Der Spieler

Von Katja Bigalke |
In Fjodor Dostojewskis Roman "Der Spieler" wartet ein hoch verschuldeter General in Roulettenburg mit seiner Familie und Bekannten auf die Nachricht, dass die reiche Großmutter das Zeitliche segnet und er sie beerben kann. Bad Homburg diente Dostojewski damals als Vorbild für die Stadt Roulettenburg. Mit Vicente Peral, dem heutigen Saalchef der Spielbank, spürt diese Reportage der Faszination und dem Sog des Spiels nach, die auch der Protagonist und Autor des Romans empfunden hat.
Dostojewski, Der Spieler, 1866:
"Ich setzte sofort hundert Gulden auf Rouge - und gewann; alle zweihundert auf Rouge - und gewann; alle vierhundert auf noir - und gewann; alle 800 auf manque - und gewann. Alles in allem hatte ich jetzt tausendsiebenhundert Gulden und das - in weniger als fünf Minuten! Ja in solchen Augenblicken vergisst man alle früheren Misserfolge! Hatte ich sie doch gewonnen, indem ich mehr als mein Leben aufs Spiel gesetzt, ich hatte es gewagt, und - ich gehörte wieder zu den Menschen."

"Nichts geht mehr"

"Er gibt dem Spiel eine Wichtigkeit, die es nicht haben sollte - ist ein schöner Zeitvertreib wenn man in seinen Grenzen spielt. Er spielt hop oder top. Das Glück herausfordern - nur glücklich sein wenn man alles gewinnt oder alles verliert."

Das Casino Bad Homburg, früher Abend: Ein großer Saal mit schweren Kronleuchtern, Seidentapeten, Brokatvorhängen und acht Roulette-Tischen. Etwa 150 Besucher - mehr Männer als Frauen - füllen den Raum. Ihre Kleidung ist gediegen, die Atmosphäre höflich, konzentriert. Es wird viel geraucht und nervös umherspaziert. Dazwischen, ein kurzes Auflachen - hier steckt ein junger Mann einen Haufen gewonnener Jetons in seine Tasche, dort: ein kleiner Smalltalk zwischen Saaldiener und Croupier. Wieder: Neues Spiel, neues Glück.

"Nichts geht mehr"

In den sechziger Jahren des 19.Jahrhunders ist in dem Kursaal oft ein junger russischer Schriftsteller zu Gast. Wann immer er mit seiner Literatur gut verdient, kommt Fjodor Dostojewski hierher - zum Spielen. Dostojewski hat Bad Homburg in seinem Roman "Der Spieler" verewigt. Als "Roulettenburg", eine Gruppe reicher Russen verfällt dem Dämon des Glücksspiels.

"Die ganzen Russen sind nur gekommen, weil es eine Spielbank gab. Die Spielbank lebt von den Persönlichkeiten, die hier ihr Vermögen verspielt haben."

Vicente Peral - 55, gebürtiger Spanier - ist Saalchef der Spielbank.1,70 groß, spärliche, zurückgekämmte Haare, wache, dunkle Augen. Er trägt einen schwarzen Abendanzug und ein verschmitztes Lächeln. Ihm unterstehen die Croupiers, er ist der Mann, der aus dem Hintergrund alles beobachtet, kontrolliert.

Momentan verläuft das Spiel in ruhigen Bahnen. Peral zeigt auf ein riesiges Wandgemälde hinter sich: Das Casino vor 140 Jahren: Dicht gedrängt umstehen Männer mit gezwirbelten Schnurrbärten und Frauen in wallenden Roben den einzigen Roulettetisch in der Mitte des Saals.

"Das Spiel ist nach wie vor dasselbe wie zu Dostojewskis Zeiten: die Motivation zu spielen ist nach wie vor dieselbe. Wenn ich mir heute die Literatur anschaue, dann beschreibt der Szenen, die heute tagtäglich passieren."

