Die Müllabfuhr der Wildnis
16:39 Minuten
Pechschwarzes Fell, gedrungener Körper und ein wildes, gurgelndes Fauchen: Der Tasmanische Tiger ist ein scheuer, nachtaktiver Aasfresser, der sogar tote Kängurus vertilgt. Ein ansteckender Krebs hat die Tiere an den Rand des Aussterbens gebracht.
"This fella is roadkill. I use roadkill exclusively. We are transferring it from a dangerous place where the animals are eating it to a safe place."
Letzte Vorbereitungen für ein Festmahl. Reservieren ist im Restaurant von Geoff King Pflicht. Für mehr als acht Gäste ist in dem windschiefen Holz-schuppen auf seiner Farm bei Smithton, im Nordwesten Tasmaniens, nicht Platz.
Auf der Speisekarte stehen Känguruh und Opossum. Doch statt an Tischen und auf Stühlen sitzen die Besucher auf zwei Bierbänken mit Blick nach draußen auf eine tennisplatzgroße Wiese am Waldrand.
Freßorgie spannender als ein Krimi
Wer hungrig zu Geoff kommt, hat Pech, denn in seinem "Teufels-Restaurant" kann man nicht essen, man kann nur bei einem Gelage zusehen.
"This one if he is very hungry, he will defend the carcass and he will make a lot of little noises to let the other devils know that he is about."
Es ist kurz nach Sonnenuntergang. Vorsichtig tapsen vier Tasmanische Teufel aus dem Unterholz. Angelockt durch den Geruch eines toten Känguruhs, das Geoff ein paar Meter vor die Hütte gelegt hat. Ein überfahrenes Tier von der Landstraße.
Durch eine getönte Glasscheibe, im fahlen Licht einer Außenlampe, kann man beobachten wie die Teufel über den Kadaver herfallen. Für Geoff King ist die Freßorgie auch noch beim x-ten Mal spannender als ein Fernsehkrimi.
"Wir selbst haben früher nachts kaum Teufel gesehen und wenn sie ein totes Rind oder Kalb beseitigen, dann hinterlassen sie kaum Spuren.
Ich bin jedesmal genauso fasziniert, wie unsere Besucher, die so scheuen, wilden Teufel aus nächster Nähe beobachten zu können. Es stört niemanden, dass dabei ein anderes, totes Tier in Stücke gerissen wird. Jeder schaut nur auf die Teufel."
"Here we go. Look at the old girl chasing off another one. Now this guy is very keen, he has the smell of the carcass. She’s back to her old form."
Knochen knicken wie Brotstangen
Knochen knicken wie Brotstangen zwischen den kräftigen Backenzähnen, Klauen werden zermahlen, selbst Fell, Gebiss, Knochen und Schädel des Känguruhkadavers verschlungen. Nur Unterkiefer lassen die Teufel übrig.
Wildes, gurgelndes Fauchen, weit aufgerissenes Maul, gedrungener Körper und pechschwarzes Fell. Seinen Namen bekam das Tier von den britischen Kettensträflingen, die im späten 18. Jahrhundert nach Tasmanien verbannt worden waren.
Für sie war die Insel die Hölle auf Erden, eine trostlose Welt bestimmt vom Klirren ihrer Fußeisen. Nachts aber hörten sie das Geschrei von, für sie, unsichtbaren Kreaturen aus dem Busch. Das Gekreische, das sie oft nicht schlafen ließ, hielten sie für das makabre Gelächter des Teufels.
Der Teufel ist besser als sein Ruf. Obwohl der größte Raubbeutler der Welt - das kurzbeinige Tier ist vor allem Aasfresser: das Aufräumkommando in der tasmanischen Wildnis.
Sein Kiefer ist stärker als der eines weißen Hais, seine robuste Verdauung ein wahres Hexengebräu von Enzymen. Aber einen Teufel, wie auf Geoff Kings Farm, in seiner natürlichen Umgebung zu sehen, ist eine Seltenheit.
Der Tasmanische Teufel ist gefährdet
Der Tasmanische Teufel ist gefährdet. Es wird geschätzt, dass von früher 150.000 Tieren heute nur noch 25.000 in freier Wildbahn leben. In Zoos und isolierten Inseln vor der tasmanischen Küste wurden deshalb Zuchtprogramme gestartet. Das größte Reservat für tasmanische Teufel aber liegt weit weg von ihrer Heimat, auf dem australischen Festland.
"They got me, and they are individuals. Devils have different personalities. When you work with a species like that, that is stimulating and rewarding."
