"Der Tanz und das Leben"

Von Tabea Soergel |
Thusnelda Mercy hat sich einmal als das "erste Kind" des Tanztheaters Wuppertal bezeichnet. Ihre Eltern waren lange Jahre Mitglieder des weltberühmten Ensembles von Pina Bausch. Heute tanzt Mercy selbst im Ensemble, ihr Vater ist einer der Leiter.
"Wenn man mich mit meinen Eltern vergleicht, nehme ich das als Kompliment! Das sind großartige Künstler. Wenn man mir sagt, ich sehe meiner Mutter auf der Bühne ähnlich oder meinem Vater, ich meine - wow."

Thusnelda Mercy sitzt mit Zigarette auf einem Ledersofa im Wuppertaler "Café Ada", einem altmodischen Tango-Café, in dem sie seit Jahren viele ihrer Abende und Nächte verbringt. Das Familien-Wohnzimmer, wie sie sagt. Ihre beiden jüngeren Geschwister Alexandre und Vassilissa arbeiten hier im Café. An der Wand des Raucherbereichs hängt ein gerahmtes Schwarzweißporträt von Pina Bausch. Seit Jahren trifft sich hier die Kompanie des Tanztheaters Wuppertal.

Das Theater, in dem sich in den 1970er Jahren Thusneldas Eltern Malou Airaudo und Dominique Mercy kennengelernt haben. Beide Franzosen, beide Tänzer - mit die ersten im jungen Ensemble der Tanzpionierin Pina Bausch. Thusnelda bewegt sich seit ihrer Geburt in diesem Kosmos. Streng genommen schon seit der Zeit davor: Auch als ihre Mutter schwanger mit ihr war, stand sie auf der Bühne. Heute ist Thusnelda Mercy, geboren 1977 in Marseille, selbst Tänzerin im Tanztheater Wuppertal. Allen Schwierigkeiten zum Trotz, die man als Tochter zweier Legenden auf sich nimmt:

"Ich musste halt ein bisschen, glaube ich, ein bisschen mehr arbeiten vielleicht. Ich hab mir selber auch mehr Druck gemacht. Ich wollte keine Geschenke. Ich wollte auch bloß nicht, dass meine Eltern mich irgendwie bevorzugen oder dass ich von irgendwem zu hören bekomme: Du bist nur da, weil deine Eltern... Und das war mein Ehrgeiz, das wollte ich. Meine Eltern waren auch, vor allem meine Mutter, sehr streng. Also, strenger mit mir als vielleicht mit anderen. Aber das hätte ich auch nicht anders gewollt."

Dass sie keine Schonung wollte, niemals, nimmt man Thusnelda Mercy auf der Stelle ab. Ihre Eltern sind schon lange geschieden, verstehen sich aber noch immer gut. Das ungeregelte, chaotische Leben während ihrer Kindheit, sagt Thusnelda, sei der Grund, warum ihr Ordnung und Organisation heute umso wichtiger seien. Die Mittdreißigerin lacht und raucht viel, und doch wirkt sie bei aller Lockerheit ausgesprochen diszipliniert. Anders hält man die Extrembelastungen als professionelle Tänzerin wahrscheinlich auch gar nicht durch. Getanzt hat sie praktisch schon immer. Als Jugendliche wollte sie allerdings lieber Kinderpsychologin werden. Dann trat sie wenige Jahre vor dem Abitur einer Tanztruppe in Düsseldorf bei. Und fing Feuer.

Thusnelda wollte die Schule abbrechen, um nur noch zu tanzen, doch ihre Eltern verboten es ihr. Also absolvierte sie vormittags die Oberstufe, trainierte nachmittags und abends in Düsseldorf und erledigte nachts in Wuppertal ihre Schulaufgaben, wenn sie nicht auf eine Party ging. Das zog sie durch, bestand ihr Abitur und studierte Tanz an der Folkwang-Hochschule in Essen. Anschließend arbeitete sie mit Sasha Waltz, aber sie wusste immer, wo sie hingehörte: nach Wuppertal, zu Pina. 2003 wechselte sie schließlich in das weltberühmte Ensemble. Ihre erweiterte Familie, wenn man so will:

"Es ist einfach, seitdem ich geboren bin, mein Leben. Ich bin damit drin aufgewachsen und hab diese wunderbaren Menschen, diese wunderbaren Künstler, diese wunderbare - und schwierige, also es ist nicht so, dass ich gerade daraus eine Traumwelt mache oder sage: Ha, alles ist so schön! Nein, es ist genauso wie das Leben: Es ist schrecklich hart und schrecklich schön. Also, es ist beides. Und alles, was dazwischen ist."

Der Tanz und das Leben. Für Thusnelda Mercy sind diese beiden Bereiche kaum zu trennen. Wenn sie erzählt, weiß man oft nicht so genau, ob sie gerade von ihrem Beruf spricht oder vom Leben jenseits der Bühne. Der Tanz nähre einen auch im Alltag, sagt sie und steckt sich noch eine Zigarette an. Ihre beste Freundin, Clémentine Deluy, hat sie während des Studiums in Essen getroffen. Sie tanzt heute auch in der Wuppertaler Kompanie. Gemeinsam gehen sie auf Konzerte oder shoppen, wenn sie mit dem Ensemble unterwegs sind, in Paris, New York - oder in Wuppertal. Bis heute lebt Thusnelda Mercy in der mittelgroßen Stadt im Bergischen Land. Wie ihre Geschwister, ihre Eltern, ihre Tanztheater-Familie:

"Pina wollte ja auch nie weg. Sie hat ja auch ganz bewusst diesen Ort ausgesucht. Klar, manchmal denke ich: Hach, wenn man irgendwie am Meer wäre... oder, keine Ahnung, in New York. Aber ich glaube, was ganz gut ist hier: Außer der Arbeit gibt es hier auch nicht wirklich viel zu tun! Und dadurch ist die Konzentration auf die Arbeit einfach so gegeben. Die ganze Energie geht halt da rein."

Gerade sei sie in einer Umbruchphase, erzählt Thusnelda Mercy. Sie wolle Dinge auf sich zukommen lassen, nicht alles planen, mehr genießen. Das ist auch der Grund, warum eigene Kinder vorerst noch kein Thema sind: Sie braucht die Zeit für sich. Grundsätzlich sei es in der Kompanie aber ganz einfach, Familie und Beruf miteinander zu vereinen. Sie weiß das aus ihrer eigenen Kindheit, als sie wie die anderen Söhne und Töchter der Tänzer mucksmäuschenstill bei den Proben der Eltern zusah oder sie auf den Tourneen rund um die Welt begleitete:

"Dann schläft man halt unterm Tisch und baut sich seine Bude da zwischen zwei Stühlen und mit drei Pullis und ein paar Jacken von den Freunden, und dann schläft man halt auf den Stühlen ein. Das geht auch wunderbar."
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