Der steinige Weg zur globalen Gerechtigkeit

Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen Menschlichkeit sind Straftaten, die nur selten geahndet werden. Seit den Nürnberger Prozessen vor 60 Jahren hat sich das internationale Strafrecht kaum weiterentwickelt. Woran das liegt, ist in einem neu erschienenen Sammelband nachzulesen, den Gerd Hankel, Jurist und Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kulturherausgegeben hat.
Die Nürnberger Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit als "Siegerjustiz" diffamiert. Aber ziemlich bald wurde Nürnberg zum Leitbild einer internationalen Strafgerichtsbarkeit. Ein ständig arbeitender internationaler Strafgerichtshof sollte errichtet werden, damit Straftaten gegen das Völkerrecht überall auf der Welt geahndet werden konnten. Das Buch beschreibt, wie schwierig der Weg dorthin war. Mächtige Staaten befürchteten, selbst wegen Kriegsverbrechen in Schwierigkeiten zu geraten; in erster Linie die USA wegen der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und der Kriegsverbrechen in Vietnam. Die Sowjetunion musste wegen des Krieges in Afghanistan mit Konsequenzen rechnen. Der Kalte Krieg tat ein Übriges, musste doch die eine Seite eine Anklage der anderen Seite befürchten.

Erst mit dem Ende des Ost-West-Konflikts stiegen die Chancen für einen ständigen internationalen Strafgerichtshof. Das Interesse flammte auf, als die Gräueltaten im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda bekannt wurden. Zwei so genante Ad-hoc-Gerichtshöfe wurden gegründet: 1993 der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag und 1994 der Gerichtshof für Ruanda in Arusha, Tansania. Endlich wurde 1998 auch das Statut des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs in Rom verabschiedet, das in der Folgezeit von zahlreichen Staaten ratifiziert wurde und 2002 in Kraft trat. Sitz des Gerichtshofs ist Den Haag. Die Großmächte China, Russland und die USA haben jedoch das Statut nicht ratifiziert.

Dennoch, so wird in dem Buch berichtet, wirkt sich allein die Existenz des Gerichtshofes positiv auf die Entwicklung des Völkerstrafrechts aus. Bisher wartet zwar nur ein einziger Angeklagter in Den Haag auf seinen Prozess, ein kongolesischer Milizenführer, der Kinder als Soldaten rekrutiert und in den Tod geschickt haben soll. Aber es wird in zahlreichen weiteren Fällen ermittelt und darüber hinaus, schreibt der Jurist Volker Nerlich, ein Mitarbeiter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, haben eine Reihe von Staaten die Straftatbestände des Völkerrechts in innerstaatliches Recht umgesetzt. So ist in der Bundesrepublik Deutschland am 30.6.2002 das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft getreten. Der Strafgerichtshof hat also eine Art Katalysator-Funktion. Als "Ruhekissen für das Weltgewissen" wurde er zu Unrecht belächelt.

Neben Nerlich schreiben viele weitere Juristen und Juristinnen, in internationaler Besetzung, über Themen rund um das Völkerstrafrecht. Zum Beispiel über kriegerische Gewalt gegen Frauen, die seit den Prozessen um die Vergewaltigungen in den Lagern im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda als Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sogar als Mittel zum Völkermord anerkannt sind. Im ersten Teil des Buches erfährt man – detailreich und aus vielen verschiedenen Blickwinkeln beschrieben – wie sich das internationale Strafrecht vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute entwickelt hat.

Im zweiten Teil geht es um das Völkerrecht. Am Beispiel von Guantánamo und Abu Ghraib zeigt die US-amerikanische Juraprofessorin Mary Ellen O’Connell, wie das Folterverbot, ein zwingendes Recht, im Zusammenhang mit dem Sicherheitsdenken aufgeweicht wird. Nach dem 11. September 2001 zeigen die USA noch weniger Neigung, sich multilateral zu binden. Sie setzen auf die militärische Intervention, wie vorher schon die NATO im Kosovo. In diesem Teil des Buches schreibt der einzige Nichtjurist, der Politologe Herfried Münkler, über die neuen, die asymmetrischen Kriege, in denen der Feind sich an keine Regeln hält. Ein Feind, der mit dem herkömmlichen Feind im Sinne des Kriegsvölkerrechts nicht mehr viel gemein hat. Ein Feind, der nicht sichtbar ist, der aus dem Hinterhalt Terroranschläge verübt, der global agiert und an kein Territorium gebunden ist.

Wie in diesen Konflikten ein Völkerrecht der dritten Generation greifen könnte, fragen weitere Juristen in dem Sammelband. Überhaupt werden im zweiten Teil viele Fragen gestellt und wenig Antworten gegeben. Der erste Teil indes ist eine hervorragende Zusammenstellung der Entwicklungen im Völkerstrafrecht und gleichzeitig eine Analyse dessen, was internationale Strafgerichtsbarkeit in den aktuellen Konflikten zu leisten vermag - zum Beispiel bei der Aburteilung von Kriegsverbrechern aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Weiterentwicklung des Verfahrensrechts - und wo sie versagt, weil zum Beispiel Hauptverdächtige nicht gefasst werden können.

Rezensiert von Annette Wilmes

Gerd Hankel (Hrsg.):
" Die Macht und das Recht - Völkerrecht und Völkerstrafrecht am Beginn des 21. Jahrhunderts"
Hamburger Edition, Hamburg 2008
462 Seiten, 35 Euro