Die Unbeschwertheit eines Windkanals
Spaß und Angst – beides kann das Fliegen auslösen. Wer nicht gleich mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug springen will, für den könnte Indoor Skydiving etwas sein. Henrike Möller hat in Berlin einen Windkanal getestet.
Mit zittrigen Händen schlüpfe ich in den hellgrün-grau-gestreiften Windanzug. Normale Klamotten würde mir der Luftstrom vom Leib reißen, erklärt Coach und Skydiving-Profi Fabian Raidel. Na das sind ja Aussichten! Niemals würde ich mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug springen – Was mache ich eigentlich hier?
Fabian: "So, wir lernen jetzt die Grundposition. Sie ist wie so ein Bogen. Männer tun sich damit leichter, weil das wie beim Pinkeln ist. Die Handflächen nach vorne, Kopf zurück, Füße gestreckt. Und das ist eigentlich alles, was du dabei wissen musst. - Wir gehen fliegen, oder?"
30 Sekunden später stehe ich vor dem vier Meter breiten und 17 Meter hohen Windkanal. Als ich mich an das gläserne Rohr lehne, um nach oben zu schauen, kann ich sein Ende nicht sehen.
"Es windet ja jetzt schon krass."
Fabian: "Der Windkanal ist noch gar nicht richtig an. Das ist nur die Grundeinstellung."
"Was? Mich weht’s ja jetzt schon fast weg. Wie viel km/h sind das?"
Fabian: "Das sind jetzt 52 km/h."
"Und wir werden noch erreichen…?"
Fabian: "Wir fliegen mindestens 200."
"Ey, mir reißts jetzt schon die Gesichtsmuskeln weg."
Fabian: "Ich versteh dich leider wegen des Windes sehr schlecht."
"Ich versteh dich auch gar nicht mehr."
Kommunizieren über Zeichensprache
Zeichensprache also. Zeigefinger nach oben heißt: Rücken mehr durchbiegen. Zwei Finger bedeuten: Beine strecken.
Fabian: "Wir gehen jetzt zum Eingang vom Windkanal, du bringst deine Handflächen in den Luftstrom. Bringst deinen Kopf zurück, deine Hüfte vor und lässt dich mehr oder weniger einfach reinfallen."
"Ich hab jetzt schon voll die wackeligen Beine. Es geht los."
"Man kann da drinnen überhaupt nicht atmen. Ich werd hier gerade leicht panisch. Ich weiß nicht, ob ich da nochmal reingehe. Ich dachte, ich ersticke da drinnen."
Fabian: "Du bekommst nur zu viel Luft, nicht zu wenig. Du hast ein bisschen Panik bekommen. Ganz normal weiteratmen. Das probieren wir einfach noch einmal."
Ohne mich. Das mache ich kein zweites Mal. Schon der Gedanke daran lässt mich hyperventilieren. Ich möchte wegrennen. Wer kommt eigentlich auf die absurde Idee, fliegen zu wollen? Ich bin gerne auf dem Boden.
Fabian: "Du packst jetzt allen Mut zusammen und probierst das nochmal."
"Okay, es geht zum zweiten Mal los"
Fabian: "Super hast du es gemacht. War das jetzt geil oder was?"
Einfach in die Luftmassen werfen
Ich fühle mich wie Achterbahnfahren, Gruselkabinett und zum ersten Mal Skifahren gleichzeitig. Mein Körper ist so berauscht, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann.
Aber was war diesmal anders?
Ich habe mich einfach in die Luftmassen geworfen, mich treiben lassen. Ich habe mich getraut loszulassen, die Kontrolle abzugeben.
Natürlich ist der Windkanal nicht da, um Ängste abzubauen. Am Umsatz gemessen kommt etwa die Hälfte der Besucher, um sich zu bespaßen; die Anderen sind professionelle Flieger. Fünf Windkanäle gibt es aktuell in Deutschland. Tendenz: steigend.
Einen Tag später bleiben mir von dem Adrenalin-Overkill nur noch die Nachwehen. Ich kann mich kaum noch erinnern, wie es sich angefühlt hat zu fliegen. Ich weiß nur noch, dass es kein müheloses Gleiten durch die Luft war. Es war eher wie Wellenreiten. Mit einem Gegner, der mir mächtiger, gar gefährlicher erscheint als Wasser.
Lust als bester Freund
Profi-Skydiver Fabian Reidel hat nach 12.000 Sprüngen die Luft längst zu seinem besten Freund gemacht.
"Wie fühlt es sich für dich an zu fliegen? Wahrscheinlich fühlt jeder etwas anderes…?"
Fabian: "Eine gewisse Freiheit. Du kannst dich in einem dreidimensionalen Raum bewegen, wie du willst. Für mich ist das das Größte."
Freiheit und Unbeschwertheit – ich habe das nicht gespürt. Es war einfach nur ein Kick, ein überwältigender zwar, von dem ich heute aber schon lange nichts mehr merke.