Der Sprache in die Augen schauen
Sie ist mehr als ein weites Feld: die deutsche Sprache. Entsprechend umfassend muss eine Ausstellung sein, die ihre verschiedenen Dimensionen darstellen will. Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat sich daran gewagt: unter anderem mit dem Gedicht "Anna Blume" von Kurt Schwitters, Texten von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels und einem Streifzug durch die Welt der Werbung.
Hans Ottomeyer: "Deutsch ist ein Bedeutungsriese, hat 120 Millionen Sprecher, ein Fünftel der Mitglieder der EU. Aber: Deutsch ist ein Geltungszwerg, wir vertreten es nicht richtig."
Hans Ottomeyer, Direktor des Deutschen Historischen Museums, mag sich gedacht haben, dass Werbung, dass eine Leistungsschau dem Vertretungsanspruch der deutschen Sprache aufhelfen kann: Also wird in seinem Hause eine grandiose sprachpolitische Messe gelesen, eine Feier der Hochkultur, gepaart mit jeder Menge an Pop-Charts erinnernde Hinweise auf Rekorde, was Einzigartigkeit und Alter der - so sagt man wohl - "Inkunabeln" betrifft.
Heidemarie Anderlik: "Aus Cambridge haben wir den ältesten Schriftnachweis der jiddischen Sprache, der Dukus Horant, der ja thematisiert ein germanisches Thema, das Gudrun-Lied, vergleichbar dem Nibelungenlied."
Auch für das Nibelungenlied hat Kuratorin Heidemarie Anderlik einen Superlativ parat: Es war mit 34 erhaltenen Handschriften "der Erfolgstext schlechthin", steht auf einer Wandtafel. Für die damalige Zeit sicher eine Rekordauflage, aber wie weit die ausschlaggebende, die mündliche Verbreitung reichte, das lässt sich wie so vieles in dieser Erfolgsstory kaum noch rekonstruieren. Dafür aber kann Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, von ganz aktuellen Durchbrüchen an der Sprachfront berichten:
"Wir haben derzeit Überbuchungen in Frankreich und in Israel, was die deutsche Sprache in den Goethe-Instituten betrifft, nur durch das Auftreten von 'Tokio Hotel'."
Der Drang, Songtexte einer jugendlichen Pop-Gruppe im Original lesen zu können, dürfte kaum für anhaltende Motivation sorgen. Dafür braucht es stärkere Reize, eine "Visualisierung" der Sprache, wie die Ausstellungsmacher sie im Sinn hatten: Von Erika Fuchs, der genialen Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, sieht man den Schreibtisch, ihre Leselupe, auch einige Bücher und die Schreibmaschine.
Das mag als das Besondere an dieser Schau gelten, denn die Texte selbst, ob Comic oder Klassiker, sind ja überall zur Hand - und wirken im Museum in ihrer geballten Masse eher abschreckend. Zumal Direktor Ottomeyer stolz verkündet, man habe 2000 bis 3000 Stunden Lese-Text zusammengebracht.
Für Kenner findet sich da natürlich manches Schmankerl, etwa das Plakat-Gedicht "Anna Blume" von Kurt Schwitters oder die Ursonate des Dada-Poeten. Einiges ist in Vitrinen aufgebaut, etwa Volksempfänger, Rundfunkmikrofon und die Ausgabe des "Völkischen Beobachter" mit einem Aufmacher über NS-Propagandaminister Goebbels und seine "aufpeitschende" Rede "Wollt ihr den totalen Krieg" - daneben ganz unscheinbar eine Broschüre mit den Rundfunkreden, die Thomas Mann in der BBC gegen die Nazis gehalten hat.
Die allzu schlichte Erklärung zu diesem Ensemble auf der Wandtafel daneben: Goebbels habe in einer perfiden Inszenierung die deutsche Sprache missbraucht. Das moralisch eingängige Urteil erspart sich jede Analyse. Die aber wäre vonnöten, um ein wenig vergleichen zu können.
Einige Vitrinen weiter nämlich findet sich eine Eloge auf die - so wörtlich - "kreative Schaffenskraft der Werbetexter", ausgerechnet am Beispiel der Kampagne "Die totale Sportshow" eines Bezahl-Fernsehsenders. Ohne räumlichen Zusammenhang wird das präsentiert, Zusammenhänge lassen sich so nicht herstellen, auch wenn Direktor Ottomeyer seine politisch-korrekte Sicht der Dinge, der deutschen Sprache unmissverständlich äußert:
"Deutsch ist eine Sprache, Deutsch ist keine Nation, Rasse, kein einheitliches Volk, sondern es ist ein Kulturraum, der durch Sprache bestimmt ist. Wir bewegen uns in ihr wie in einer Architektur der Vergangenheit."