Eine junge Frau in engen Jeans und dekolletierten Top legt einen 100 Euro-Chip auf die Null, Zero. Introvertierter Blick, fast ferngesteuert. Die umstehenden Spieler - Männer, ab 50 aufwärts, - mustern sie neugierig. Ein riskanter Einsatz. Dann geht nichts mehr. Peral erinnert die Situation an eine Szene aus Dostojewski's Spieler. Da gibt es die Zero-versessene reiche Großmutter, die sorglos ihr Vermögen aufs Spiel setzt. Der Saalchef blättert in dem abgegriffenen Taschenbuch. Er hat es immer dabei, wenn er die Geschichte des Hauses erklären soll. Und das muss er oft. Schließlich schmückt sich Bad Homburg gerne mit seinem berühmtesten Gast.

Dostojewski, "Der Spieler":
"Das Rad drehte sich sehr lange. Die Babuschka bebte am ganzen Leib, und ihr Blick folgte wie gebannt der Kugel. 'Sollte sie wirklich glauben, dass jetzt Zero gewinnen wird?' In ihrem Gesicht las ich die unerschütterliche Überzeugung, dass sie gewinnen, dass der Croupier jetzt gleich, im nächsten Augenblick Zero rufen werde, Die Kugel sprang in ein Fach: Zero!, rief der Croupier."

"Die Zero ist gekommen, wie bei Dostojewski."

Der Croupier schiebt der jungen Frau einen großen Stapel Jetons zu. Der 36fache Einsatz, 3600 Euro Gewinn. Anerkennendes Raunen ringsum. Alles gewagt, alles gewonnen. Die Frau selbst verzieht keine Miene: Gelangweilt stopft sie die Jetons in ihre Handtasche, verlässt kühl lächelnd den Tisch. Hundert Euro Trinkgeld lässt sie liegen. Wer gewinnt, ist spendabel.
"Eins für die Angestellten"
"Dankeschön!"

"Wir leben ausschließlich von der Freizügigkeit unserer Gäste, hoffen also, dass Spieler gewinnen - denn nur dann geben die Spieler auch Trinkgeld. Das wird für die komplette Verwaltung ausgegeben. Das geschieht von Spiel zu Spiel - dann gibt er ein Stück für die Angestellten, ist ein ungeschriebenes Gesetz - die wissen, dass wir davon leben."

Peral beobachtet die Szene vom Kopf des Tisches aus. Sein eigenes Gehalt, schwankt - hängt vom Glück ab, erklärt er. Garantiert ist sein Grundlohn von 3000 Euro. In Monaten, in denen Spieler großzügig Trinkgeld verteilen, geht Peral auch mal mit 7000 Euro nach Hause. Die risikofreudigen Spieler sind ihm lieber als die ewigen Rechner - sie lassen mehr Trinkgeld da.

"Wie man Roulette spielt, hängt von der eigenen Mentalität ab. Es gibt den Spieler wie Dostojewski, der auf irgendeine Chance immer wieder setzt, der nicht berechnend ist. Aber es ist heute noch so, dass Menschen hier sitzen und versuchen, aus der Vergangenheit auf die Zukunft zu schließen und Zahlenfolgen notieren."

So ein Systemspieler ist der redselige 70-jährige Künstlervermittler Dietrich, ein Stammgast von Peral, der viel Aufsehen um sein vorsichtiges Spiel macht, ständig alles kommentiert. Die beiden kennen sich, nicken sich freundlich zu.

Dietrich konzentriert sich wieder auf seinen kleinen Block. Wie besessen notiert er darin die Zahlenfolgen der einzelnen Spieltische. In Tabellen, die nur er versteht. Rechnet, analysiert. Nach sieben Folgen meint er zu wissen, was kommt und beginnt zu setzen. Erst mit einfachem, dann doppeltem, dann dreifachem Einsatz.

"Ich habe ein System entwickelt, und darauf muss ich mich konzentrieren. Ich spiel immer gegen die Bank. Hier nach der Zero war rot, dann spiel ich schwarz."

Peral lächelt leicht spöttisch, wendet sich ab. Er scheint von dieser Spielart genauso wenig zu halten wie damals Dostojewski. Und mit dem kennt sich Peral offensichtlich aus

"Da sitzen sie mir ihren rubrizierten Papierblättern, notieren sorgfältig, was herausgekommen ist und berechnen, wägen die Chancen ab, rechnen nochmals nach, bevor sie endlich setzen und - verlieren ganz ebenso wie wir gewöhnlichen Sterblichen, die ohne Berechnungen spielen."

