"Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen"

Kasper König im Gespräch mit Stefan Karkowsky · 28.05.2010
Der Direktor des Museums Ludwig Köln, Kasper König, kritisiert die Kulturberichterstattung über die deutsche Museumslandschaft. Die Redaktionen der großen Zeitungen interessierten sich vor allem für Glamour und Events bei Sonderausstellungen. Man wolle die Leser für Kultur begeistern und ziehe daher sehr stark ein Festivalprogramm durch.
Stefan Karkowsky: Wer sein Museum füllen will mit Besuchern, braucht ein Event. Erinnern Sie sich nur mal an die Massen, die 2004 zur MoMA-Ausstellung nach Berlin pilgerten – als hätte die Neue Nationalgalerie nicht genügend eigene Schätze zu bieten, die sie übrigens gerade sehr geschickt wieder ans Licht geholt hat. Was Museen tun können, um ihre reichen Bestände für Besucher interessant zu machen, darüber spreche ich mit Professor Kasper König, dem Direktor des Museum Ludwig in Köln. Guten Tag, Herr König!

Kasper König: Ja, schönen guten Tag!

Karkowsky: Stimmt denn aus Ihrer Sicht die Einschätzung: Ohne Marketing bleibt das Museum leer?

König: Ja, leider ist das so. Das heißt, Sie können die großartigsten Sammlungen haben – wenn Sie sich nicht immer wieder in das Gedächtnis der Öffentlichkeit bringen, bleibt es vergessen. Also, ich war mal in Toronto und habe eine Ausstellung gesehen chinesischer, archäologischer Entdeckungen in dem bedeutendsten Museum Ostasiatische Kunst in Nordamerika, und es gab eine ungeheure Schlange vor dieser nicht so dollen Ausstellung und die Sammlung selber war nur von einigen Spezialisten, die von weit her kamen, besucht. Also, das war ein sehr deutlicher Hinweis darauf: Sie müssen immer wieder die Sammlung selber reaktivieren, in das Bewusstsein bringen und auch einen geschickten, dramaturgischen Kontext haben. Weil: Ein Museum ist so etwas wie eine Zeitmaschine und jede Generation muss sozusagen ihre eigene Aktualität definieren, und das Problem, was wir heute haben – das hört sich ein bisschen altfränkisch an, aber es ist so: dass sehr viele junge Leute wach, interessiert, sozusagen alles kennen und alles sehen als moderne Kunst und nicht unbedingt differenziert. Und das ist unsere Aufgabe, geschickt zu vermitteln, intelligent, mit einer gewissen Dialektik, ohne bevormundend zu sein.

Karkowsky: Sie haben voriges Jahr als erster Mensch überhaupt den Lifetime Achievement Award des New Yorker Solomon R. Guggenheim Museums bekommen für Ihre bahnbrechenden Ausstellungen, wie es hieß, im Museum Ludwig. In wie vielen Fällen waren das denn Ausstellungen mit Bestandskunst aus der eigenen Sammlung?

König: Ja, bahnbrechend würde ich das nicht nennen, das ist natürlich eine Selbstdarstellung einer Institution. Also, das mit den Preisen ist immer eine zweischneidige Sache. Einerseits ist es gut für die Eitelkeit, und andererseits wird man auch sehr schnell benutzt für etwas, um sich irgendwie interessant zu machen. Im Museum ... Also, ich bin kein Kunsthistoriker und ich bin auch ein Quereinsteiger. Aber ich bin ein begeisterter Museumsbesucher, schon immer. Also meine Neugierde kennt keine Grenzen, und das bezieht sich auch nicht nur auf Kunstmuseen.

Karkowsky: Können Sie uns ein Beispiel nennen, was Sie sich ausgedacht haben, um die Bestandskunst des Museum Ludwig interessant zu machen?

König: Ja. Wir haben zum Beispiel vier oder fünf bedeutende Sammlungen, die Pop-Art ist so etwas wie eine Erkennungsmelodie für das Museum, was natürlich perfekt gelegen ist zwischen Hauptbahnhof und Dom, aber das ist inzwischen historisch. Wir haben eine Sammlung der russischen Avantgarde aus den frühen 8, 10, 12 vor und nach der Revolution bis hin in die Stalin-Zeit. Und diesen Schatz zu heben ist es nur möglich, indem man das programmatisch sozusagen gruppiert, zeigt, wissenschaftlich aufarbeitet, relativ bescheiden, aber mit neuen Erkenntnissen. Das wird in der Fachwelt sehr stark registriert und durch verschiedenste Veranstaltungsreihen – zum Beispiel musikalisch, literarisch, philosophisch – gibt es doch ein großes Interesse, auch von einer jungen Generation, und erstaunlicherweise auch von Leuten sozusagen mit Migrationshintergrund, die politisch interessiert sind.

Karkowsky: Heute eröffnet in Ihrem Museum, im Museum Ludwig, die Ausstellung "Bilder in Bewegung: Künstler & Video/Film", komplett aus den eigenen Beständen. Wird so eine Ausstellung auch voll, ohne einen großen Werbeetat zu haben, oder muss man dafür kräftig die Werbetrommel rühren?

König: Ja, das ist allerdings das Engagement von der Kollegin Engelbach, Dr. Barbara Engelbach, die sich mit Film/Video auch theoretisch sehr intensiv beschäftigt hat und jetzt seit etwa vier, fünf Jahren wirklich alles durchforstet und Werke eben auch präsentiert, die schon drei Jahre, bevor es das Museum gab, als Teil des Wallraff-Richartz-Museums erworben wurden oder geschenkt wurden. Und sie verknüpft es sehr stark auch mit der Situation, die in Köln herrschte: Stockhausen, elektronisches Studio, WDR, Paik, Fluxus, und verschiedenen aktionistischen Geschichten bis hin zu dem, was man also Videoinstallation nennt. Aber letztlich geht es nicht um Kategorien, sondern um künstlerische, sehr komplexe und zum Teil verblüffend simple und grandiose Präsentationen. Also, da wird sozusagen Kunstgeschichte neu geschrieben, mit einem fantastischen Buch und einem großen Glossar und intelligenten Texten, auch von Leuten, die sozusagen aus anderen Szenen kommen. Und es gibt viele Bücher über Video, aber damit verdient man sich Sporen, das haut nicht so auf den Zeiger, weil es eben aus der eigenen Sammlung kommt. Wenn Sie jetzt die Feuilletons beobachten der letzten Dreiviertel Jahre – das machen selbst die großen, intellektuellen Zeitungen –, dann muss man wirklich sagen: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Das heißt, ... Das liegt aber nicht an den Kritikern, sondern auch an den Redaktionen: Die wollen sozusagen Glamour, die wollen Events, die wollen auch ihre Leser sozusagen für die Kultur begeistern und ziehen sehr stark ein Festivalprogramm durch, aber irgendwann geht einem die Puste aus. Das ist aber eine Tendenz.

Karkowsky: Die wollen Warteschlangen sehen, die mindestens 200 Meter lang sind.

König: So ungefähr, ja.

Karkowsky: Sie hören im "Radiofeuilleton" den Direktor des Museum Ludwig in Köln, Professor Kasper König, und wenn Sie ihn ein wenig verzerrt hören, liegt das daran, dass wir ein paar Leitungsprobleme haben, Herr König, wir lassen uns davon das Interview aber nicht verderben. Lassen Sie uns mal sprechen über Ideen Ihrer Direktorenkollegen. Wulf Herzogenrath von der Kunsthalle Bremen etwa: Sein Museum wird vergrößert und ist bis 2011 geschlossen. Und was macht er? Verleiht seine größten Schätze unter dem witzigen Titel "Noble Gäste". Auch Sie haben die Bremer Kunst zu Gast in Köln. Was glauben Sie, hilft eine solche Aktion, die Kunsthalle Bremen interessanter zu machen?

