DIW-Ökonom Marcel Fratzscher

"Der Tankrabatt ist teuer, schädlich und unsozial"

29:48 Minuten
Zapfpistolen für verschiedene Kraftstoffe an einer Tankstelle.
Derzeitiger Albtraum der deutschen Autofahrer: die Zapfsäule. © imago / Kirchner-Media / Christopher Neundorf
Moderation: Gerhard Schröder |
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Durch den Ukraine-Krieg ist Deutschland unter Reformdruck geraten. DIW-Chef Marcel Fratzscher über hohe Spritpreise, die Entlastung von Geringverdienern und eine grundlegende Neuausrichtung der globalen Handels- und Wirtschaftspolitik.
Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine könnten die Preise für Öl, Kohle und Gas weiter stark steigen, befürchtet DIW-Chef Marcel Fratzscher. "Die Hoffnung ist immer, dass es nicht so schlimm kommt. Aber wir müssen uns auf eine starke Preiseexplosion vorbereiten", sagt der Ökonom. Auch die Inflationsrate in Deutschland könnte von derzeit fünf auf zehn Prozent steigen, sollte Russland den Krieg weiter verschärfen. Ein Abrutschen der deutschen Wirtschaft in eine tiefe Rezession sei dann wahrscheinlich, warnt Fratzscher.

Vorrangig Geringverdiener entlasten

Geringverdiener seien am stärksten von den steigenden Kosten für Heizung und Grundnahrungsmittel betroffen. Sie müssten daher vorrangig entlastet werden. Fratzscher spricht sich für direkte Hilfen des Staates aus, ein gutes Beispiel dafür sei der erhöhte Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. Der komme aber nur 2,3 Millionen Menschen zugute.
Das reiche nicht: "Man muss an die untere Hälfte, die unteren 50 Prozent bei der Einkommensverteilung, denken, also viel, viel mehr Haushalte und Menschen in Deutschland (unterstützen)." Denkbar sei zum Beispiel ein Zuschuss von 150 Euro pro Monat für Menschen mit weniger als 50.000 Euro Jahreseinkommen. Davon würden dann auch diejenigen profitieren, die gar kein Auto hätten oder angesichts der hohen Spritpreise auf Bus und Bahn umsteigen wollten.
Das sei besser als der von Finanzminister Christian Lindner geplante Tankrabatt für Autofahrer, sagt Fratzscher. Wie der genau aussieht, ist noch unklar: Lindner denkt daran, dass Autofahrer Tankquittungen in gewissem Umfang von der Steuer absetzen können. Das komme aber in erster Linie Besserverdienenden zugute, die darauf gar nicht angewiesen seien, kritisiert Fratzscher. Es sei auch ökologisch widersinnig, da mit dem geplanten Tankrabatt keinerlei Anreiz gesetzt werde, weniger Auto zu fahren. Das aber sei nötig, um den Verbrauch an fossilen Energien zu reduzieren. "Der Tankrabatt ist in jeder Hinsicht kontraproduktiv, er ist teuer, schädlich und unsozial."

"Die schwarze Null hat nie Sinn gemacht"

Für den Wirtschaftswissenschaftler kommt es jetzt darauf an, grundsätzlich umzusteuern, die Energiewende zu beschleunigen und mehr Geld in die Sicherheit zu investieren. Russlands Krieg gegen die Ukraine mache deutlich, dass hier in der Vergangenheit zu wenig investiert worden sei. "Wir haben uns kaputtgespart", kritisiert der Ökonom.
"Wir wollten nicht mehr Geld für Klimaschutz ausgeben und haben uns sehenden Auges in die Abhängigkeit, in die Erpressbarkeit durch Russland begeben", sagt Fratzscher. Diese Versäumnisse müsse Deutschland jetzt ausbügeln und in großem Stil investieren. Zusätzliche Ausgaben könnten über Schulden finanziert werden: "Die schwarze Null hat nie Sinn gemacht."
Wenn ein Staat in eine gute Infrastruktur investiere, in Bildung, in Forschung und Entwicklung, in eine zukunftssichere Energieversorgung, dann koste das kurzfristig Geld, erhöhe aber langfristig die Leistungsfähigkeit des Landes und sorge damit auch für mehr Wachstum und höhere Steuereinahmen. Ein Problem sei allerdings, dass Planungsverfahren viel zu lange dauerten und sich dadurch auch private Investitionen hinzögen.

Grundlegende Neuausrichtung der Handelspolitik

Eine grundlegende Neuausrichtung sei auch in der globalen Handels- und Wirtschaftspolitik nötig, fordert Fratzscher. Die derzeitige Situation zeige, wie gefährlich es sei, sich in einseitige Abhängigkeiten von autokratisch regierten Ländern zu begeben. Das gelte auch für die Wirtschaftsbeziehungen mit China.

Es ist ein riesiger Fehler, dass Unternehmen – gerade große Automobilkonzerne – sich in eine solche Abhängigkeit von China begeben. Das ist keine Demokratie. Wenn sich dort die Politik für einen radikalen Kurswechsel entscheidet, dann sind die Kosten hoch.

DIW-Chef Marcel Fratzscher

Das heiße nicht, dass man jetzt "alle Zelte in China abbrechen soll". Aber Deutschland müsse sich global diverser aufstellen. "Mehr Resilienz, mehr Widerstandsfähigkeit, mehr Puffer, mehr Reserven, um eben diese Abhängigkeit vor allem von nichtdemokratischen Ländern wie Russland und China zu reduzieren."
Forderungen, auf Gas- und Öllieferungen aus Russland sofort zu verzichten, um damit nicht Putins Krieg in der Ukraine zu finanzieren, bewertet Fratzscher skeptisch. Aufgrund der Finanzsanktionen könne die russische Regierung ohnehin kaum über die Einnahmen aus den Energieexporten verfügen. Die Wirkung sei daher gering. Die wirtschaftlichen Folgen eines solchen Embargos aber seien gravierend, die Preise für Energie und Getreide würden noch weiter ansteigen. Und darunter würden vor allem die ärmeren Länder leiden, warnt Fratzscher.
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