Der Traum vom anderen Leben

03.04.2008
Die Shortstorys der amerikanischen Schriftstellerin Lydia Davis bewegen sich zwischen Poesie und Philosophie, zwischen Realität und Traum. In einer ihrer Geschichten, die nun zum ersten Mal auf Deutsch erscheinen, träumt zum Beispiel eine Englischprofessorin davon, einen Cowboy zu heiraten.
Lydia Davis ist eine Meisterin der Shortstory, eine renommierte Übersetzerin; Geschichten der amerikanischen Autorin sind jetzt zum ersten Mal auf Deutsch erschienen.

Die junge Englischprofessorin träumt davon, einen Cowboy zu heiraten, und dieser Traum verlässt sie auch nicht, als sie älter und längst verheiratet ist. Sie weiß, dass sie mit einem Naturburschen gar nichts anfangen könnte - und er schon gar nichts mit ihr, zu sehr ist sie die brave Tochter ihres Vaters, der auch schon Englischprofessor war. Sie bewegt sich niemals ungezwungen, spricht stets korrekt und trägt eine Aktentasche wie alle anderen Universitätsdozenten.

Die Geschichte "Der Professor" variiert klug und ironisch den Traum vom anderen Leben, die Sehnsucht der Intellektuellen nach einer ganz anderen weiblichen Existenz und nach einem Mann, der sie davon abbringt, "so viel zu denken".

In den Texten der Lydia Davis geht es vor allem um das Verhältnis zwischen imaginärer und wirklicher Welt. Die (1947 in Massachusetts geborene) Autorin betont, das Schreiben sei für sie eine Art philosophischer Untersuchung der Welt. So bewegen sich ihre Shortstorys, die manchmal auch nur Miniaturtexte von wenigen Zeilen sind, virtuos zwischen Poesie und Philosophie, zwischen Realität und Traum.

Sie verbindet das öde Leben einer Mutter mit Kleinkind mühelos mit der exzentrischen Künstlerbiografie von Glenn Gould, trifft genau den Ton eines erbitterten Ehestreits, in dem die Protagonisten angeblich nie meinen, was sie sagen, oder führt die Lebensweisheit der Ratgeberliteratur, man solle sich selber nicht so wichtig nehmen, ad absurdum.

Immer geht es dieser Stilistin darum, die Vielfalt von Verhaltens- und Reflektions-Möglichkeiten zu beschreiben, durch die Sprache Realitäten zu erzeugen, die gleichwohl nicht unbedingt im Gedächtnis bleiben. In der Geschichte "Fast keine Erinnerung" vergisst eine Frau jedenfalls immer wieder, was sie liest, - und das mindert ihr Lektürevergnügen überhaupt nicht.

Rezensiert von Manuela Reichart

Lydia Davis: "Fast keine Erinnerung", Erzählungen;
aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer;
Droschl Verlag, Graz-Wien, 2008; 187 S.