Tierschützer Tim Faulkner ist der Advokat des Teufels. Wie sein Vorbild "Crocodile Hunter" Steve Irwin, ein Krieger für die Natur. Seine Uniform sind schmutzige Arbeitsstiefel, das unvermeidliche khakifarbene Kurzärmel-Hemd und Shorts.
Seine Begeisterung für ein Tier, das, selbst in Schulbüchern als die "wohl übelriechendste, gierigste und schlechtgelaunteste Kreatur der Welt" beschrieben wird, ist ansteckend.
"Die Teufel werden völlig mißverstanden. Wer sie näher kennenlernt, sieht, dass sie liebenswerte Tiere sind – Individuen voller Charakter, nicht blutsaugende Monster. Selbst dann, wenn sie Kadaver in Stücke reißen, läuft alles nach einer sozialen Rangordnung ab. Ihr Gebrüll ist ihre Art zu kommunizieren. Die Teufel sehen sehr schlecht, aber wir wissen von 25 verschiedenenen Lauten, mit denen sie sich verständigen."
Vor etwa 3.000 Jahren wurde der Raubbeutler durch den Dingo, Australiens Wildhund, vom Festland verdrängt. Nur auf der Insel Tasmanien überlebten sie. Jetzt aber ist der Teufel wieder zurück. In der "Aussie Ark", einem Schutzgebiet in den Barrington Tops, 320 Kilometer nördlich von Sydney.
Es gibt Nachwuchs im Schutzgebiet
Tim Faulkner und sein Team haben dort dutzende Tasmanische Teufel angesiedelt. Jetzt gibt es ersten Nachwuchs. Tim Faulkner ist stolzer Patenonkel von sieben Jungtieren.
"Werden die Teufel in einem Zoogehege gehalten, dann vermehren sie sich nicht. Deshalb haben wir sie in diesem Stück Land angesiedelt. Pflanzen und Witterung sind fast wie in Tasmanien. Die Idee war: wenn schon nicht in Gefangenschaft, dann vermehren sie sich vielleicht in einer Umgebung, die größer als ein Gehege ist und ein wenig kleiner als Tasmanien."
Ein Bereich für Jungtiere, für ausgewachsene Teufel und eine Art Altenheim: Barrington Tops ist der Himmel für Teufel: kein Straßenverkehr, keine einge-schleppten Krankheiten. Das 500 Hektar große Reservat ist mit einem drei Meter hohen und einem halben Meter tief im Boden verankerten Maschendrahtzaun umgeben. Tim Faulkner stellt klar: Nicht um die Tasmanischen Teufel drinnen, sondern Fressfeinde draußen zu halten.
"Ich war immer gegen Zäune. Mittlerweile aber halte ich sie für ein notwendiges Mittel beim Artenschutz. Wir züchten hier eine stabile Population außerhalb Tasmaniens, um sie später dort wieder freilassen zu können. Als Gesellschaft stehen wir in der Pflicht: Sollen wir einfach nur zusehen, bis der letzte Teufel verschwunden ist?"
Schuld am Massensterben der Teufel ist eine heimtückische und ansteckende Tumorkrankheit: "Devil Facial Tumor Disease", kurz DFTD. Sie befällt zuerst das Maul und breitet sich dann über den ganzen Körper aus. Die Tiere verhungern, da die Tumore sie beim Fressen stören.
Seit Jahren wird intensiv an Gegenmaßnahmen geforscht. "Bisher leider vergeblich", bedauert Jake Meney, einer der Ranger in den Barrington Tops. Bevor die Wissenschaft nicht eine Lösung finde, müsste in Reservaten der Natur nachgeholfen werden, damit sich der Bestand der Tiere wieder erhole.
"Diese Krankheit plagt die Teufel schon lange. Zum ersten Mal wurde sie 1996 festgestellt. Umso wichtiger ist es, dass wir die Tiere in Gefangenschaft züchten, um eine eigene Population zur Sicherung der Art zu haben."
Natürliche Schädlingsbekämpfung durch Teufel?
Tasmanische Farmer nennen die Teufel liebevoll "die Busch-Müllabfuhr", weil sie überfahrene Wildtiere aber auch tote Kälber und Schafe, praktisch über Nacht, beseitigen. "Die Teufel könnten aber noch viel mehr", sagt der Zoologe Chris Johnson von der Universität Tasmanien.
Er glaubt, sie wären ideal als natürliche Schädlingsbekämpfung. Auch auf dem Festland. Obwohl nur bis zu 60 Zentimeter lang und acht Kilo schwer, sind die Teufel so furchtlos, dass sie vor niemandem ihren Schwanz einziehen. Auch nicht vor Füchsen oder wilden Katzen, deren Jungen sie jagen.
