"Der Staat legt eben fest, was gesagt werden darf"

Amir Valle im Gespräch mit Katrin Heise · 15.11.2010
Aus politischen Gründen lebt der kubanische Schriftsteller Amir Valle im Berliner Exil. Sein Heimatland verhängte ein generelles Zusammenarbeitsverbot über den Schriftsteller. An die Möglichkeit einer baldigen Rückkehr nach Kuba glaubt Valle nicht.
Katrin Heise: Das Writers-in-Prison-Programm besteht seit 50 Jahren. Es setzt sich für verfolgte und gefangene Autoren und ihre Angehörigen ein. Macht auf ihr Schicksal vor allem erst mal aufmerksam. Um Schriftsteller mundtot zu machen, gibt es weltweit viele Möglichkeiten auch außerhalb der Gefängnisse – Kuba zum Beispiel verhängte über den Schriftsteller Amir Valle ein generelles Zusammenarbeitsverbot. Und das, obwohl er sehr erfolgreich und anerkannt war, auch international. Seine Themen gefielen wohl nicht, das waren nämlich Kinderprostitution, Menschenschmuggel, Drogenhandel, und ein Roman spielt in der Nach-Castro-Ära. Aus politischen Gründen lebt Valle seit 2006 in Berlin und nahm hier auch das Programm Writers in Exile in Anspruch. Und ich freue mich, dass er heute mein Gast ist. Buenos dias, Señor Valle!

Amir Valle: Ja!

Heise: Die Situation von Schriftstellern und Journalisten momentan in Kuba ist Ihnen recht gut bekannt, weil sie in ständigem Austausch stehen. Was hören Sie im Moment aus Kuba über die Situation für Schriftsteller und Journalisten?

Valle: Die Situation ist recht unterschiedlich, weil auf der einen Seite gibt es also eine Gruppe von Journalisten und Schriftstellern, die das Land verlassen konnten, aber auf der anderen Seite sind im Oktober letzten Jahres weitere, vor allen Dingen junge Journalisten ins Gefängnis geworfen worden. Das sind Journalisten, die auch als Schriftsteller tätig sind. Sie waren unterschiedliche Zeit im Gefängnis, manchmal waren es nur Tage, manchmal dauerte die Haft Wochen. Und deswegen kann man sagen, dass diese Gespräche, die zwischen Spanien, zwischen den Kirchen und der Regierung Kubas geführt haben, kein richtig positives Ergebnis gebracht haben, weil auf der einen Seite ist es eben Journalisten und Schriftstellern, die längere Zeit in Haft waren, möglich, die Insel zu verlassen, aber gleichzeitig werden andere wieder ins Gefängnis gesteckt.

Heise: Und die Möglichkeit, die Insel zu verlassen, geschieht auch zum Teil unter Zwang?

Valle: Ich habe persönlich Gespräche mit einigen dieser Journalisten führen können, mit einem bin ich auch schon seit langen Jahren befreundet, und das, was sie mir berichtet haben, ist wirklich sehr traurig. In vielen Fällen war es so, dass sie aus dem Gefängnis gehen konnten, dass sie aber vom Gefängnis direkt zum Flughafen gebracht wurden und dort in ein Flugzeug gesetzt hatten und sofort außer Landes fliegen mussten. Das heißt also, in vielen Fällen hatten sie nicht mal die Gelegenheit, ihre Familienangehörigen zu treffen. Manchen war es möglich, ihre Familienangehörigen auf dem Flughafen noch zu treffen. Sie wurden also direkt zum Flughafen gebracht und von dort ins Ausland deportiert.

Heise: Was erfährt denn eigentlich die kubanische Öffentlichkeit über das Schicksal dieser Schriftsteller oder Journalisten?

Valle: In Kuba ist es, dass man praktisch nichts sagen darf, was nicht offiziell erlaubt ist. Es gibt ein Gesetz, das sogenannte Gesetz 88, was auch bei uns unter der Bezeichnung Maulkorbgesetz bekannt ist, und der Staat legt eben fest, was gesagt werden darf. Und alles, was er nicht möchte, dass man es öffentlich sagt und erst recht nicht ins Ausland übermittelt, wird ebenfalls in diesem Gesetz berücksichtigt und führt dann eben zu Beeinträchtigungen, zu Verfolgungen.

