Der Tod im Namen der Religion
Friedfertig wollen die Religionen sein. Doch aus religiösen Gründen kommt es nur allzu häufig zu Fehden, Kriegen, Morden. In Berlin fand eine wissenschaftliche Arbeitstagung zum Thema Märtyrerfiguren statt. Märtyrer werden Opfer von Gewalt, aber Märtyrerfiguren legitimieren auch neue Gewalt. Drei Tage lang diskutierten Kulturwissenschaftler vieler Disziplinen miteinander im Institut für Literatur- und Kulturforschung in Berlin-Mitte.
Seit dem 11. September wird anders über Märtyrer gesprochen und geforscht als zuvor. Die islamistischen Täter inszenierten sich selbst als Märtyrer. Das hat Konsequenzen für das wissenschaftliche Gespräch. Früher konzentrierte sich die Forschung auf frühchristliche Märtyrer und ihre Vorläufer. Inzwischen mischen Islamwissenschaftler, Arabisten und Turkologen in der Märtyrerforschung mit. Jetzt wird nach Märtyrerbegriffen gefragt, die für alle Kulturen gelten.
Das Wort "Märtyrer" kommt aus der frühchristlichen Kirchengeschichte. Michael Bongardt leitet das Institut für Vergleichende Ethik an der Freien Universität Berlin und ist katholischer Theologe.
"Ein Märtyrer ist im katholischen Sinne ganz allgemein jemand, der von seinem Glauben Zeugnis gibt. Im engeren Sinne ist er jemand, und das ist der übliche Sinn, der, weil er von seinem Glauben Zeugnis ablegt, umgebracht wird, sein Leben verliert."
Jesu Kreuzestod ist das Vorbild für die christlichen Martyrien.
Das Wort Märtyrer kommt vom Altgriechischen "martys", Zeuge.
Lässt sich der christliche Märtyrerbegriff auf andere Kulturen übertragen? Und wenn ja, wie? Diese Fragen wurden bei der Konferenz immer wieder diskutiert: Ist ein Held nur dann ein Märtyrer, wenn er stirbt? Muss ein Märtyrer Zeugnis ablegen?
War schon Sokrates ein Märtyrer, als er den Schierlingsbecher trank? War die Physikerin Marie Curie eine Märtyrerin, als sie bei der Erforschung von atomarer Strahlung ihr Leben riskierte und schließlich an den Folgen ihrer Versuche starb? Feststellen ließ sich: In den meisten Kulturen gibt es Helden, die den Märtyrern mindestens ähneln. Die Arabistin Angelika Neuwirth trug allerdings vor, dass es im Koran keine Märtyrerfiguren gebe. Christliche Märtyrer waren durchaus bekannt, als der Koran entstand. Aber Opfer, Nachfolge und Zeugnis spielten im Koran eine geringere Rolle als im Christentum.
"Da kann man eben nachschauen bei Opfer oder dem anderen Element der Zeugnisablegung oder auch der Nachfolge einer Beispielfigur, die schon Opfer war, bei allen dreien kann man feststellen, dass der Koran sehr wohl interessiert ist an diesen Diskursen, aber sie nicht zu einem Märtyrerbegriff zusammenschließt."
Allerdings heißt es im Koran, dass diejenigen nicht tot sind, die für Gott sterben. Angelika Neuwirth argumentiert, dass diese Stelle erst zu späterer Zeit als Aussage über Märtyrer und deren Unsterblichkeit gedeutet worden sei. Der Text selbst lege das nicht nahe. Einig waren sich die anwesenden Islam-Experten, dass es in der Religion Mohammeds Märtyrervorstellungen gibt, die später entstanden sind als der Koran. Etwa die Vorstellung vom Märtyrer, der in die Schlacht zieht, sagt der Turkologe Michael Heß.
"Das Interessante ist, dass sich sehr schnell im Islam Märtyrerfigurationen entwickeln. Der so gennannte Schlachtfeld-Märtyrer, Schahid- al araka auf Arabisch, das ist der Kämpfer der im Kampf gegen die Ungläubigen zieht und dort getötet wird und wenn er das im Namen des Islam getan hat, in den Himmel kommt."
Der Schlachtfeld-Märtyrer nicht nur im Islam zu finden, weiß Silvia Horsch vom Zentrum für Literatur und Kulturforschung.
Auch in christlichen Kontexten habe es Märtyrer gegeben, etwa bei der Zurückeroberung Spaniens durch die christlichen Könige und ihre Truppen: bei der so genannten Reconquista.