In dieser Architektur gibt es interessante Winkel. Zum Beispiel lange Zeit vergessene, überhörte Gruppen wie Banater, Schwaben oder Bessarabier, die in der Fremde ein gesprochenes Deutsch bewahrt haben, das heute noch klingt wie aus dem 18. Jahrhundert herübergerettet: das ebenfalls außer Kurs geratene "altfränkisch" wäre vielleicht die passende Bezeichnung.
Davon ist keine Rede, aber dafür haben einige aufschlussreiche Anekdoten ihren Weg ins Museum gefunden. Etwa Walter Benjamins Beobachtung seines vierjährigen Sohnes, der 1921 in Berlin "Affika" sagt statt "Afrika", weil in dem fernen Erdteil ja Affen herumlaufen. Oder der vom Bildschwein sprach, weil er das erste Wildschwein auf einem Bild, nicht in freier Natur gesehen hatte.
Um so etwas zu systematisieren, müsste man allerdings Schriftstellern bei der Arbeit mit Wörterbüchern zusehen können, wenn sie, wie Arno Schmidt einmal gesagt hat, ihr Gehirn in die Falten jener Zeit legen, über die sie gerade schreiben. Denn diese Einzelgänger, oft in der Provinz, waren die entscheidenden Spracharbeiter:
Klaus-Dieter Lehmann: "Die deutsche Sprache hat in ihrer Entwicklung bis heute, als neuhochdeutsche Sprache, nie eine zentrale Instanz gehabt, sie hat nie eine Regulierungsbehörde gehabt."
Damit spielt Klaus-Dieter Lehmann auf Frankreich an, den Nachbarn, wo nach der Revolution alles zentralistisch auf Paris fixiert war und jeder regionale Dialekt sozusagen ausgemerzt wurde. Ähnliches tat sich in der DDR: die brachte, wie man in einer Vitrine sehen kann, die Zeitschrift "Brigadepost" heraus, eine -im Untertitel - "Argumentation für die Brigaden sozialistischer Arbeit". Dahinter steckt natürlich eine zentrale Sprachregelung, die Dominanz von Wort-Führern.
Aber inwieweit deren bürokratisch-langweilige Formeln sich tatsächlich im Alltag durchgesetzt haben, in der Umgangssprache überhaupt verwendet oder nicht gar ironisiert wurden, das bleibt ungeklärt. Weil in Berlin niemand auf Karl Kraus, den Wiener Publizisten gehört hat, der einst sagte: "Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner schaut es zurück."
Diesen tiefen Blick, ein "Schau-mir-in-die-Augen" - und vielleicht sogar in die Seele, hätte man der oberflächlich durchaus glänzenden Ausstellung gewünscht.
Hans Ottomeyer, Direktor des Deutschen Historischen Museums, mag sich gedacht haben, dass Werbung, dass eine Leistungsschau dem Vertretungsanspruch der deutschen Sprache aufhelfen kann: Also wird in seinem Hause eine grandiose sprachpolitische Messe gelesen, eine Feier der Hochkultur, gepaart mit jeder Menge an Pop-Charts erinnernde Hinweise auf Rekorde, was Einzigartigkeit und Alter der - so sagt man wohl - "Inkunabeln" betrifft.
Heidemarie Anderlik: "Aus Cambridge haben wir den ältesten Schriftnachweis der jiddischen Sprache, der Dukus Horant, der ja thematisiert ein germanisches Thema, das Gudrun-Lied, vergleichbar dem Nibelungenlied."
Auch für das Nibelungenlied hat Kuratorin Heidemarie Anderlik einen Superlativ parat: Es war mit 34 erhaltenen Handschriften "der Erfolgstext schlechthin", steht auf einer Wandtafel. Für die damalige Zeit sicher eine Rekordauflage, aber wie weit die ausschlaggebende, die mündliche Verbreitung reichte, das lässt sich wie so vieles in dieser Erfolgsstory kaum noch rekonstruieren. Dafür aber kann Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, von ganz aktuellen Durchbrüchen an der Sprachfront berichten:
"Wir haben derzeit Überbuchungen in Frankreich und in Israel, was die deutsche Sprache in den Goethe-Instituten betrifft, nur durch das Auftreten von 'Tokio Hotel'."
Der Drang, Songtexte einer jugendlichen Pop-Gruppe im Original lesen zu können, dürfte kaum für anhaltende Motivation sorgen. Dafür braucht es stärkere Reize, eine "Visualisierung" der Sprache, wie die Ausstellungsmacher sie im Sinn hatten: Von Erika Fuchs, der genialen Übersetzerin der Donald-Duck-Comics, sieht man den Schreibtisch, ihre Leselupe, auch einige Bücher und die Schreibmaschine.
