Gute Aussichten für die Büdchen
Das Ruhrgebiet feiert zum zweiten Mal den Tag der Trinkhallen. An 176 Kiosken gibt es heute Kleinkunst, Musik, Fußball und Filme. Der Stadtführer Bruno Kopp würdigt die Buden als historische Orte, Versorgungsstation, aber auch als wichtige Kontaktbörse.
Im Zuge der Industrialisierung entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Trinkhallen, sagt der Kölner Stadtführer Bruno Kopp, der aber auch die Tradition des Ruhrgebiets mit im Blick hat. Dort wird heute zum zweiten Mal der "Tag der Trinkhallen" mit zahlreichen Kulturveranstaltungen gefeiert.
"Und das Gute am Büdchen oder an der Bude ist, Menschen kommen ins Gespräch", sagte Kopp im Deutschlandfunk Kultur. Die Trinkhalle sei die kleinste heimatliche Bindung im öffentlichen Raum. "Reden, reden, reden, sich austauschen, und über diesen Austausch organisiert man die Abendbetreuung, Übernachmittagsbetreuung für die Oma. Man braucht einen Klempner, also bekommt man da einen Tipp."
"Büdchenkult" bei jungen Leuten
Kopp sagte, er kenne Buden, da würden Wohnungen vermietet. "Die gehen gar nicht mehr über diese großen Vermietungsportale, sondern das machen die im Quartier, im Kiez oder im Veedel, wie wir in Köln sagen, direkt am Büdchen. Und dafür sind die so wichtig." Kopp glaubt auch an die Zukunft der Buden, die sich in großen Städten wie Köln oder Düsseldorf bereits zum Café weiterentwickelten. Gerade junge Leute pflegten geradezu einen "Büdchenkult".
Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Budenzauber im Revier – fast 200 Trinkhallen im Ruhrgebiet zeigen heute, dass sie mehr können, als süße Tüte, Bier oder H-Milch verkaufen. Beim zweiten "Tag der Trinkhallen" werden erneut 50 Büdchen ein Kulturprogramm auf die Beine stellen – gesponsert natürlich –, und sie feiern die Budenkultur des Ruhrgebiets.
Darüber wollen wir reden, aber liebe Leute im Ruhrgebiet, wir haben leider den besten Büdchenführer im Rheinland gefunden, es tut mir sehr leid. Bruno Knopp ist Diplom-Geograph, Autor in Köln, bietet da Stadtführungen an und eben auch Touren zu den Büdchen. Jetzt ist er am Telefon, Herr Knopp, schönen guten Morgen!
Bruno Knopp: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck, schönen guten Morgen in die Späti-Metropole Berlin!
von Billerbeck: Da haben Sie ja schon was verraten, mein Gott. Waren Sie denn heute schon am Büdchen?
Knopp: Nee, heute Morgen war ich noch nicht am Büdchen, ich hab heute Morgen meinen Kaffee zu Hause getrunken.
von Billerbeck: Was war denn Ihr letzter Kauf dort, Herr Knopp?
Knopp: Das war ein Bier, und zwar ein Kölsch, 0,33 Liter, die kleine Flasche.
von Billerbeck: Es hätte mich jetzt auch gewundert, wenn's was anderes gewesen wär. Sie haben es schon erwähnt, in Berlin heißen die Dinger ja nur Späti und sind alles Mögliche – was ist denn bei Ihnen der richtige Begriff: Trinkhalle, Kiosk oder Büdchen?
Knopp: Also hier in Köln und in den Städten Düsseldorf und Aachen, da sagen wir eigentlich Büdchen oder Kiosk, und im Ruhrgebiet ist es halt die Bude oder auch der Kiosk.
Anfangs für Mineralwasser und Limonade
von Billerbeck: Warum gibt's diese Büdchen eigentlich? Die sind ja so typisch für Ihre Gegend.
Knopp: Ja, die sind eigentlich überall da entstanden, so Mitte des 19. Jahrhunderts, wo die Industrialisierung war. Und mit der Industrialisierung, vor allen Dingen in der Region Aachen, Stolberg, auch natürlich vor allen Dingen im Ruhrgebiet, aber auch an der Wupper, da gab's natürlich dann viele Menschen, die zogen da hin. Und diese Menschen waren sehr oft sehr arm, bitterarme Arbeiter.
Viele von denen tranken Alkohol, Schnaps, Bier. Die machten das deswegen, weil sie nämlich dann, weil sie so arm waren, haben sie oft das Geld für ihre Kinder dann halt genommen und sie selber sind morgens zur Arbeit gegangen, oft lange Strecken, denen war extrem kalt, auch in den Betrieben im Winter. Sie hatten wenig zu essen, sie hatten Hunger, dann haben sie halt gesoffen, und durch die Sauferei konnten sie das irgendwie ertragen.
Und dann gab's im Ruhrgebiet, so im 19. Jahrhundert, sowohl von der Zivilgesellschaft her als auch von den Industriellen eine Bewegung, die sagte, also wenn jetzt hier noch mehr gesoffen wird, dann geht die Produktion runter, und vor allen Dingen ist das nicht gut sozusagen für die Ethik und Moral der Gesellschaft. Und dann entwickelten sich kleine Büdchen, und in denen wurde ausschließlich Mineralwasser ausgeschenkt. Mineralwasser und Limonade.