"Das Konzept, dass man in einem religiös verdienstvollen Kriege stirbt oder dass der der Tod in einem Kampf oder Krieg etwas religiös verdienstvolles ist, das gibt es in vielen Religionen und Kulturen. Wir kennen Beispiele aus dem christlichen Bereich aus den Kreuzzügen und der Reconquista, aber auch schon früher, heilige englische Könige, wie Oswald oder Edwin, die in Schlachten gegen heidnische Herrscher gefallen sind, wurden auch als Märtyrer verehrt."
Auch die Attentäter vom 11. September setzen sich als Schlachtfeld-Märtyrer in Szene, sagt Silvia Horsch.
"Die Attentäter des 11. Septembers versuchen sich sehr stark zu inszenieren in der Tradition frühislamischer Kämpfe und versuchen sich auf das Konzept zu beziehen, dass der im Kampf Gefallene als Märtyrer gilt, wobei natürlich in diesem Konzept natürlich nicht drin gewesen ist, dass man sich selber umbringt."
Ganz im Gegenteil: In der islamischen Tradition ist nur der ein Märtyrer, der durch die Hand der Feinde fällt. Silvia Horsch zitiert einen Text, der als geistliche Anleitung für die Attentäter des 11. September gilt, in dem beschrieben wird, wie sich die Attentäter wann verhalten sollten. Darin wird der Anschlag zur Schlacht umgedeutet. Aus dem Start eines Flugzeugs wird das Zusammentreffen zweier Heere. Die Attentäter bemühten sich, ihren Anschlag als heilige Handlung hinzustellen und greifen häufig zu Bildern, die nicht zur islamischen Tradition passen, findet Silvia Horsch.
"In dem Text, der als geistliche Anleitung für die Attentäter vom 11. September gilt, kommt die Vorstellung vor, dass man die Feinde oder Opfer, das heißt die Passagiere im Flugzeug, umbringt in der Form wie Opfertiere geschlachtet werden. Also, dass dadurch das töten zu einem rituellen Akt wird, und das ist eine Vorstellung, die so aus den klassischen islamischen Schriften nicht zu belegen ist. Also, das Opfern ist eine Sache, die nur das Opfertier betrifft am Opferfest, aber die Vorstellung, dass in irgendeiner Weise Menschen geopfert werden könnten, ist was völlig Neues."
Immer wieder war bei der Konferenz von Paradoxa die Rede: Märtyrer werden unsterblich, gerade weil sie sterben. Märtyrer sind einer Staatsmacht ohnmächtig ausliefert, aber aus dieser Position der Ohnmacht werden sie für eine spätere Gemeinde mächtig. Märtyrer bringen die Begriffe durcheinander, denn Märtyrer sind unbesiegbare Besiegte.
Das Wort "Märtyrer" kommt aus der frühchristlichen Kirchengeschichte. Michael Bongardt leitet das Institut für Vergleichende Ethik an der Freien Universität Berlin und ist katholischer Theologe.
"Ein Märtyrer ist im katholischen Sinne ganz allgemein jemand, der von seinem Glauben Zeugnis gibt. Im engeren Sinne ist er jemand, und das ist der übliche Sinn, der, weil er von seinem Glauben Zeugnis ablegt, umgebracht wird, sein Leben verliert."
Jesu Kreuzestod ist das Vorbild für die christlichen Martyrien.
Das Wort Märtyrer kommt vom Altgriechischen "martys", Zeuge.
Lässt sich der christliche Märtyrerbegriff auf andere Kulturen übertragen? Und wenn ja, wie? Diese Fragen wurden bei der Konferenz immer wieder diskutiert: Ist ein Held nur dann ein Märtyrer, wenn er stirbt? Muss ein Märtyrer Zeugnis ablegen?
War schon Sokrates ein Märtyrer, als er den Schierlingsbecher trank? War die Physikerin Marie Curie eine Märtyrerin, als sie bei der Erforschung von atomarer Strahlung ihr Leben riskierte und schließlich an den Folgen ihrer Versuche starb? Feststellen ließ sich: In den meisten Kulturen gibt es Helden, die den Märtyrern mindestens ähneln. Die Arabistin Angelika Neuwirth trug allerdings vor, dass es im Koran keine Märtyrerfiguren gebe. Christliche Märtyrer waren durchaus bekannt, als der Koran entstand. Aber Opfer, Nachfolge und Zeugnis spielten im Koran eine geringere Rolle als im Christentum.
