Der Soundkünstler Jonathan Dagan

Das Wummern der Aubergine

Ein Soundkünstler improvisiert Klangskulpturen mit Mischpult und Computer.
Ein Soundkünstler improvisiert Klangskulpturen mit Mischpult und Computer. © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Christian Grasse |
Die Arbeitsweise des New Yorker Künstlers Jonathan Dagan ist ungewöhnlich. Besucher seiner Webseite können an der Entstehung seiner Musik mitwirken: Kommentare, Ton- oder Videomaterial der User sollen helfen, Dagans Sound weiterzuentwickeln.
Den eigenen Herz-Rhythmus als Basis für einen Song verwenden. Mit dieser simplen Idee beginnt am 29. September 2014 die Entwicklung des j.viewz-Songs "Almost Forgot", die erste Sequenz der musikalischen DNA von Jonathan Dagan.
"Ich wollte eigentlich nur wissen, ob es möglich ist, meinen Herzschlag als Metronom für einen Song zu verwenden. Ich habe meine Herztöne mit dem iPhone aufgenommen und war überrascht, wie schön und lebendig der Track dadurch klingt."
Die zweite Entwicklungs-Stufe im virtuellen Leben des Songs ist ein Kohl. Ja, Sie haben richtig gehört, ein Weißkohl! Auf dem Küchentisch zerbrochen und mit einem Mikrofon aufgezeichnet. Auch daraus wird ein Beat. Mit Gemüse führt Jonathan Dagan eine besondere Beziehung. Bereits 2013 entwickelte er einen Synthesizer aus Auberginen, Champignons und Tomaten und spielte mit der eigenwilligen Konstruktion den Massive Attack-Song "Teardrop" nach. Ein Millionenerfolg bei der Videoplattform YouTube.
Aber zurück zum aktuellen j.viewz Projekt: Der Musik-DNA seines Songs "Almost Forgot". Den Rhythmus bilden Herzschlag und ein Weißkohl, dazu kommt Anfang Dezember ein leises Tamborin und der Klang eines Glockenspiels.
"Wenn ich an dem Song arbeite, dann wird mir klar, dass der Herzschlag als Basis genau richtig ist, denn es geht in dem Stück um das Zentrum von allem, was ich tue und um die Gründe warum ich mache, was ich mache. Und das fühlt sich großartig an."
Die bisherigen Aufnahmen kombiniert Dagan mit Synthesizerklängen und Gesang. Erste Melodieentwürfe veröffentlicht er am dritten Dezember. Am Weihnachtsabend läuft er singend durch einen New Yorker U-Bahnhof und beschreibt, woher die Melodie für den Song stammt.
"A few months ago, I stood here in the middle of a night, dancing with a lady."
Genau hier, am U-Bahn-Gleis, hat er mal mit einer Frau getanzt. Immer wenn er sich an diese Situation erinnert, fliegt ihm die Melodie zu, sagt er. So funktioniert Inspiration. Unerwartet. Unkalkulierbar. Ein paar Tage später trifft er die Sängerin Kelly Scarr. Im Studio nimmt er mit ihr mehrere Gesangspuren auf. Auch diese Situation hält er in einem Video fest.
"This sounds great."
"Let's do it a couple more times."
"Is that good?"
"I love it!"
Musik, die sich dem Herzschlag des Hörers anpasst
Am 9. Januar erfolgt der 14. und vorerst finale Schritt für "Almost Forgot". Die Veröffentlichung im Internet. Damit ist die Entwicklung der Musik aber noch nicht abgeschlossen. Für Dagan ist die Veröffentlichung eines Songs eigentlich erst der Anfang. Jetzt sollen fremde Herztöne in seine Musik einfließen.
"Der Song ist so programmiert, dass er sich rhythmisch an Herztönen orientieren kann. Vorausgesetzt man zeichnet seinen Herzschlag auf und lädt ihn auf meine Webseite. Schlägt das Herz langsam, wird der Song langsamer, schlägt es schnell, wird der Song schneller. Jede Version des Tracks wird einmalig sein."
Musik, die sich dem Herzschlag des Hörers anpasst und eine Verbindung eingeht, sich fortpflanzt und verändert. Die wohl bisher schönste Metapher für das, was Jonathan Dagan mit seinem DNA-Projekt vermitteln möchte. Musik ist kein Produkt. Sie ist organisch. Sie wächst und verändert sich, abhängig von unzähligen, zufälligen Variablen.
In seinem neuesten Song bildet diese Variable übrigens das Wetter. Denn vom grauen, kalten Winter in New York hat Jonathan Dagan die Nase voll.
"Fuck this icy snowy bullshit. I'm going to Nashville!"
So klingt ein aktueller, fertiger Song:
Der Massive Attack-Song "Teardrop":