Der Umwelt zuliebe

Von Ulrich Woelk |
Zugegeben: Auch wenn ich zu jenen gehöre, die ihre Autos stets bis zu dem Kilometerstand fahren, der den Mechanikern in der Werkstatt meines Vertrauens die Sorgenfalten auf die Stirn treibt, finde ich es ab und an doch angenehm, hinter dem Steuer eines Neuwagens zu sitzen.
Ich lerne dann, mit Autos umzugehen, die keinen Zündschlüssel mehr haben, ausgetüftelte teilautomatische Getriebe besitzen oder - so vor ein paar Wochen - über einen Tempomaten verfügen.

Im Grunde bin ich ja immer der Meinung gewesen, dass ein Tempomat angesichts der Tatsache, dass 60 Prozent aller Autofahrten kürzer als fünf Kilometer sind, so notwendig ist wie ein Taschenrechner fürs kleine Einmaleins. Aber dann hatte ich plötzlich die Idee, die Wirkung der Automatik in einer unserer immer zahlreicher werdenden Tempo-30-Zonen auszuprobieren. In denen kämpfe ich nämlich stets damit, nicht unbeabsichtigt zu schnell zu fahren.

Die Tachonadel verweilte beharrlich bei 30, und da ich mich nun entspannen konnte, fiel mein Blick auf den Bordcomputer mit der Echtzeit-Verbrauchsanzeige. Da war ich allerdings verblüfft: Trotz der geringen Geschwindigkeit pendelte der Verbrauch zwischen 9,5 und 13,4 Litern - das war eine Menge, fand ich. Bei Tempo 120 auf der Autobahn hatte der Verbrauch schließlich bei 6,5 Litern gelegen.

Ich bin kein Ingenieur, aber ich vermute, unsere Autos werden bei deswegen Tempo 30 zu Dreckschleudern, weil sie für derart, aus Sicht von Automobilisten vernachlässigbare Geschwindigkeiten ganz einfach nicht optimiert werden. Und das hat mich doch nachdenklich gemacht. Mein Versuch, mich besonders umwelt- und sozialverträglich zu verhalten, hat also genau das Gegenteil von dem bewirkt, was ich erreichen wollte.

Und da fiel mir ein, dass ich vor einem Jahr zu Hause mit unsrer Spülmaschine eine ganz ähnliche Erfahrung gemacht habe. Diese haben wir nämlich stets im 50-Grad-Ökoprogramm laufen lassen - mit durchaus zufriedenstellendem Spülergebnis, sodass ich mich gelegentlich schon gefragt habe, wozu es das Energie fressende 65-Grad-Programm überhaupt gibt.

Bis im vergangenen Herbst die Küche unter Wasser stand. Das Abflussrohr war dicht - zugeschnürt wie ein Hals nach zu langer Unterkühlung. Offenbar haben Seife und Fett die Eigenschaft, sich bei zu niedrigen Temperaturen an den Rohrwänden abzusetzen und dort darüber hinaus alle festen Bestandteile des Abwassers zu binden - bis zum Leitungsinfarkt.

Danach haben nur noch die Rohrspirale und jede Menge Chemie geholfen. Und so benutzen wir seitdem das bisher gemiedene 65-Grad-Programm - schweren Umweltherzens, aber jeder, der einmal versucht hat, mit einer Zehn-Meter-Spirale ein Abflussrohr zu reinigen, wird dafür, so hoffe ich, Verständnis haben.

Auch hier scheint das Problem eine Art von Inkompatibilität zu sein: Modernes Ökobewusstsein und archaische Abflusstechnik passen offenbar nicht zusammen. Vielleicht braucht es dickere Rohre, vielleicht bessere Tenside - ich weiß es nicht, ich bin kein Installateur oder Chemiker. Ich weiß nur, eine Abwasserlaugen-Überschwemmung auf dem Kirschholzboden unserer Küche, auf den wir so stolz sind, werde ich nicht noch einmal riskieren.

Und da wir nun schon beim Thema Wasser sind, sei auch dieses dritte, vielleicht nur Berliner Problem noch angesprochen. Berlin ist ja erfreulicherweise eine sehr wasserreiche Stadt. Zwar regnet es eher wenig, aber Grundwasser gibt es in Hülle und Fülle.

Da sich inzwischen aber herumgesprochen hat, dass Trinkwasser - selbst wenn es lokal reichlich vorkommt - global gesehen ein recht knappes Gut ist, haben wir auch hier gelernt zu sparen, haben uns Ökowaschmaschinen, verbrauchsreduzierende Duschköpfe und Toilettenspülungen mit einem Extraknopf fürs Kleine angeschafft. Das hat aber, wie ich nun neulich las, zur Folge, dass zu wenig Abwasser durch die Berliner Kanalisation fließt und diese sich in ein schlammiges Schlaraffenland für Ratten verwandelt ...

Was ist nun die Moral von dieser Geschichte? Sollen wir wieder durch die Wohngebiete rasen wie früher? Sollen wir alle Anstrengungen zum Energiesparen aufgeben? Sollen wir jeden Tag ein Vollbad nehmen oder am besten, der Kanalisation zuliebe, gleich zwei? Wohl kaum.

Und so ist das hier am Ende bloß ein Stoßseufzer über die Tatsache, dass selbst unser bester und aufrichtigster Wille, alles richtig zu machen, keine Garantie dafür ist, dass auch alles besser wird.

Ulrich Woelk, geboren 1960 in Köln, studierte Physik in Tübingen und Berlin. Sein erster Roman, "Freigang", erschien 1990 im S. Fischer Verlag und wurde mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Seit 1995 lebt Ulrich Woelk als freier Schriftsteller in Berlin. Seine Romane und Essays sind unter anderem ins Chinesische, Französische, Englische und Polnische übersetzt. Zuletzt erschien "Joana Mandelbrot und ich".
Ulrich Woelk
Ulrich Woelk© Bettina Keller
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