Der Tresenseelsorger
Der Berliner Pfarrer Ulrich Kotzur hat einen ungewöhnlichen Aufruf gestartet: Seine Kollegen aus beiden großen christlichen Kirchen sollen sich am Sonntagabend als Wirte betätigen. Ort des Geschehens ist der "Kreuzberger Himmel" - eine frisch eröffnete Kirchenkneipe in Berlin.
"Ja, ick war eben zum Ohrenarzt. Und die Ohrenarzt ist wohl oooch Katholikin. Nehm ick an. Is hier gleich nebenan. Da sagt se: Ham Se schon jehört, dass die Bonifatiuskirche hier'n Café eröffnet hat? Hab ick jedacht: Na, guckste, gehste rin und trinkst n Kaffee."
Gesagt, getan. Zum Kaffee hat der Mann ein Stück Obstkuchen mit Schlagsahne verspeist. Später steht er auf der Yorckstraße, stützt sich auf seinen Stock und betrachtet kritisch die Rechnung:
"5,30. Ditt is ziemlich ... für kleene Leute is teuer."
Der "Kreuzberger Himmel" hat an der Ecke Yorckstraße und Mehringdamm reichlich Konkurrenz. Ein Italiener, ein türkischer Imbiss, ein indisches Restaurant – auch vor einer Currywurstbude stehen Passanten. Es geht laut und lebhaft zu. Der Sexshop gegenüber hat um diese Zeit noch geschlossen.
In diesem Kiez will der "Kreuzberger Himmel" mit Klosterküche punkten. Biersuppe mit Backforelle gibt es, Gemüse mit Rosmarin und frisch gebratene Blutwurstscheiben. Das teuerste Gericht kostet 9 Euro 50. Die meisten Hauptgerichte liegen zwischen 5 und 7 Euro.
Dazu kann, wer will, nicht nur Apfelsaft, sondern auch Alkohol bestellen. Er hat die Auswahl zwischen Bier und Wein, Likören, Schnäpsen und Whisky. Pfarrer Ulrich Kotzur findet das ganz normal:
"Wir in der Kirche sind nicht Alkoholverächter sozusagen, sondern so wie es in der Heiligen Schrift schon steht: Der Wein erfreut das Herz. Ist diese Lebensfreude und Freude am Leben und das zu genießen auch tiefes Ziel von kirchlicher Gemeinschaft. Sodass ich immer herzhaft sage: Katholiken konnten schon immer knackig beten und feste feiern. Und es war schon immer gut katholisch, gut christlich, so das Leben auch zu bejahen und nicht zu verneinen."
Dem katholischen Priester ist seine Lebensfreude anzumerken. Der Zweimetermann schätzt gutes Essen und den lebhaften Dialog mit den verschiedenen Kulturen in Kreuzberg. Menschen aus 88 Ländern gehören zur Bonifatiusgemeinde. Neben Deutschen bilden Polen, Italiener und Franzosen die größten Gruppen. Auch viele Menschen aus afrikanischen Staaten leben hier.
Ulrich Kotzur will jedoch auch mit den anderen ins Gespräch kommen, die sonst kaum in eine Heilige Messe gehen würden:
"Schon sehr lange in der Gemeinde schwelte die Idee, dass eigentlich Pfarrbüro und Pfarrsaal hinter der Kirche, weg vom pulsierenden Leben vorne, nur von denen aufgesucht wird, die das entweder kennen oder irgendwas zielgerichtet haben wollen: Taufe anmelden, Trauung, Beerdigung oder so. Und dass wir als Gemeinde eigentlich, dass wir am Leben des Bezirks gar nicht teilnehmen so richtig, obwohl wir so ne starke, große, breite Front haben."
Die Front – das ist die Bonifatiuskirche in der Yorckstraße. Links daneben ist jetzt in einem Gebäude, das der Kirche gehört, die Kneipe untergebracht. Zwei professionelle Köche arbeiten hier, dazu mehrere Servicekräfte. Sie sind fest angestellt und werden nach Tarif entlohnt. Demnächst sollen in der Kneipe auch Lesungen und andere Kulturveranstaltungen stattfinden.
Getragen wird der "Kreuzberger Himmel" von einem Verein. Ihm gehören Mitglieder der Gemeinde an. Die Gemeinde gab dem Verein auch einen Kredit für die Einrichtung der Kneipe. Viele Menschen finden die Idee spannend, sich mit der Kneipe dem Kiez zu öffnen. Es gibt jedoch in der Bonifatiusgemeinde auch kritische Stimmen, die glauben, dass das so nicht funktioniert. Man einigte sich darauf, es erst einmal zu versuchen.