Füchse und Katzen. Laut Chris Johnson die Hauptverantwortlichen dafür, dass in Australien 40 Säugetierarten in den letzten 200 Jahren ausgestorben sind. Mehr als sonstwo auf der Welt.
"Der Tasmanische Teufel könnte mithelfen das Problem eingeschleppter Raubtiere zu beseitigen und ihre Zahlen niedrig zu halten. In Tasmanien ist, dank der Teufel, bisher nicht eine einzige Säugetierart wegen wilder Katzen ausgestorben. Vielleicht können wir bessere Ökosysteme schaffen, wenn wir dominante, einheimische Raubtiere wieder in gewissen Gegenden einführen."
Der Status "Weltnaturerbe" in Gefahr
Ein Viertel Tasmaniens ist von der UNESCO als Weltnaturerbe ausgewiesen, 37 Prozent der Insel sind Nationalparks. "Die Teufel sind instrumental für ein natürliches, ökologisches Gleichgewicht in den Wäldern", betont der Tierschützer Vica Bailey. Er fordert noch mehr Geld für Zucht- und Wiederansiedlungsprogramme. Sollten die Zahlen des bedrohten Tasmanischen Teufels weiter zurückgehen, wäre kurzfristig die Artenvielfalt in den ausgewiesenen Schutzgebieten in Gefahr. Und langfristig wohl auch der Status "Weltnaturerbe".
"Die tasmanische Wildnis ist wegen ihrer natürlichen und kulturellen Werte zum Weltnaturerbe ernannt worden. Dadurch stehen die Tier- und Naturparkbehörden aber auch in der Pflicht, diese Werte zu berücksichtigen und zu erhalten."
Die sauberste Luft, das klarste Wasser, eine unbelassene Natur: kein Tasmanien-Werbespot ohne kristallklare Seen, unberührte Wälder oder schneebedeckte Felsmassive. Tasmaniens Tourismussektor und die Naturparkverwaltung operieren seit jeher in der Grauzone zwischen Umweltverträglichkeit und Kommerz.
Jeder fünfte Job hängt vom Tourismus ab
Jeder fünfte Job in Tasmanien hängt vom Tourismus ab, die Branche ist der größte Arbeitgeber des Staates. Lokale Agrarprodukte haben einen Wettbewerbsvorteil durch das saubere, grüne Image der Insel. Ob auf Weinflaschen, Souvenirs oder Reisebroschüren: der tasmanische Teufel ist das Gesicht eines ökologisch intakten Tasmaniens - nicht aber, wenn es von Krebsgeschwüren entstellt ist. Jason Jacoby von der Naturparkverwaltung weiß genau: Je bedrohter die Teufel - desto schlechter für die Wirtschaft.
"Die außergewöhnliche Landschaft Tasmaniens ist nur eines von weltweit zwei Gebieten, das sieben der zehn Kriterien für ein Weltnaturerbe erfüllt. Dazu passt nicht, dass unser bekanntestes Tier stark gefährdet ist. Das hat längst Folgen. Durch die prekäre Lage der Tasmanischen Teufel bewerten wir Vorschläge für mehr Tourismus in den betroffenen Gegenden noch strikter als früher."
Zuchtprogramme und Forschung sollen helfen
Die tasmanische Regierung finanziert seit Jahren Zuchtprogramme und die Forschung nach einem Impfstoff, der die Teufel vor DFTD, dem tödlichen Gesichtskrebs, schützen soll. Eines aber möchte man nicht: dass der Teufel wieder auf dem australischen Festland angesiedelt wird.
"Warum sollten Touristen zu uns kommen, wenn es die Tiere auch in der Nähe von Sydney oder Melbourne gibt?", fragt sich Matthew Bentz, der Fremdenverkehrssprecher der Staatsregierung. Der Tasmanische Teufel soll gefälligst tasmanisch bleiben.
"Wir legen Wert darauf, dass Tasmanische Teufel verantwortungsvoll gezüchtet und artgerecht gehalten werden. Diese Populationen außerhalb Tasmaniens helfen, die Zukunft der Art zu sichern. Aber all diese Tiere gehören wieder hierher in ihre Heimat – in die tasmanische Wildnis."
Die Zeit drängt. Jede fünfte Säugetierart in Australien gilt als bedroht. 1936 wurde der engste Verwandte des Teufels, der Tasmanische Tiger, durch menschliche Ignoranz ausgerottet. Diesmal aber wird alles unternommen, um nicht ein weiteres Tier Tasmaniens für immer zu verlieren. Da es aber auch um wirtschaftliche Interessen geht, müsste es dabei schon mit dem Teufel zugehen.