Die Bierflasche muss verschlossen sein
von Billerbeck: Ist ja heute unvorstellbar, weil heute verbindet man die Büdchen ja eigentlich mit dem Kölsch.
Knopp: Ja, oder im Ruhrgebiet mit dem Pilsgen. Das kam aber erst so in der Wirtschaftswunderzeit. Also nach der Währungsreform gab's dann auch Zigaretten an den Büdchen, also nicht nur noch Limonade oder kleine Speisen, die die Leute selbst gemacht hatten, sondern dann kamen natürlich auch die fertig verpackten Schokoriegel später. Und es kam vor allen Dingen der Alkohol in geschlossenem Gebinde, weil an einem Büdchen oder an einer Bude oder an einem Kiosk, da darf der Budenbesitzer laut Ordnungsamt dem Gast nicht die Bierflasche öffnen.
von Billerbeck: Meine Güte, das selbst in Köln.
Knopp: Er muss die geschlossen verkaufen. Und dann muss der ein paar Schritte weiter rausgehen, das Ding aufmachen, offiziell, dann kann der das trinken. Und daher kommt das.
Engmaschige Nahversorgung
von Billerbeck: Was bedeutet den Leuten in Nordrhein-Westfalen, also im Rheinland und im Ruhrgebiet, nun das Büdchen, wofür stehen die heute?
Knopp: Die stehen zuerst mal für ein doch immer noch sehr engmaschiges und trotzdem dezentralisiertes Nahversorgungsnetz. Man muss sich das im Ruhrgebiet so vorstellen: Das ist eine Stadtlandschaft, fragmentiert, das ist nicht eine Großstadt, und bevor es jetzt Supermärkte gab, mussten die Menschen natürlich auch versorgt werden. Das heißt, die gingen zur Arbeit, die gingen auf Zeche oder die gingen oder gehen ins Stahlwerk, und auf dem Weg dahin, da brauchten sie irgendwas zu essen, irgendwas zu trinken, und das nahmen die sich mit.
Viele Büdchen und Buden, die sind ja heute noch in den alten Arbeitervierteln, in den Zechensiedlungen. Das heißt, das ist sozusagen eine überkommene Art, wie die Menschen sich früher versorgt haben, und das ist, wenn man so will, ein überräumlicher Kulturschatz im Ruhrgebiet zum Beispiel, der einmalig ist, den es zu erhalten gilt. Und das Gute am Büdchen oder an der Bude ist, Menschen kommen ins Gespräch. Das ist die kleinste heimatliche Bindung sozusagen im öffentlichen Raum.
Reden, reden, reden, sich austauschen, und über diesen Austausch organisiert man die Abendbetreuung, Übernachmittagsbetreuung für die Oma. Man braucht einen Klempner, also bekommt man da einen Tipp. Ich kenne Buden, da werden im Grunde Wohnungen vermietet, die gehen gar nicht mehr über diese großen Vermietungsportale, sondern das machen die im Quartier, im Kiez oder im Veedel, wie wir in Köln sagen, direkt am Büdchen. Und dafür sind die so wichtig.
Zukunft der Büdchen
von Billerbeck: Nun haben wir aber gelesen, laut Handelsverband, dass die Zahl der Kioske – ums mal so ganz nüchtern zu sagen –, also die Zahl der Büdchen, der Trinkhallen abnimmt. Welche Zukunft haben denn die Büdchen noch?
Knopp: Ich glaube, das muss man sehr differenziert sehen. In Städten wie Düsseldorf oder in Köln, wo viele junge Leute leben, da ist es so, dass es inzwischen einen Büdchenkult gibt. Da gibt es inzwischen auch Büdchenbesitzer, die sind da keine Quereinsteiger, sondern die haben im Hotelfach gelernt oder sind Kaufleute, und die machen heute dort in den Metropolen, auch in den Szenevierteln und drum herum, machen die Kioske und Buden auf, ganz genau zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Leute, die dort hingehen, auch die in den Quartieren wohnen.
Das sind sehr erfolgreiche Konzepte, weil man kann aus einem Büdchen, gerade wenn es keine freistehende Trinkhalle ist, sondern wenn man da reingehen kann, dann kann man daraus auch eine Art Café machen, man kann dort Verweilzeit haben, und da gibt's ne Zukunft. In vielen anderen Gegenden, glaube ich, eher im Ruhrgebiet, in den alten Arbeitervierteln, die Kaufkraft schwindet, ich glaube, dass es da weiterhin eine Schrumpfung geben wird.
von Billerbeck: Bruno Knopp war das, Stadtführer in Köln, der dort Extratouren zu den Büdchen anbietet. Wenn Sie also Lust haben, merken Sie sich den Namen, gucken Sie ins Netz, und wenn Sie heute nicht im Rheinland sind, sondern im Ruhrgebiet, da wird heute der zweite "Tag der Büdchen" gefeiert mit allem drum und dran. Herr Knopp, ich danke Ihnen – war doch ein schönes erstes Interview, oder?
Knopp: Ja, war super, herzlichen Dank und einen netten Gruß nach Berlin und einen schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.