Acht Uhr. Das Casino füllt sich. Die Rauchschwaden sind dichter, die Besucher drängen sich um die Tische. Peral beschließt, einen weiteren Roulette-Tisch zu öffnen. Er schickt den Saaldiener zur Kasse, um eine Plombe mit neuen Jetons zu holen.

"Ja bitte, hier Kollege, so bitte, geht was, ja…"

Am Tisch werden die Jetons noch einmal nachgezählt. Auch wenn alles so spielerisch aussieht, geht es hier schließlich um viel Geld. Alles in Ordnung - das Spiel kann beginnen.

"Das erste Spiel an diesem Tisch, Ihre Einsätze bitte - Messieur et mesdames - rien ne va plus - 29 schwarz..."

Schnell ist der Tisch von Spielern umringt. Die Stammgäste sind leicht von den Zufallsgästen zu unterscheiden. Neulinge spielen vorsichtig. Sie gucken mehr, versuchen nicht bei jedem Spiel dabei zu sein. Wenn allerdings mehrmals die gleiche Farbe auf den elektronischen Anzeigetafeln erscheint, werden sie unruhig. Ihre große Chance? Das findet sich alles schon bei Dostojewski, sagt der Saalchef .

"Das Glück heftete sich an Rot und fünfzehn mal nach der Reihe kam Rot heraus. Selbstverständlich wagt nach dem zehnten Mal niemand mehr auf Rot zu setzen. Aber auch auf Schwarz, setzt dann - wenigstens von den erfahrenen Spielern - kein einziger. Diese wissen nur zu gut, zu was sich solch Eigensinn des Schicksals mitunter auswachsen kann. Die Neulinge aber fallen gewöhnlich ausnahmslos herein, indem sie ihre Einsätze auf das Gegenteil - auf schwarz zum Beispiel verdoppeln oder verdreifachen und dann natürlich riesige Summen verspielen."

Peral kennt solche Situationen:

"Ich habe schon 30 Mal rot gesehen und da haben ein paar die Nerven verloren und dagegen gespielt und viel Geld verloren."

Der Saalchef liebt seinen Beruf. Nach einer kaufmännischen Lehre ist er vor 30 Jahren über eine Zeitungsanzeige hier gelandet. Als Croupier.

"Ich könnte mir nicht vorstellen, einen anderen Beruf auszuüben - man sieht so verschiedene Leute. Da kann man viel für sich studieren, da passieren auch Sachen, die man nicht erwarten würde."

Peral zieht weiter: von Tisch zu Tisch. Das sieht nach Routine aus, doch der Beruf des Saalchefs ist so unberechenbar wie das Spiel selbst.

"Es kann ein todlangweiliger Tag werden oder es kann ein Highroller reinkommen, der hunderttausende in Minuten bewegt, wo man sehr gefragt ist."

"Der Spieler": "Freilich kommt es mitunter vor - in jeder Saison vielleicht ein Mal - dass plötzlich irgendein Sonderling auftaucht, ein Engländer oder ein Asiat, etwa ein Türke, und dass dieser entweder sehr viel verspielt oder sehr viel gewinnt."

Die Geschichten der Highroller - der Spieler mit sehr hohen Einsätzen - sind Gesprächsthema in jeder Spielbank, sagt Peral.

"Auch ein Türke - purer Zufall - hat an einem Abend 1,8 Millionen gewonnen. So viel Geld hatten wir aber nicht da und da mussten wir jemanden von der Bank rausklingeln, der dann in der Nacht kam. So was vergisst man sein Lebtag nicht - hat immer nur eine Zahl gespielt, die aber komplett belegt und dann kommen diese Auszahlungen heraus."

Und dann gibt es da noch die Anekdote mit dem Adeligen, der in einem weißen Rolls Royce aus London vorgefahren kommt. Peral schmunzelt:

"Der hatte eine Umhängetasche aus Leder, wie sie Hippies aus den 70er Jahren hatten und der wollte damit unbedingt rein. Herrn dürfen aber eigentlich nicht mit Taschen rein und dann hat man gesagt, er dürfte nicht und er sagte dann, doch ich darf schon. Und dann kam ein Kollege und der durfte dann doch rein. Der hatte mehr als eine Million Mark in der Tasche, hat auch hoch gespielt und gewonnen und verloren."