Heise: Das heißt, über das Schicksal der Autoren, von denen Sie ja gerade etwas noch gelesen haben, die dann aber im Gefängnis verschwinden, erfahren Sie nichts?

Valle: Es ist alles wirklich sehr kontrolliert, und das Traurige an der ganzen Situation ist, dass ungefähr 60 bis 70 Prozent der kubanischen Bevölkerung nicht wissen, dass es eine Opposition im Lande gibt, dass es dort in Kuba 25 politische Parteien gibt, die alle illegal sind und die in Opposition zur Regierung stehen. Das heißt also, die Mehrheit der kubanischen Bevölkerung ist von der offiziellen Informationspolitik abhängig und weiß nichts über die Opposition im Lande.

Heise: Sie, Amir Valle, sind 1967 geboren, Sie wuchsen als – habe ich irgendwann mal gelesen, eigene Einschätzung – guter Revolutionär auf. Erst während Ihrer Tätigkeit als Journalist kamen Ihnen Zweifel an der Regierung. Ihre späteren Themen, die Sie bearbeitet haben, waren Drogen, Prostitution, Menschenhandel, und damit begann dann eben auch die Repression. Was haben Sie erlebt in Kuba?

Valle: Was ich erlebt habe, war, dass wir 52 Jahre lang innerhalb von Lügen gelebt haben. Es ist richtig, als Kind, als Sohn eines Mannes aufgewachsen, der aktiv die Revolution mitgemacht hat, der irgendwie ja beteiligt war. Und als ich jung war, hat man mir gesagt, dass die Revolution gemacht wurde, damit ich, damit jeder Kubaner frei sagen und tun kann, was er meint.

Als ich noch ein – wie Sie sagten – guter Revolutionär war, das bedeutete, es war mir damals erlaubt, über Themen zu schreiben, die genehm waren, und das habe ich eben auch getan. Und während dieser Zeit, als ich als guter Revolutionär galt, hatte ich meine festen Programme im Fernsehen, habe zwei Jahre lang Rundfunksendungen gemacht. Und danach habe ich aber begonnen, mir Fragen zu stellen über die Situation in dem Viertel, in dem Wohnviertel, wo ich zu Hause war. Dort habe ich eben solche Fakten wie Prostitution, Drogen, Schwarzmarkt kennengelernt und habe angefangen, mich mit diesen Themen zu beschäftigen und auch darüber zu schreiben. Und dann wurde ich also zu einem a patria, also zu einem vaterlandslosen Gesellen, wie sie es dort in Kuba bezeichnen.

Heise: Was bedeutete das, zu so einem vaterlandslosen Gesellen zu werden, was bedeutete das für Ihre Arbeit?

Valle: Das bedeutete für mich, dass ich meine Arbeit verlor, man hat mich auch aus dem kubanischen Journalistenverband rausgeworfen. Ich habe dann überall versucht Arbeit zu finden, ich hab keine Arbeit mehr gefunden, konnte nicht mehr publizieren. Auch meine Bücher, die noch in Buchläden waren, wurden aus diesen Buchläden entfernt. Ich weiß auch, dass man versucht hat, mich ins Gefängnis zu stecken, das hat man aber glücklicherweise nicht geschafft, weil es ihnen nicht möglich war, irgendeine Verbindung zwischen mir und den existierenden politischen Oppositionsgruppen nachzuweisen.

Heise: Erfahrungen des kubanischen Schriftstellers Amir Valle. Er lebt seit fünf Jahren im Exil. Darüber unterhalte ich mich mit ihm im Deutschlandradio Kultur. Herr Valle, Sie waren trotz allem bekannt im Land, Sie befanden sich dann 2005 mit Ihrer Ehefrau auf einer Reise in Spanien, von Ihrem dortigen Verlag organisiert. Sie sind dann nicht zurückgegangen nach Kuba, warum eigentlich?

