Der Traum, der zum Alptraum wurde
Peter Hartz hatte einen Traum. Dem ehemaligen Personalvorstand des VW-Konzerns schwebte vor, König von Deutschland zu sein. Ein König mit paradiesischen Vorschlägen in Hirn und Herz, wie innerhalb eines Jahres die Arbeitslosigkeit beseitigt werden kann. Dabei dürfe nur und ausschließlich das umgesetzt werden, was er vorgibt. Diesen Traum vertraute Peter Hartz jüngst der Wochenzeitung "Die Zeit" an.
Wolfgang Clement hat einen Alptraum. Den noch amtierenden Bundeswirtschaftsminister bedrückt, dass innerhalb eines Jahres zwar nicht die Arbeitslosigkeit beseitigt wurde. Dafür aber kommt ihn das, was von Peter Hartzens Träumen bislang Wirklichkeit geworden ist, teuer zu stehen.
Hartz IV sollte einst die große Wende in der Arbeitsmarktpolitik einläuten. Fördern und Fordern war die Devise. Gefördert werden jedoch vor allem Mitnahmeeffekte und Missbrauch. Und gefordert ist nun der Steuerzahler, der eine wachsende Zahl von erwerbsfähigen Arbeitslosen alimentieren muss.
Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld 2 haben sich seit seiner Einführung fast verdoppelt. Die Zahl der Anspruchsberechtigten wuchs um 45 Prozent. auf 5 Millionen. Nur die Zahl der vermittelten Arbeitsplätze blieb hinter den Erwartungen zurück.
Hartz IV ist zu einer Reform mutiert, welche das Gegenteil dessen bewirkt, was eigentlich intendiert war. Vielleicht dachte Peter Hartz tatsächlich eine Zeit lang, der deutsche Arbeitsmarkt ließe sich wie ein Königreich regieren. Doch stand der König bald nackt da, weder Angebot noch Nachfrage bekam er in den Griff. Denn beide Seiten gehorchen ihren jeweils eigenen Nutzenkalkülen und scheren sich um das Gemeinwohl wenig.
Die Personalpolitik der Unternehmen orientiert sich an Renditeerwartungen und Kostenstrukturen. Und die lassen derzeit wenig Spielraum für Neueinstellungen. Auf der anderen Seite lernen viele Betroffene schnell, die Schlupflöcher der neuen Regelungen zu ihren Gunsten zu nutzen.
Hartz IV ist nicht zu der Job-Maschine geworden, die sich die Bundesregierung erhoffte. Aber Hartz IV ist auch nicht das Kälteaggregat, das viele befürchteten. Denn wider aller linken Rhetorik ist aus Deutschland keine soziale Kühlkammer geworden und aus dem Osten nicht deren Eisfach.
Als Rutsche in die Armut wurden die Maßnahmen bei ihrer Einführung kritisiert. Ganze Bevölkerungsschichten, so hieß es im Osten, werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Gestandene Professoren erkannten bereits eine Entwicklung zur Unterversorgung und linke Gewerkschafter gründeten eine Partei mit dem vorrangigen Ziel "Hartz muss weg". Die Linkspartei erstarkte und die SPD sah sich vom Furor der Straße als "Sklavenhalterpartei Deutschlands" diffamiert. Hartz IV sollte sie vor eine innere Zerreißprobe stellen, die sie letztlich die Regierungsfähigkeit kostete.
Aber wieso konnte das Gerede von der Verarmung so verfangen, obwohl doch schon bei der Einführung feststand, dass gerade die Ärmsten von der Reform eher profitieren und obwohl sich nun herausstellt, dass in der Summe ungleich mehr Geld fließt als zuvor. Wieso konnte der rot-grünen Regierung als sozialer Kahlschlag angelastet werden, was sich nun als Aufforstung entpuppt?