Solche Gäste sind besonders beliebt, sagt Peral. Das Casino versucht alles, um sie zum Wiederkommen zu bewegen. Doch Möglichkeiten wie in Las Vegas, wo auch schon mal der Flug und die Hotelsuite spendiert werden, hat Peral nicht. Mehr als eine Ehrenkarte oder ein Abendessen sind nicht drin. Stammgästen spendiert er ein Glas Sekt an der Dostojewski-Bar. Wie den Unverzagts. Das Rentnerpaar kommt seit Jahrzehnten, findet das "ins Casino gehen" enorm schick . Sie spielen klein - etwa 300 Euro pro Besuch - aber regelmäßig.

"Ich mag schon die schöne Atmosphäre - die Eleganz ist ein bisschen anders. Verblödet man schon. Hier trifft man Leute, zieht sich nett an geht aus. Wir essen hier stets, das ist mal was anderes."

Die Unverzagts sind Perals Vorzeigespieler. Zufriedene Gäste, die wissen, wo ihr Limit liegt und gerne wiederkommen.

"Manchmal bin ich sauer - klar das ist normal. Aber wir verspielen schon nicht mehr wie es geht. Haben ein Limit und wenn das aus ist, das Limit, dann haben wir das nächste mal vielleicht mehr Glück."

Die beiden würden sich nie als Spieler vom Schlage Dostojewskis bezeichnen. Menschen, die alles riskieren und nicht aufhören können zu spielen, haben sie aber auch schon getroffen.

"Da denkt man schon manchmal: Es wäre besser, du würdest jetzt ein Bier trinken - aber zu so 'nem größeren Spieler könnte ich das unmöglich sagen - die kenn ich ja nicht so gut - die Leute, die in der Größenordnung spielen, die hab ich nicht in meinem Bekanntenkreis.
Die sind alle erwachsen - sollten wissen, wann sie aufhören. Ich denk dann schon mal: Mein Gott, ist der heute wahnsinnig. Das ist aber jedem seine eigene Sache."

Nebenan am Blackjack-Tisch setzt ein Chinese hohe Summen, zieht ungerührt die Chips aus dem dunklen Jackett. Black Jack - das ähnlich funktioniert wie 17 und vier, spielt er so ernst und konzentriert, als handele es sich um hochkompliziertes Bridge. Der Aisate ist einer der Lieblingsgäste des Saalchefs: Mr. Kim - in Bad Homburg längst eine Berühmtheit.

Peral: "Das, was früher die Russen waren in Bad Homburg, sind heute die Asiaten. Wir haben sehr viel asiatische Gäste, die von ganz klein bis nach ganz groß setzen."

Kim verliert rund 1500 Euro. Immer, wenn die 100er und 50er Jetons verbraucht sind, zaubert er einen großen, eckigen Jeton hervor - 1000 Euro: Kim lässt wechseln, weiter geht's. Die Unverzagts verfolgen sein Spiel aus den Augenwinkeln, Stöhnen unmerklich auf, wenn die Bank wieder einkassiert. Spieler sind da solidarisch, sagt Helmut Unverzagt. Die Bank ist der gemeinsame Gegner.

"Mitfiebern tust du schon: gewinnt er oder nicht. Leute, die 500 spielen, da freut man sich mit und bedauert, du kennst die ja nicht, aber du ergreift Partei. Das ist schon spannend, wenn einer groß spielt."

Kim setzt einen Jeton nach dem anderen. Meist verliert er. Sein immer gleicher, konzentrierter Gesichtsausdruck verrät? - Nichts. Kim raucht eine Zigarette nach der anderen, trinkt abwechselnd Kaffee, Mineralwasser. Mitspieler beachtet er nicht.

Im Laufe des Abends verliert Kim 55.000 Euro. Peral zuckt mit den Schultern. Das kommt vor, sagt er. Wer nicht weiß, wann Schluss ist, verliert eben oft - eine alte Spielbankweisheit, die auch im "Spieler" von Dostojewski ein Dauerthema ist, sagt der Saalchef und greift zu seinem Lieblingsbuch.