Das mag als das Besondere an dieser Schau gelten, denn die Texte selbst, ob Comic oder Klassiker, sind ja überall zur Hand - und wirken im Museum in ihrer geballten Masse eher abschreckend. Zumal Direktor Ottomeyer stolz verkündet, man habe 2000 bis 3000 Stunden Lese-Text zusammengebracht.
Für Kenner findet sich da natürlich manches Schmankerl, etwa das Plakat-Gedicht "Anna Blume" von Kurt Schwitters oder die Ursonate des Dada-Poeten. Einiges ist in Vitrinen aufgebaut, etwa Volksempfänger, Rundfunkmikrofon und die Ausgabe des "Völkischen Beobachter" mit einem Aufmacher über NS-Propagandaminister Goebbels und seine "aufpeitschende" Rede "Wollt ihr den totalen Krieg" - daneben ganz unscheinbar eine Broschüre mit den Rundfunkreden, die Thomas Mann in der BBC gegen die Nazis gehalten hat.
Die allzu schlichte Erklärung zu diesem Ensemble auf der Wandtafel daneben: Goebbels habe in einer perfiden Inszenierung die deutsche Sprache missbraucht. Das moralisch eingängige Urteil erspart sich jede Analyse. Die aber wäre vonnöten, um ein wenig vergleichen zu können.
Einige Vitrinen weiter nämlich findet sich eine Eloge auf die - so wörtlich - "kreative Schaffenskraft der Werbetexter", ausgerechnet am Beispiel der Kampagne "Die totale Sportshow" eines Bezahl-Fernsehsenders. Ohne räumlichen Zusammenhang wird das präsentiert, Zusammenhänge lassen sich so nicht herstellen, auch wenn Direktor Ottomeyer seine politisch-korrekte Sicht der Dinge, der deutschen Sprache unmissverständlich äußert:
"Deutsch ist eine Sprache, Deutsch ist keine Nation, Rasse, kein einheitliches Volk, sondern es ist ein Kulturraum, der durch Sprache bestimmt ist. Wir bewegen uns in ihr wie in einer Architektur der Vergangenheit."
In dieser Architektur gibt es interessante Winkel. Zum Beispiel lange Zeit vergessene, überhörte Gruppen wie Banater, Schwaben oder Bessarabier, die in der Fremde ein gesprochenes Deutsch bewahrt haben, das heute noch klingt wie aus dem 18. Jahrhundert herübergerettet: das ebenfalls außer Kurs geratene "altfränkisch" wäre vielleicht die passende Bezeichnung.
Davon ist keine Rede, aber dafür haben einige aufschlussreiche Anekdoten ihren Weg ins Museum gefunden. Etwa Walter Benjamins Beobachtung seines vierjährigen Sohnes, der 1921 in Berlin "Affika" sagt statt "Afrika", weil in dem fernen Erdteil ja Affen herumlaufen. Oder der vom Bildschwein sprach, weil er das erste Wildschwein auf einem Bild, nicht in freier Natur gesehen hatte.
Um so etwas zu systematisieren, müsste man allerdings Schriftstellern bei der Arbeit mit Wörterbüchern zusehen können, wenn sie, wie Arno Schmidt einmal gesagt hat, ihr Gehirn in die Falten jener Zeit legen, über die sie gerade schreiben. Denn diese Einzelgänger, oft in der Provinz, waren die entscheidenden Spracharbeiter:
Klaus-Dieter Lehmann: "Die deutsche Sprache hat in ihrer Entwicklung bis heute, als neuhochdeutsche Sprache, nie eine zentrale Instanz gehabt, sie hat nie eine Regulierungsbehörde gehabt."
Damit spielt Klaus-Dieter Lehmann auf Frankreich an, den Nachbarn, wo nach der Revolution alles zentralistisch auf Paris fixiert war und jeder regionale Dialekt sozusagen ausgemerzt wurde. Ähnliches tat sich in der DDR: die brachte, wie man in einer Vitrine sehen kann, die Zeitschrift "Brigadepost" heraus, eine -im Untertitel - "Argumentation für die Brigaden sozialistischer Arbeit". Dahinter steckt natürlich eine zentrale Sprachregelung, die Dominanz von Wort-Führern.
Aber inwieweit deren bürokratisch-langweilige Formeln sich tatsächlich im Alltag durchgesetzt haben, in der Umgangssprache überhaupt verwendet oder nicht gar ironisiert wurden, das bleibt ungeklärt. Weil in Berlin niemand auf Karl Kraus, den Wiener Publizisten gehört hat, der einst sagte: "Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner schaut es zurück."
Diesen tiefen Blick, ein "Schau-mir-in-die-Augen" - und vielleicht sogar in die Seele, hätte man der oberflächlich durchaus glänzenden Ausstellung gewünscht.