Der Grund für diese Paradoxie dürfte in einer eigentümlichen Spaltung der öffentlichen Wahrnehmung liegen. Fast jeder Bürger ist mittlerweile von der Notwendigkeit tief greifender Reformen überzeugt, aber fast kein Bürger möchte persönlich von ihnen betroffen sein. Ein Ruck möge durch die Gesellschaft gehen, doch dem Einzelnen seine sozialen Anrechte belassen.
Noch immer ist der Staat erster Adressat dieser Ansprüche, auch wenn die Fehlfunktionen des Sozialsystems hinlänglich bekannt sind. Aus dem Traum von Peter Hartz spricht der Geist seines Gesetzes. Es ist der paternalistische Geist des fürsorglichen Staates. Nur, dass er in Wirklichkeit keine Arbeitsplätze herbeizaubern kann.
Hartz IV hat nicht zu mehr Vermittlungen auf dem Arbeitsmarkt geführt. Doch zugleich wurde mit diesem Versprechen das Arbeitslosengeld reduziert und damit eine grundlegende Gerechtigkeitsvorstellung verletzt. An die Stelle einer versicherungsmathematischen Relation zwischen Höhe der eingezahlten Beiträge und Umfang der Leistung ist eine willkürliche Setzung der Regierung getreten. Damit hat sie allerdings auch all die nachhaltig verunsichert, die noch Arbeit haben.
Aus dem Hartz-Gesetz spricht ein Staat, der sich auf der einen Seite eine hohe Handlungskompetenz zuspricht, der aber auf der anderen Seite seine handlungsleitenden Grundsätze nicht vermitteln kann. Er ist fürsorglich und willkürlich zugleich. Dieser Staat darf sich kaum wundern, wenn seine Regeln allenfalls den Buchstaben aber nicht dem Geist nach befolgt werden und die Betroffenen die Spielräume, die er mit dem Gesetz geschaffen hat, zum persönlichen Vorteil ausnutzen.
Dagegen helfen keine moralischen Vorhalte, sondern deutlichere Vorgaben und eine bessere Begründung der eigenen Politik. Die ist gerade dann notwendig, wenn diese Politik mit Nachteilen für die Betroffenen verbunden ist.
Dieter Rulff, freier Journalist, Jahrgang 1953, studierte Politikwissenschaft in Berlin und arbeitete zunächst in der Heroinberatung in Berlin. Danach wurde er freier Journalist und arbeitete im Hörfunk. Weitere Stationen waren die taz und die Ressortleitung Innenpolitik bei der Hamburger "Woche". Seit dem März 2002 ist Rulff freier Journalist in Berlin. Er schreibt für überregionale Zeitungen und die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte.
Hartz IV sollte einst die große Wende in der Arbeitsmarktpolitik einläuten. Fördern und Fordern war die Devise. Gefördert werden jedoch vor allem Mitnahmeeffekte und Missbrauch. Und gefordert ist nun der Steuerzahler, der eine wachsende Zahl von erwerbsfähigen Arbeitslosen alimentieren muss.
Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld 2 haben sich seit seiner Einführung fast verdoppelt. Die Zahl der Anspruchsberechtigten wuchs um 45 Prozent. auf 5 Millionen. Nur die Zahl der vermittelten Arbeitsplätze blieb hinter den Erwartungen zurück.
Hartz IV ist zu einer Reform mutiert, welche das Gegenteil dessen bewirkt, was eigentlich intendiert war. Vielleicht dachte Peter Hartz tatsächlich eine Zeit lang, der deutsche Arbeitsmarkt ließe sich wie ein Königreich regieren. Doch stand der König bald nackt da, weder Angebot noch Nachfrage bekam er in den Griff. Denn beide Seiten gehorchen ihren jeweils eigenen Nutzenkalkülen und scheren sich um das Gemeinwohl wenig.
Die Personalpolitik der Unternehmen orientiert sich an Renditeerwartungen und Kostenstrukturen. Und die lassen derzeit wenig Spielraum für Neueinstellungen. Auf der anderen Seite lernen viele Betroffene schnell, die Schlupflöcher der neuen Regelungen zu ihren Gunsten zu nutzen.