Dostojewski, "Der Spieler": Da wäre es richtig gewesen fortzugehen. In mir aber stieg etwas Seltsames auf: ich glaube, es war das Verlangen, das Schicksal herauszufordern, ihm ein Schnippchen zu schlagen, ihm einfach die Zunge zu zeigen! Ich setzte die größte Summe, die den Spielern gestattet wird, viertausend Gulden, und verlor. Das erregte mich, ich nahm alles heraus, was ich bei mir hatte, und setzte es auf dieselbe Zahl und verlor wieder. Wie betäubt verließ ich den Tisch."

"Mr. Kim, that is not your game?"

Großspieler Kim lächelt weiter standhaft, trotz hohem Verlust. Dostojewski nennt dieses Verhalten "gentlemanlike": Über Geld spricht man nicht, obwohl es vielleicht an die Existenz geht. Die wahren Kämpfe spielen sich im Innern ab.

"Sie wollen ja Gefühle erzeugen, sonst könnten sie ja auch zu Hause bleiben. Die wollen ihren Spieltrieb ausleben, der in uns allen drin ist. Sie brauchen halt die Emotionen von Gewinn und Verlust."

Dostojewski erzählt im Roman "Spieler" die eigene Geschichte. Er verfällt dem Roulette in Bad Homburg, verspielt selbst das Geld, das ihm seine Frau für die Heimreise schickt. Peral nennt ihn einen Hasardeur.

"Dostojewski war ganz klar ein Verschwender - ein Hasardeur. Der hat sich aus Geld nichts gemacht - für ihn war es entscheidender, dass er das Spiel beherrscht. Er hat immer gesagt, er wüsste sehr wohl, dass die Bank immer gewinnt, nur auf ihn träfe das nicht zu. Dieser irrwitzige Glaube, ich kann das nicht nachvollziehen - ein Vermögen so rauszuschleudern, ohne nachzudenken. Es hat ihn nicht interessiert."

Heute können sich süchtige Spieler wie Dostojewski sperren lassen. Zu Peral's Aufgaben gehört es, herauszufinden, wann das Spiel krankhaft wird.
"Die ersten Anzeichen sind, dass der Gast jeden Tag da ist. Die Stammgäste kennen wir aber in der Regel. Wenn einer mit Fünfern spielt normalerweise, dann aber mit 'nem Tausender kommt, dann nimmt man den schon mal auf die Seite. Und wenn er keine Auskunft geben kann, dann können wir Gehaltsnachweise verlangen - und wenn ein Gast sich weigert, lassen wir ihn nicht mehr rein."

Der Saalchef wird an Tisch 6 gerufen. Hier hat ein größerer Einsatz auf rot gewonnen, aber niemand reklamiert die Jetons für sich. Auch die Croupiers können sich nicht an den Spieler erinnern, der wohl gleichzeitig an mehreren Tischen setzt. So was kommt vor, sagt Peral, auch dass mehrere Spieler einen Gewinn für sich reklamieren. Ein altes Problem.

Dostojewski, "Der Spieler": "Die Croupiers, die an jedem Tisch sitzen, verfolgen natürlich aufmerksam die Einsätze der Spieler und da sie jedem das gewonnene Geld auszuzahlen haben, sind sie in der Regel diejenigen, die gelegentlich Streitfälle dieser Art schlichten. In äußersten Fällen wird aber die Polizei herbeigerufen und die Sache damit schnell erledigt."

Was früher die Polizei klärt, regelt heute die Technik.

"Über jeden Tisch sind Kameras eingelassen über den Lampen und an den Decken. Und so können wir den ganzen Saal damit überwachen und feststellen, wer den Satz getätigt hat."

Peral verlässt den Spielsaal, geht in die obere Etage. Im kleinen Büro mit schrankgroßer Überwachungsanlage loggt er sich in den Computer ein:

"Ein so genanntes Schäfchen. Dann schauen wir mal nach. Das ist das Istbild. Jetzt lass ich das so lange zurücklaufen, bis ich die Szene hab, wer das Stück gesetzt hat. - man kann das wunderbar sehen. Das hat der Herr hier gesetzt und dann mach ich das mal ein bisschen größer..."