In Zukunft soll sich die Kneipe ohne Zuschüsse selbst tragen. Ulrich Kotzur:
"Wir geben uns ein Jahr, dann sieht man ganz deutlich: Läuft dit oder läuft dit nicht – sagen die Profis. Und wenn's nicht läuft, wäre dit fatal. Aber dann würden wir als Verein eben kein Café mehr, keine Gaststätte betreiben, sondern die Veranstaltungen doch anders organisieren: drumherum oder in der Gemeinde oder im Bezirk."
In der Kneipe herrscht um die Mittagszeit noch wenig Betrieb. Es hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, dass jetzt gegessen und getrunken werden kann, wo früher ein Bekleidungsgeschäft war.
Die Kellnerin Ellen-Carolin Winkler ist trotzdem optimistisch:
"Ich hoffe, dass das gut funktioniert, dass auch viele andere Leute kommen, die vielleicht auch Berührungsängste mit Kirche sonst haben."
Mit Bibeltexten will ihnen Ulrich Kotzur nicht auf den Leib rücken. Er will zuhören, hin und wieder ein Schwätzchen halten. Sein Engagement für die Kneipe ist so etwas wie ein Abschiedsgeschenk an die Bonifatiusgemeinde, bei der er seit 2004 tätig war. Er hat sie vor Kurzem verlassen, um sich im Bistum der Jugendarbeit zu widmen. Einmal im Monat wird der Pfarrer am Sonntagabend trotzdem selbst hinter dem Tresen stehen und Getränke ausschenken.
Er hofft, dass er hin und wieder von Kollegen abgelöst wird, gern auch von evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern:
"Ein paar Zusagen hab ich schon von befreundeten Priestern und Diakonen, die sagten: Ja, können sich vorstellen, mal zapfen kommen. Sind ja nur 52 Sonntage, also! 52 Geistliche – Pfarrerinnen und Pfarrer – werden wir schon finden. Naja, ich glaube, dass – so'n ganz normaler Barbetrieb sozusagen, ja - der ist eben nicht abgehoben. Ja, da kann man dann eben nicht hoch theologisieren und philosophieren, aber man kann tiefgründig über das Leben sprechen.
Und das, glaub ich, tut jedem Pfarrer gut. Dadurch, dass der Pfarrer ja auch Zusatzkraft ist, muss der ja vielleicht gar nicht die ganze Zeit hinterm Tresen stehen, sondern dann sagen welche: Ja, hier und dann nimmt er sich Zeit und setzt sich an den einen Tisch dazu. Ich glaube, dass Wirte schon immer Seelsorger waren. Ja, also? Die meisten Kneipiers, die dit jetzt hören, werden sagen: Hab ick dauernd da solche Gespräche, brauch ick nicht Pfarrer für sein."
Service:
Der "Kreuzberger Himmel" befindet sich direkt neben der Kirche St. Bonifatius in der Yorckstraße 89 in Berlin-Kreuzberg. Er hat täglich von 11 bis 23 Uhr geöffnet.
Gesagt, getan. Zum Kaffee hat der Mann ein Stück Obstkuchen mit Schlagsahne verspeist. Später steht er auf der Yorckstraße, stützt sich auf seinen Stock und betrachtet kritisch die Rechnung:
"5,30. Ditt is ziemlich ... für kleene Leute is teuer."
Der "Kreuzberger Himmel" hat an der Ecke Yorckstraße und Mehringdamm reichlich Konkurrenz. Ein Italiener, ein türkischer Imbiss, ein indisches Restaurant – auch vor einer Currywurstbude stehen Passanten. Es geht laut und lebhaft zu. Der Sexshop gegenüber hat um diese Zeit noch geschlossen.
In diesem Kiez will der "Kreuzberger Himmel" mit Klosterküche punkten. Biersuppe mit Backforelle gibt es, Gemüse mit Rosmarin und frisch gebratene Blutwurstscheiben. Das teuerste Gericht kostet 9 Euro 50. Die meisten Hauptgerichte liegen zwischen 5 und 7 Euro.
Dazu kann, wer will, nicht nur Apfelsaft, sondern auch Alkohol bestellen. Er hat die Auswahl zwischen Bier und Wein, Likören, Schnäpsen und Whisky. Pfarrer Ulrich Kotzur findet das ganz normal:
"Wir in der Kirche sind nicht Alkoholverächter sozusagen, sondern so wie es in der Heiligen Schrift schon steht: Der Wein erfreut das Herz. Ist diese Lebensfreude und Freude am Leben und das zu genießen auch tiefes Ziel von kirchlicher Gemeinschaft. Sodass ich immer herzhaft sage: Katholiken konnten schon immer knackig beten und feste feiern. Und es war schon immer gut katholisch, gut christlich, so das Leben auch zu bejahen und nicht zu verneinen."
Dem katholischen Priester ist seine Lebensfreude anzumerken. Der Zweimetermann schätzt gutes Essen und den lebhaften Dialog mit den verschiedenen Kulturen in Kreuzberg. Menschen aus 88 Ländern gehören zur Bonifatiusgemeinde. Neben Deutschen bilden Polen, Italiener und Franzosen die größten Gruppen. Auch viele Menschen aus afrikanischen Staaten leben hier.