Valle: Es trifft zu, ich war damals in Spanien, wie Sie sagten, und habe eben meinen damals letzten Roman vorgestellt, und das war gerade in der Zeit, als Fidel Castro sich auf dieses Buch bezogen hatte, wie ich das schon gerade geschildert habe. Wir wollten dann nach unserem Aufenthalt wieder zurück nach Kuba, weil unsere Kinder damals noch in Kuba lebten, aber man hat uns ganz einfach nicht mehr die Einreise erlaubt.

Heise: Ihren gemeinsamen Sohn, Ihren jüngsten Sohn konnten Sie dann erst nach massivem Einsatz lateinamerikanischer Intellektueller überhaupt nach Europa, also nach Deutschland in diesem Falle, holen. Seit 2006 sind Sie hier in Deutschland, leben Sie hier, Sie haben auch einen Asylantrag gestellt. Ist das jetzt eigentlich auch schon ein bisschen Heimat geworden oder ist es eigentlich eine Station und Sie sind quasi immer kurz vor der Rückreise?

Valle: Ich glaube, an dem Tag, wo ich einmal sterben werde, wird Deutschland in meinem Herzen sein. Warum sage ich das? Es ist wirklich so, dass in den schlimmsten Augenblicken meines Lebens mir dieses Land Deutschland alle Türen und Tore geöffnet hat, und das ist für mich etwas, was ich als Wunderbares empfinde. Deutschland ist meine zweite Heimat. Meine Kinder sprechen wunderbar deutsch, sie essen lieber deutsches Essen, statt eben die kubanischen Speisen zu sich nehmen zu wollen, sie haben sich also voll hier eingewöhnt. Und für mich, ich bin jetzt 43 Jahre, ich bin also auch dabei, dieses Wunder zu vollbringen, die deutsche Sprache zu erlernen und mich voll mit der deutschen Kultur zu identifizieren.

Heise: Aber wie arbeiten Sie als Schriftsteller hier, denn Ihre Themen, das waren kubanische Themen? Was inspiriert Sie in Deutschland?

Valle: Meine letzten beiden Romane habe ich jetzt hier geschrieben, und der eine davon handelt vom Exil der Kubaner hier in Deutschland. Und in dem zweiten Roman beziehe ich mich auf die Zusammenhänge zwischen Adolf Hitler, Ernesto Che Guevara und Charlie Chaplin. Das alles beruht auf dem Film "Der große Diktator". Das heißt also, Kuba ist immer in meinem Herzen, aber mit diesen beiden Romanen beginne ich auch, mich etwas von der Thematik her von der Insel zu entfernen.

Heise: Aber Sie warten auf Ihre Rückreise?

Valle: Ich warte auf meine Rückreise, aber ich bin da auch ziemlich pessimistisch, denn ich glaube, dass die Situation in Kuba es mir nicht erlauben wird, innerhalb kurzer Zeit nach Kuba zurückzukehren. Ich bin davon überzeugt, dass das Regime noch zehn, 15 Jahre fortbestehen wird, aber auf der anderen Seite ist es so, dass ich in meiner Situation hier in dem für mich und meine Kinder besten Land angelangt bin, dass es mir hier am besten geht.

Heise: Können Sie sich eigentlich von hier aus einsetzen für Ihre in Kuba inhaftierten verfolgten Freunde und Kollegen?

Valle: Das mache ich auch jeden Tag, das Internet macht es möglich. Ich leite da im Internet eine Zeitschrift und bin auch der Vorsitzende einer Vereinigung, und wir versuchen eben über alles, was jeden Tag auf der Insel geschieht, zu berichten, und versuchen eben auch im Rahmen dieser Vereinigung, die Schriftsteller und Journalisten, die noch in Kuba sind, zu unterstützen, sie zu fördern, damit sie international bekannt werden und sie nicht in Vergessenheit geraten.

Heise: Amir Valle, kubanischer Schriftsteller im Exil in Berlin, vielen Dank für dieses Gespräch!

Valle: Vielen Dank Ihnen!

Heise: Die Übersetzung übernahm Werner Müller, auch Ihnen vielen Dank! Auf die Schicksale verfolgter Schriftsteller macht der "Abend der Erinnerung" heute im Haus der Berliner Festspiele übrigens aufmerksam. Anlass ist das 50-jährige Bestehen des Writers-in-Prison-Programms des internationalen PEN. Vielen Dank!
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