Der Tod als lebenslanges Thema

Von Tobias Wenzel |
Er ist aus der deutschen Literaturlandschaft nicht mehr wegzudenken: Uwe Timm. Er erlebte die Studentenbewegung 1968, schrieb darüber immer wieder, unter anderem über seine Freundschaft mit Benno Ohnesorg. Aber längst hat sich Uwe Timm von revolutionären Ideen losgesagt und ist zu einem international angesehenen Autor geworden. Zahlreiche Preise hat er erhalten, unter anderem für seinen Roman "Rot". Am Freitag kommt der Heinrich-Böll-Preis dazu.
Uwe Timm sitzt in einem schwarzen Bürostuhl im Arbeitszimmer seiner Münchner Dachgeschosswohnung und blickt auf die Figuren und Gegenstände, die seine große, schlichte Schreibtischplatte säumen. Ein Objekt vermisst der Autor und neue Heinrich-Böll-Preisträger seit einiger Zeit:

"Das ist so ein kleiner silberner Zylinder. Und darin ist ein Stachel von einem Stachelschwein. Und das kann man so hochschieben. Und dann ist dieser Stachel draußen und man kann sich die Zähne damit säubern."

Dieser wundersame Zahnstocher, ein Geschenk von Uwe Timms Frau, ist zwar nun real verloren, aber fiktiv erhalten geblieben. Denn Timm hat ihn 1984 der Hauptfigur seines Romans "Der Mann auf dem Hochrad" angedichtet.

"Diesen Mann habe ich erlebt, da war er 80 und ich war mit drei mit meiner Mutter nach Coburg evakuiert worden. Und der war Präparator und stopfte Tiere aus, Vögel, Hunde. Eine merkwürdige Tätigkeit, die mich sehr fasziniert hat, weil diese toten Tiere wurden zu Halblebewesen. Und dann hat sich dieser Onkel in meinem Kopf wirklich so breitgemacht, der wollte, dass ich über ihn schreibe."

Die Figur wählte den Autor, nicht umgekehrt. So kann man es in Uwe Timms gerade als Buch erschienenen Vorträgen nachlesen, die er im Sommer 2009 im Rahmen der Frankfurter Poetikdozentur gehalten hat. "Von Anfang und Ende. Über die Lesbarkeit der Welt", hat Uwe Timm seine Vorlesungen genannt. Immer wieder kommt auch das Ende schlechthin, der Tod, zur Sprache, der Timms Werk durchzieht:

"Mich beschäftigt dieser Tod schon als Kind. Also ich nehme an, das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass mein wesentlich älterer Bruder im Krieg gefallen ist und dass dieser Tod des Bruders immer eine große Rolle im Erzählen zu Hause war."

Als nach seinem Vater auch seine Mutter und seine Schwester gestorben waren, fühlte Uwe Timm die Zeit gekommen, über seinen Bruder zu schreiben, der sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. "Am Beispiel meines Bruders", zugleich ein Porträt der gesamten Familie Timms, erschien 2003 und wurde, völlig unerwartet für den Autor, zum Bestseller und in etliche Sprachen übersetzt. Erste Aufmerksamkeit erlangte Timm 1974 mit "Heißer Sommer", seinem Debütroman über die Studentenbewegung:

"Was gab es nicht alles: revolutionäre Apotheker und revolutionäre Maschinenbauer. Das hört sich heute ganz komisch an, war aber ganz toll, dass die Leute überlegten, nach welchen Bedürfnissen arbeitet man, verkauft man Psychopharmaka. Aber das hatte plötzlich die Unmittelbarkeit verloren. Und das ging bis in die Sprache hinein. Also die theoretische Sprache war völlig leer geworden. Das waren Versatzstücke. Und die hatten nicht mehr in der Sprache das Moment der Veränderung. Und dafür ist eben 'Kerbels Flucht', denke ich, ein ganz zentrales Buch."

Die Abkehr vom Marxismus findet sich nicht nur in dem Roman wieder, sondern auch in seinen Frankfurter Poetik-Vorlesungen "Von Anfang und Ende". Darin beschreibt Timm ausführlich, welche Ereignisse den Anstoß gaben, den Roman "Rot" zu schreiben und noch einmal auf die 68er-Generation zurückzublicken.

"Dann hat mich eben interessiert, dass ich mal in einer Weinhandlung, in der resignierte Linke Wein verkauften, jemanden traf, der Beerdigungsredner war und der mir von seiner Tätigkeit erzählte. Und das fand ich einfach einen hochinteressanten Beruf. Diese Vorstellung, dass man über Tote redet, die jetzt nicht glauben, dass es ein Nachleben gibt, und jetzt sagen muss, wie dieses Leben gelebt ist, das ist eine ähnliche Situation, vor der auch der Schriftsteller steht, wenn er Romane schreibt, die sich mit Menschen beschäftigen, und nicht irgendwie das nur zusammenmontiert."

Da ist er wieder, der Tod, der Uwe Timm so sehr beschäftigt. Tod und Krieg. In der mittlerweile verfilmten Novelle "Die Entdeckung der Currywurst" schildert Uwe Timm die Liebesgeschichte zwischen einer Frau und einem fahnenflüchtigen Bootsmann im Zweiten Weltkrieg. Sie hält ihn in ihrer Wohnung versteckt und verschweigt ihm das Kriegsende. Das Ganze spielt in Hamburg, wo Uwe Timm 1940 geboren wurde und als Dreijähriger erlebte, wie das Elternhaus ausgebombt wurde.

"Ich hab so bestimmte Bilder ganz genau vor Augen, also beispielsweise so kleine Flämmchen in der Luft, die brannten und von denen man mir später sagte, das seien brennende Gardinenfetzen gewesen, die so aus den Fenstern gerissen worden waren."

Krieg und Gewalt, Themen, die auch Heinrich Böll beschäftigten. Mit 21 Jahren las Timm zum ersten Mal Bölls Roman "Billard um halbzehn" von 1959 und war fasziniert:

"Und da ist auch die Qualität von Böll so deutlich am Beispiel dieses Buchs: Das Problem der Gewalt, das da ganz zentral ist, die deutsche Tradition der Gewalt, also durch die Kriege, wie das fortwirkt und wie sehr damit auch das Bürgertum, auch das Katholische in Köln, kontaminiert ist und wie bereitwillig auch da die Haltung war, mit den Nazis zu paktieren - diese mentalgeschichtliche Archäologie von Böll finde ich ganz bewundernswert."

Hinweis:
Der Schriftsteller Uwe Timm nimmt am Freitag, 11.12.2009, den Heinrich-Böll-Preis in Köln entgegen. Uwe Timms Frankfurter Vorlesungen sind gerade als Buch unter dem Titel "Von Anfang und Ende. Über die Lesbarkeit der Welt" bei Kiepenheuer & Witsch erschienen. Es hat 142 Seiten und kostet 18,95 Euro.