Ulrich Kotzur will jedoch auch mit den anderen ins Gespräch kommen, die sonst kaum in eine Heilige Messe gehen würden:
"Schon sehr lange in der Gemeinde schwelte die Idee, dass eigentlich Pfarrbüro und Pfarrsaal hinter der Kirche, weg vom pulsierenden Leben vorne, nur von denen aufgesucht wird, die das entweder kennen oder irgendwas zielgerichtet haben wollen: Taufe anmelden, Trauung, Beerdigung oder so. Und dass wir als Gemeinde eigentlich, dass wir am Leben des Bezirks gar nicht teilnehmen so richtig, obwohl wir so ne starke, große, breite Front haben."
Die Front – das ist die Bonifatiuskirche in der Yorckstraße. Links daneben ist jetzt in einem Gebäude, das der Kirche gehört, die Kneipe untergebracht. Zwei professionelle Köche arbeiten hier, dazu mehrere Servicekräfte. Sie sind fest angestellt und werden nach Tarif entlohnt. Demnächst sollen in der Kneipe auch Lesungen und andere Kulturveranstaltungen stattfinden.
Getragen wird der "Kreuzberger Himmel" von einem Verein. Ihm gehören Mitglieder der Gemeinde an. Die Gemeinde gab dem Verein auch einen Kredit für die Einrichtung der Kneipe. Viele Menschen finden die Idee spannend, sich mit der Kneipe dem Kiez zu öffnen. Es gibt jedoch in der Bonifatiusgemeinde auch kritische Stimmen, die glauben, dass das so nicht funktioniert. Man einigte sich darauf, es erst einmal zu versuchen.
In Zukunft soll sich die Kneipe ohne Zuschüsse selbst tragen. Ulrich Kotzur:
"Wir geben uns ein Jahr, dann sieht man ganz deutlich: Läuft dit oder läuft dit nicht – sagen die Profis. Und wenn's nicht läuft, wäre dit fatal. Aber dann würden wir als Verein eben kein Café mehr, keine Gaststätte betreiben, sondern die Veranstaltungen doch anders organisieren: drumherum oder in der Gemeinde oder im Bezirk."
In der Kneipe herrscht um die Mittagszeit noch wenig Betrieb. Es hat sich wohl noch nicht herumgesprochen, dass jetzt gegessen und getrunken werden kann, wo früher ein Bekleidungsgeschäft war.
Die Kellnerin Ellen-Carolin Winkler ist trotzdem optimistisch:
"Ich hoffe, dass das gut funktioniert, dass auch viele andere Leute kommen, die vielleicht auch Berührungsängste mit Kirche sonst haben."
Mit Bibeltexten will ihnen Ulrich Kotzur nicht auf den Leib rücken. Er will zuhören, hin und wieder ein Schwätzchen halten. Sein Engagement für die Kneipe ist so etwas wie ein Abschiedsgeschenk an die Bonifatiusgemeinde, bei der er seit 2004 tätig war. Er hat sie vor Kurzem verlassen, um sich im Bistum der Jugendarbeit zu widmen. Einmal im Monat wird der Pfarrer am Sonntagabend trotzdem selbst hinter dem Tresen stehen und Getränke ausschenken.
Er hofft, dass er hin und wieder von Kollegen abgelöst wird, gern auch von evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrern:
"Ein paar Zusagen hab ich schon von befreundeten Priestern und Diakonen, die sagten: Ja, können sich vorstellen, mal zapfen kommen. Sind ja nur 52 Sonntage, also! 52 Geistliche – Pfarrerinnen und Pfarrer – werden wir schon finden. Naja, ich glaube, dass – so'n ganz normaler Barbetrieb sozusagen, ja - der ist eben nicht abgehoben. Ja, da kann man dann eben nicht hoch theologisieren und philosophieren, aber man kann tiefgründig über das Leben sprechen.
Und das, glaub ich, tut jedem Pfarrer gut. Dadurch, dass der Pfarrer ja auch Zusatzkraft ist, muss der ja vielleicht gar nicht die ganze Zeit hinterm Tresen stehen, sondern dann sagen welche: Ja, hier und dann nimmt er sich Zeit und setzt sich an den einen Tisch dazu. Ich glaube, dass Wirte schon immer Seelsorger waren. Ja, also? Die meisten Kneipiers, die dit jetzt hören, werden sagen: Hab ick dauernd da solche Gespräche, brauch ick nicht Pfarrer für sein."
Service:
Der "Kreuzberger Himmel" befindet sich direkt neben der Kirche St. Bonifatius in der Yorckstraße 89 in Berlin-Kreuzberg. Er hat täglich von 11 bis 23 Uhr geöffnet.