"Da kann man eben nachschauen bei Opfer oder dem anderen Element der Zeugnisablegung oder auch der Nachfolge einer Beispielfigur, die schon Opfer war, bei allen dreien kann man feststellen, dass der Koran sehr wohl interessiert ist an diesen Diskursen, aber sie nicht zu einem Märtyrerbegriff zusammenschließt."
Allerdings heißt es im Koran, dass diejenigen nicht tot sind, die für Gott sterben. Angelika Neuwirth argumentiert, dass diese Stelle erst zu späterer Zeit als Aussage über Märtyrer und deren Unsterblichkeit gedeutet worden sei. Der Text selbst lege das nicht nahe. Einig waren sich die anwesenden Islam-Experten, dass es in der Religion Mohammeds Märtyrervorstellungen gibt, die später entstanden sind als der Koran. Etwa die Vorstellung vom Märtyrer, der in die Schlacht zieht, sagt der Turkologe Michael Heß.
"Das Interessante ist, dass sich sehr schnell im Islam Märtyrerfigurationen entwickeln. Der so gennannte Schlachtfeld-Märtyrer, Schahid- al araka auf Arabisch, das ist der Kämpfer der im Kampf gegen die Ungläubigen zieht und dort getötet wird und wenn er das im Namen des Islam getan hat, in den Himmel kommt."
Der Schlachtfeld-Märtyrer nicht nur im Islam zu finden, weiß Silvia Horsch vom Zentrum für Literatur und Kulturforschung.
Auch in christlichen Kontexten habe es Märtyrer gegeben, etwa bei der Zurückeroberung Spaniens durch die christlichen Könige und ihre Truppen: bei der so genannten Reconquista.
"Das Konzept, dass man in einem religiös verdienstvollen Kriege stirbt oder dass der der Tod in einem Kampf oder Krieg etwas religiös verdienstvolles ist, das gibt es in vielen Religionen und Kulturen. Wir kennen Beispiele aus dem christlichen Bereich aus den Kreuzzügen und der Reconquista, aber auch schon früher, heilige englische Könige, wie Oswald oder Edwin, die in Schlachten gegen heidnische Herrscher gefallen sind, wurden auch als Märtyrer verehrt."
Auch die Attentäter vom 11. September setzen sich als Schlachtfeld-Märtyrer in Szene, sagt Silvia Horsch.
"Die Attentäter des 11. Septembers versuchen sich sehr stark zu inszenieren in der Tradition frühislamischer Kämpfe und versuchen sich auf das Konzept zu beziehen, dass der im Kampf Gefallene als Märtyrer gilt, wobei natürlich in diesem Konzept natürlich nicht drin gewesen ist, dass man sich selber umbringt."
Ganz im Gegenteil: In der islamischen Tradition ist nur der ein Märtyrer, der durch die Hand der Feinde fällt. Silvia Horsch zitiert einen Text, der als geistliche Anleitung für die Attentäter des 11. September gilt, in dem beschrieben wird, wie sich die Attentäter wann verhalten sollten. Darin wird der Anschlag zur Schlacht umgedeutet. Aus dem Start eines Flugzeugs wird das Zusammentreffen zweier Heere. Die Attentäter bemühten sich, ihren Anschlag als heilige Handlung hinzustellen und greifen häufig zu Bildern, die nicht zur islamischen Tradition passen, findet Silvia Horsch.
"In dem Text, der als geistliche Anleitung für die Attentäter vom 11. September gilt, kommt die Vorstellung vor, dass man die Feinde oder Opfer, das heißt die Passagiere im Flugzeug, umbringt in der Form wie Opfertiere geschlachtet werden. Also, dass dadurch das töten zu einem rituellen Akt wird, und das ist eine Vorstellung, die so aus den klassischen islamischen Schriften nicht zu belegen ist. Also, das Opfern ist eine Sache, die nur das Opfertier betrifft am Opferfest, aber die Vorstellung, dass in irgendeiner Weise Menschen geopfert werden könnten, ist was völlig Neues."
Immer wieder war bei der Konferenz von Paradoxa die Rede: Märtyrer werden unsterblich, gerade weil sie sterben. Märtyrer sind einer Staatsmacht ohnmächtig ausliefert, aber aus dieser Position der Ohnmacht werden sie für eine spätere Gemeinde mächtig. Märtyrer bringen die Begriffe durcheinander, denn Märtyrer sind unbesiegbare Besiegte.