, der Gesellschaft die Möglichkeit bietet, sich an eigene Normen zu erinnern: Wer Teil des Aufsehens ist, läuft Gefahr, nicht unbeschadet herauszukommen. Manche sind bis ans Lebensende gezeichnet.
Ein Skandal, so die Experten, lässt sich nie kontrollieren. Warum etwas zur öffentlich angeprangerten moralischen Verfehlung wird, können die Befragten nicht genau sagen, aber Indizien liefern. "Ein Thema muss das kulturelle Nervensystem berühren", bringt es Ulrich Beck auf den Punkt.
Neben dieser – sehr überzeugenden – Untersuchung des Phänomens Skandal, eröffnet sich dem Leser ein weiteres Feld, das noch viel spannender ist. Die Studenten, die offenkundig gründlich recherchiert haben, entlocken ihren Gesprächspartnern Informationen, die so noch nirgendwo zu lesen sind – und zum Teil schockieren.
Wenn "Spiegel"-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen berichtet, wie ein Staatsanwalt, um die Medien anzuheizen, die Kühltruhe, in der ein totes Kind drei Jahre lang gelegen hat, aufbauen und öffnen lässt (ein bestialischer Verwesungsgeruch stieg in den Raum), wundert man sich schon, was so möglich ist. Auch die Kritik Friedrichsens an der voyeuristischen "Spiegel"-Story über ein Entführungsopfer ist erstmals dokumentiert.
Einzelheiten über die Hitler-Tagebuch-Story, deren einziges Opfer offenbar der Journalist Gerd Heidemann ist, finden sich ebenso wie Details aus dem Innenleben der FDP in den Jahren vor dem Selbstmord von Jürgen Möllemann. Dass es den Autoren gelungen ist, die medienscheue Natascha Kampusch zu interviewen, ist nicht weniger erstaunlich.
Wer mehr wissen will über die (schmutzigen) Einzelheiten hinter dem äußeren Erscheinungsbild von Skandalen, dem sei dieses Buch empfohlen.
Rezensiert von Vera Linß
Jens Bergmann, Bernhard Pörksen (Hg.): Skandal! Die Macht öffentlicher Empörung
Herbert von Halem Verlag, Köln 2009
352 Seiten, 18 Euro