Hartz IV ist nicht zu der Job-Maschine geworden, die sich die Bundesregierung erhoffte. Aber Hartz IV ist auch nicht das Kälteaggregat, das viele befürchteten. Denn wider aller linken Rhetorik ist aus Deutschland keine soziale Kühlkammer geworden und aus dem Osten nicht deren Eisfach.
Als Rutsche in die Armut wurden die Maßnahmen bei ihrer Einführung kritisiert. Ganze Bevölkerungsschichten, so hieß es im Osten, werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Gestandene Professoren erkannten bereits eine Entwicklung zur Unterversorgung und linke Gewerkschafter gründeten eine Partei mit dem vorrangigen Ziel "Hartz muss weg". Die Linkspartei erstarkte und die SPD sah sich vom Furor der Straße als "Sklavenhalterpartei Deutschlands" diffamiert. Hartz IV sollte sie vor eine innere Zerreißprobe stellen, die sie letztlich die Regierungsfähigkeit kostete.
Aber wieso konnte das Gerede von der Verarmung so verfangen, obwohl doch schon bei der Einführung feststand, dass gerade die Ärmsten von der Reform eher profitieren und obwohl sich nun herausstellt, dass in der Summe ungleich mehr Geld fließt als zuvor. Wieso konnte der rot-grünen Regierung als sozialer Kahlschlag angelastet werden, was sich nun als Aufforstung entpuppt?
Der Grund für diese Paradoxie dürfte in einer eigentümlichen Spaltung der öffentlichen Wahrnehmung liegen. Fast jeder Bürger ist mittlerweile von der Notwendigkeit tief greifender Reformen überzeugt, aber fast kein Bürger möchte persönlich von ihnen betroffen sein. Ein Ruck möge durch die Gesellschaft gehen, doch dem Einzelnen seine sozialen Anrechte belassen.
Noch immer ist der Staat erster Adressat dieser Ansprüche, auch wenn die Fehlfunktionen des Sozialsystems hinlänglich bekannt sind. Aus dem Traum von Peter Hartz spricht der Geist seines Gesetzes. Es ist der paternalistische Geist des fürsorglichen Staates. Nur, dass er in Wirklichkeit keine Arbeitsplätze herbeizaubern kann.
Hartz IV hat nicht zu mehr Vermittlungen auf dem Arbeitsmarkt geführt. Doch zugleich wurde mit diesem Versprechen das Arbeitslosengeld reduziert und damit eine grundlegende Gerechtigkeitsvorstellung verletzt. An die Stelle einer versicherungsmathematischen Relation zwischen Höhe der eingezahlten Beiträge und Umfang der Leistung ist eine willkürliche Setzung der Regierung getreten. Damit hat sie allerdings auch all die nachhaltig verunsichert, die noch Arbeit haben.
Aus dem Hartz-Gesetz spricht ein Staat, der sich auf der einen Seite eine hohe Handlungskompetenz zuspricht, der aber auf der anderen Seite seine handlungsleitenden Grundsätze nicht vermitteln kann. Er ist fürsorglich und willkürlich zugleich. Dieser Staat darf sich kaum wundern, wenn seine Regeln allenfalls den Buchstaben aber nicht dem Geist nach befolgt werden und die Betroffenen die Spielräume, die er mit dem Gesetz geschaffen hat, zum persönlichen Vorteil ausnutzen.
Dagegen helfen keine moralischen Vorhalte, sondern deutlichere Vorgaben und eine bessere Begründung der eigenen Politik. Die ist gerade dann notwendig, wenn diese Politik mit Nachteilen für die Betroffenen verbunden ist.
Dieter Rulff, freier Journalist, Jahrgang 1953, studierte Politikwissenschaft in Berlin und arbeitete zunächst in der Heroinberatung in Berlin. Danach wurde er freier Journalist und arbeitete im Hörfunk. Weitere Stationen waren die taz und die Ressortleitung Innenpolitik bei der Hamburger "Woche". Seit dem März 2002 ist Rulff freier Journalist in Berlin. Er schreibt für überregionale Zeitungen und die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte.