"Der Spuk wird wieder vorübergehen"

Miriam Rossius im Gespräch mit Christopher Ricke |
Gegenseitige Kriegsdrohungen, Absperrung der gemeinsamen Sonderwirtschaftszone: Für die meisten Südkoreaner sei das Säbelgerassel business as usual, sagt die Journalistin Miriam Rossius. Ein Teil ihrer Familie lebt in Südkorea und nehme den Konflikt mit äußerster Gelassenheit wahr.
Christopher Ricke: Den ganzen Morgen berichten wir schon über die Entwicklung in Korea, über das Gespräch des amerikanischen Außenministers mit dem südkoreanischen über die Sperrung eines gemeinsamen Wirtschaftskomplexes durch Nordkorea, über die Drohung Südkoreas, die jetzt in Nordkorea festgehaltenen Südkoreaner möglicherweise militärisch zu befreien – die Krise, die ist also längst da, auch auf der politischen Ebene.

Aber es gibt ja auch noch den etwas anderen Blick auf die Vorgänge in Korea. Ich spreche jetzt mit meiner Kollegin Miriam Rossius, die wir in Koreafragen gerne mal um Rat bitten, sie ist nämlich regelmäßig im Land. Ihre Mutter ist Koreanerin, die halbe Familie lebt in Korea. Wie unruhig machen Sie denn die Meldungen des heutigen Morgens?

Miriam Rossius: Na ja, ich war ein bisschen überrascht über das, was über diese Sonderwirtschaftszone Kaesong berichtet wurde, dass da eben südkoreanischen Pendlern die Einreise verweigert worden ist. Das hätte ich nicht unbedingt so relativ schnell doch erwartet.

Aber als ich dann gesehen habe, dass diese Nachricht es in der "Korea Times", einer der größten, wichtigsten Tageszeitungen, nicht mal zum Aufmacher geschafft hat, und dass in einer anderen großen Tageszeitung davon die Rede ist, dass sich die Einreise verzögert heute, also die dann noch damit rechnet, dass es nicht lange dauert, da dachte ich, gut, es passt ins Schema der gegenseitigen Drohungen und Drohkulissen, die da aufgebaut werden, und der Spuk wird wieder vorübergehen – diesmal vielleicht nicht so schnell wie in den anderen Jahren.

Ricke: Jetzt haben Sie mir ja vorhin erzählt, dass Sie in der nächsten Woche nach Korea fliegen werden, allerdings nicht als Kriegsreporterin, sondern als Dokumentarfilmerin und natürlich auch auf Familienbesuch, und ich weiß, dass Sie einen kleinen Sohn in Berlin haben. Was macht Sie denn so sicher, dass Sie in diesen Tagen wirklich guten Gewissens dort hinreisen können?

Rossius: Das ist zum einen ganz im Wesentlichen die Gelassenheit meiner Familie in Korea. Die Verwandten haben extra hier angerufen in den letzten Tagen, mehrfach: Macht euch bloß keine Sorgen, cancelt nicht euren Flug, ihr wisst doch, das ist immer das gleiche Schema, von außen wirkt das alles dramatischer als für uns hier, die wir seit Jahren immer wieder diese Kriegsrhetorik erleben, die sich gegenseitig hochschaukelt.

Auch wenn Nordkorea den Kriegszustand ausruft, im Grunde genommen ändert das nichts, weder politisch noch militärisch, denn wir haben seit Jahrzehnten keinen Friedensvertrag. Und ich habe vorhin noch mal nachgefragt wegen der Meldungen über Kaesong, da war mein einer Onkel gerade auf dem Weg zum Sport, der andere war in die Berge gegangen, um Kräuter zu sammeln, und ich denke, das trägt auch doch stark zu meiner Beruhigung bei.

Ricke: Jetzt versuche ich das doch noch mal ein bisschen politisch zu verstehen. Sie haben ja da einen besonderen Blick: Als Berlinerin haben Sie die deutsche Teilung erlebt, Sie haben als Berlinerin die Mauer gesehen, Ihre Mutter, Ihre Großeltern haben den Koreakrieg erlebt und die bis heute währende Teilung, das Sperrgebiet, die Demarkationslinien. Gibt es da Parallelen?

Rossius: Ja, das sind natürlich zum einen die, die auf der Hand liegen: die willkürliche Teilung in zwei völlig unterschiedliche Regime bis hin zu wechselseitigen Entführungen in den vergangenen Jahrzehnten, klar, und man kann auch von so einer bestimmten Verbundenheit sprechen, vor allem von südkoreanischer Seite. Die beobachten ja sehr genau, was hier passiert seit 1989, haben das vorher sehr genau im Blick gehabt.

Und ich bekomme in den letzten Tagen natürlich immer wieder Nachfragen von deutschen Freunden, die sagen: Ja, willst du wirklich nächste Woche nach Korea fliegen, das klingt alles so gruselig und schaurig, sag das doch ab! Und es erinnert mich so ein bisschen daran, dass man als Westberlinerlin ja auch regelmäßig gefragt wurde von Leuten aus Hamburg, Kiel, München, wie auch immer: Ist das nicht ein ganz unangenehmes Gefühl, so eingeschlossen von einer Mauer zu leben?

Der Vergleich hinkt natürlich, aber ein bisschen hat es was davon, dass ich dann sage: Na ja, das ist für meine Familie in Korea mehr oder weniger, passiert da halt business as usual, und man kennt die gegenseitigen Drohungen.

In der "Korea Times" erschien erst gestern wieder ein Leitartikel, da hieß es: Also, wer nicht vertraut ist mit der politischen Theatralik zwischen den Staaten, der könnte leicht annehmen, hier bahnt sich ein neuer Koreakrieg an. Für alle, die leicht zu beunruhigen sind, fassen wir hier noch mal die Expertenmeinungen zusammen. Und nun gibt es in Südkorea ja ganze Fachbereiche an etlichen Unis, die sich ausschließlich mit Nordkorea und dem Tag X einer möglichen Wiedervereinigung befassen, und da wurden dann noch mal alle Argumente, die gegen eine wirkliche Eskalation des Konflikts sprechen, aufgeführt.

Ricke: Nach unserem Gespräch jetzt wechseln Sie bei uns hier, bei Deutschlandradio Kultur, wieder in den normalen redaktionellen Dienst, werden von 11 bis 17 Uhr die Nachrichten schreiben und auch sprechen – das Thema Korea könnte heute durchaus in den Nachrichten weiter eine Rolle spielen. Wie gehen Sie damit persönlich um?

Rossius: Wahrscheinlich ähnlich wie Sie, wenn es um die bayrische Landespolitik geht.

Ricke: Meine Kollegin Miriam Rossius, die in ein paar Tagen ihre Familie in Südkorea besuchen wird.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Miriam Rossius
Miriam Rossius© Deutschlandradio - Bettina Straub
Mehr zum Thema