König: Ja, das ist der Fall. Also, wir haben zurzeit fünf Werke von Max Beckmann, wir haben selber eine großartige Beckmann-Sammlung über die Sammlerin Lilly von Schnitzler, übrigens die Schwester von den Eduard von Schnitzler, dem Mann mit dem Schwarzen Kanal in der DDR, ziemlich kuriose, aristokratische Familie mit Kommunisten und Faschisten nebeneinander. Und dieses Bild, dieses eine Bild, der "Apachentanz", das geht um einen Nachtclub in Paris, den Beckmann besucht hat, und ich glaube, ihn hat natürlich nicht nur das Motiv interessiert, sondern vielleicht auch als Karl-May-Leser diese Idee des Apachen – obwohl das mit dem Bild direkt nichts zu tun hat. Das wollten wir unbedingt leihen für eine Leger-Beckmann-Ausstellung und haben es nicht bekommen. Und wie Herzogenrath mit der Idee daherkam, haben wir gesagt: Wir brauchen unbedingt die Beckmann-Bilder. Und da allerdings hat es auch eine gewisse Problematik, weil wir müssen die Bilder versichern – und die sind sehr, sehr, sehr teuer – und müssen dann plötzlich eine Versicherungssumme von 45.000 Euro sozusagen aus den Rippen schwitzen, die wir sonst nicht haben. Wenn wir Ausstellungen haben, können wir das über diesen Ausstellungsetat finanzieren. Und das ist das große, politische Problem, was wir momentan alle haben, dass wir im öffentlichen Auftrag arbeiten und die Politiker immer nur sozusagen nach den Besucherzahlen schielen. Wenn wir viele Besucher haben, sagen wir, na ja, wir zählen Beine. Wenn wir weniger haben, zählen wir Köpfe. Also, das sind natürlich interne Witze, aber die Situation ist schon ein wenig prekär. Wir haben in Köln eine großartige Bibliothek, Kunst- und Museumsbibliothek, die wollte die Politik abschaffen, ohne überhaupt zu wissen, dass da jedes Jahr Leute kommen aus der ganzen Welt, um dort ihre Dissertationen zu schreiben. Also, diese Forschungstätigkeit, die auch ein Museum zu leisten hat, die wird von der Politik eigentlich überhaupt nicht wahrgenommen und die wollen permanent sozusagen immer Weltmeisterschaftsspiele haben, nur wenn sie keine Jugend haben, kriegen sie auch keine guten Fußballer.

Karkowsky: Wir reden über Bestandskunst. Die Kunsthalle Karlsruhe ist da einen ganz interessanten Weg gegangen. Man sieht da zwar die gleiche Sammlung alter Kunst wie seit Jahren, aber der polnische Künstler Miroslav Balka hat in die Gänge des Museums Gitterkäfige gestellt wie im Inneren eines riesigen Gefängnisses oder wie Raubtiergitter. Da sehen die Besucher die Bilder nun durch diese Gitterstäbe hindurch. Eine gute Idee?

König: Ja. Das hört sich ein bisschen banal an, ist es aber nicht, wenn man den Künstler Balka kennt und die hochkarätige Sammlung – vielleicht eine der besten überhaupt in der Bundesrepublik – von Karlsruhe. Da waren Leute, die konsequent in den letzten 30, 40 Jahren sehr, sehr gut gesammelt haben, sehr gut gekauft haben, antizyklisch, also 18. Jahrhundert oder frühes 20. Jahrhundert: Wenn alle sozusagen auf die Expressionisten schielten, haben die eine andere Strategie verfolgt. Sie müssen wissen, die großen Museen in Deutschland sind alle höfischen Ursprungs: Dresden, Berlin, Pinakothek München. Dann gibt es natürlich Sammlungen so wie in Köln, die sind alle städtischen Ursprungs oder mehr oder weniger durch private Initiativen entstanden. Das sind vollkommen unvergleichbare, gewachsene Institutionen. Und diese Vielfältigkeit, die wir haben in der Bundesrepublik, ist wirklich einmalig und die darf jetzt nicht sozusagen kaputtgemacht werden, indem man nur affirmativ die Gewinner sozusagen promotet, die sich dann auch vielleicht so aufplustern, dass ihnen die Luft ausgeht.

Karkowsky: Professor Kasper König, Direktor des Museum Ludwig in Köln, wo heute eine Ausstellung zur Geschichte des bewegten Bildes eröffnet. Das Museum zeigt erstmals seit 30 Jahren seine umfangreiche Film- und Videosammlung. Herr König, Ihnen vielen Dank!

König: Ich bedanke mich.

Karkowsky: Und an unsere Hörer und Hörerinnen noch einmal Entschuldigung für die schlechte Tonqualität.