Peral spult die Aufnahme zurück, lässt sich aus vier verschiedenen Perspektiven den Spieltisch zeigen. Das verwaiste Jetonhäufchen hat ein Mann mit Schnurrbart und Halbglatze gesetzt. Peral kennt den Spieler. Zurück in den Saal.

Peral schaut sich suchend in der Menschenmenge um, findet den ahnungslosen Gewinner nicht. Er bittet einen Saaldiener, den Spieler zu informieren.

Der Saalchef verlässt das "große Spiel" durch eine unscheinbare Tür: Im Saal nebenan sind die Automaten. Spielkonsolen blinken, dudeln, die Besucher tragen Jeans und Pullover - von Eleganz keine Spur. Peral betrachtet mit leicht hochgezogenen Augenbrauen die Szenerie, wendet sich ab:

"Das sieht nicht mehr nach Dostojewski aus - das sind die Zeichen der Zeit. Leider, muss man sagen von Seiten eines Vollblutcroupiers. Die Leute wollen lieber hier sitzen als am Blackjack, obwohl hier anteilsmäßig mehr verloren wird."

Eine korpulente Frau mit dunkler Dauerwelle schaufelt ihre gewonnenen Münzen in einen kleinen Plastikeimer. Peral klopft freundlich einem jungen italienischen Dauergast auf die Schultern. Er schaut fast jeden Abend mit ein paar Freunden vorbei. Nicola Nigro, von Beruf singender Kellner, nennt sich einen glücklichen Spieler.

"Seit über 20 Jahre komme ich in das Casino: wunderschöne ambiente. Ich bin sehr vorsichtig - wenn ich gewinne, dann verdoppel ich den Einsatz auch mal. Mit ein bisschen Glück hab ich vor knapp einem Jahr 43.000 gewonnen, am nächsten Tag aber 20.000 wieder verloren. Ich hab mein Auto, meine Stereo Anlage, meinen Fernseher und so. Unter dem strich hab ich immer gewonnnen. Ich bin ein Glückspilz, ich bin zufrieden."

Nigro schiebt einen 50 Euro Schein in den Schlitz. Beim Automatenroulette kann er mit seinen Freunden am eigenen Terminal setzen. Er tippt auf dem Display die Zahlen an, die er in der nächsten Runde spielen will.
"Ich drück mal Zerospiel, 5 mal 29 zwei und zwei die große Serie, das ist mein Spiel. Jetzt drück ich nur die Daumen, dass die 26 kommt, 85 Stücke pro Stück - das ist jetzt mein letzter 50er."

Statt einem Croupier treibt Pressluft die Kugel im Kessel unter der Plexiglashaube an. Sie fällt in das Fach mit der Nummer 15.

"Jetzt haben wir gewonnen, die 15 habe drei Plein und fünf Cheval sind knapp 100 Euro. Hab ich gewonnen Geld, hab ich wieder zurück - diesmal ist es gut gegangen."

In fünf Minuten gewinnt Nigro 90 Euro. Er freut sich, prostet seinem italienischen Kumpel zu. Spielen heißt für ihn:

"Gefühle, Gefühle und wie soll ich sagen: Harmonie."

Peral lächelt, ein bisschen gequält. Spieler, die sich wohlfühlen, sind natürlich immer willkommen. Aber mit dem Automatenspiel geht eine Epoche zu Ende. Die Epoche von Dostojewski und auch die von Peral:

"Der Croupierberuf ist ein aussterbender Beruf. Hier gibt es 30, drüben 130 Angestellte. Hier werden aber 70 Prozent der Gewinne gemacht - der Unternehmer, weiß ich nicht, wie lange der sich das anschaut - ich kann mich dem auch nicht verschließen, wenn die Gäste das spielen wollen."

Peral bestellt einen Espresso und ein Glas Mineralwasser an der Bar im Automatensaal. Längst ist es weit nach Mitternacht. Der Saalchef macht Pause, raucht eine Zigarette - zwischen blinkenden Maschinen, die nie müde werden.