Der unbekannte Bruder Theo van Gogh
Vincent van Goghs vier Jahre jüngerer Bruder Theo hat unbedingt eine eigene Biografie verdient. Wie eng verbunden sich die beiden zeitlebens waren, von der Kindheit im niederländischen Pfarrhaus bis zu Vincents Selbstmord in Auvers bei Paris, das ist ja aus den berühmten "Briefen an den Bruder" hinlänglich bekannt. Aber Theo van Gogh war nicht nur die wichtigste Bezugsperson für Vincent, sondern auch sein Gegenstück und Korrektiv - und das macht ihn so interessant.
Vincent van Gogh stand wie kaum ein anderer für den Mythos des modernen Malers, der unverstanden bleiben muss, der, ohne den eigenen Erfolg zu erleben, unbeirrbar seinen Weg geht; der Maler zwischen Genie und Wahnsinn.
Theo van Gogh befand sich in einer noch etwas verzwickteren Lage: zwischen seinem wahnsinnig genialischen Bruder und den Zwängen einer bürgerlichen Existenz als Kunsthändler. Wenn das alles ein Roman aus dieser Zeit wäre, dann wäre er es, dem die undankbare Rolle zufällt, klar zu machen, wovon die Helden eigentlich leben.
Theo van Gogh arbeitete als Angestellter in einer Pariser Kunsthandlung, die ihr Geld mit schwülstigen Salonmalern oder prätentiösen Neoklassizisten verdiente. Mit Namen wie Bouguereau oder Gérôme, dessen Bilder 70.000 Francs kosten konnte, während Theo van Gogh die Landschaften der von ihm so bewunderten Impressionisten - heute regelmäßig das Teuerste, was es auf Auktionen gibt - nur unter Mühen für 150 Francs losbekam. Dieses Engagement für die damalige künstlerische Avantgarde brachte ihn bei seinen konservativen Chefs in beträchtliche Bedrängnis.
Gleichzeitig stand er unter dem Druck, auch die noch schwerer verkäuflichen Bilder seines Bruders zu vermarkten, für den er in eine fast ruinöse Doppelrolle als Mäzen und Händler geschlüpft war. Als solcher wurde er zugleich von Vincent als Parasit der Künste beschimpft. Ab dem Moment, wo das Verhältnis der Brüder auch eine professionelle Komponente hatte, war es von schweren Spannungen geprägt, in denen sich immer auch sehr beredt die generellen Interessengegensätze von Künstlern und Kunstvermittlern spiegelten.
Es ist eine fundamentale Zerissenheit zwischen Boheme und Bürgerlichkeit, die diese Biografie prägt - zusätzlich zu den ökonomischen und emotionalen Entladungen zwischen den beiden ungleichen Brüdern. Sie bietet nicht nur einen anderen Blickwinkel auf das anstrengende Genie Vincent van Goghs, sondern auch ein faszinierendes Zeitmosaik, in dem so gut wie alle Namen auftauchen, die diese Epoche heute in der Kunstgeschichte repräsentieren.
Es ist nur schade, dass man das alles in diesem Buch mühsam zwischen den Zeilen heraussuchen muss, genauer gesagt: zwischen einem wuchernden Gestrüpp aus gefühligem Gefasel. Die Autorinnen Marie-Angélique Ozanne und Frédérique de Jode, die dem Klappentext zufolge Historikerinnen sind und für französische Zeitungen und Zeitschriften arbeiten, sind mit dem Stoff leider komplett überfordert gewesen. Sie behandeln ihn durchweg im Tonfall von ammenhaften Kindergartentanten bzw. so, als hätten sie ihn für das "Goldene Blatt" aufbereiten wollen:
"Die sechs Kinder brachten mit ihrem Gelächter und ihren Spielen Leben ins Pfarrhaus und wuchsen in einem behaglichen, wenn auch bescheidenen Nest auf."
Wie bei allen schlechten Biografien wird auch hier unnötig viel Raum für die stark psychoanalytelnde Beschreibung der Kindheit vergeudet. In diesem Fall wird der Ton aber auch später nicht wesentlich reifer, sondern verbleibt auf einem unfassbar infantilen Niveau. Die Dramaturgie ist blind für die eigentlichen Themen und Pointen und klammert sich ängstlich an die Chronologie; dafür werden die Verwandten der van Goghs auch im Fließtext durchgängig distanzlos mit den familieninternen Kosenamen angesprochen.
Vincent und Theo van Gogh als Hanni und Nanni - das ist nicht nur der Sache unangemessen, man fragt sich auch, wen der Reclamverlag damit eigentlich erreichen will. Denn für Leser unter zehn Jahren ist der Stoff vielleicht ein bißchen komplex; für alle anderen aber ist diese Lektüre eine nur sehr schwer erträgliche Quälerei. Und das ist bei dem eigentlich sehr spannenden, interessanten Stoff doppelt bedauerlich.
Marie-Angélique Ozanne, Frédérique de Jode: Der unbekannte Bruder Theo van Gogh.
Eine Biografie.
Aus dem Französischen von Brigitta Neumeister-Taroni.
Reclam Leipzig.
19,90 Euro
Theo van Gogh befand sich in einer noch etwas verzwickteren Lage: zwischen seinem wahnsinnig genialischen Bruder und den Zwängen einer bürgerlichen Existenz als Kunsthändler. Wenn das alles ein Roman aus dieser Zeit wäre, dann wäre er es, dem die undankbare Rolle zufällt, klar zu machen, wovon die Helden eigentlich leben.
Theo van Gogh arbeitete als Angestellter in einer Pariser Kunsthandlung, die ihr Geld mit schwülstigen Salonmalern oder prätentiösen Neoklassizisten verdiente. Mit Namen wie Bouguereau oder Gérôme, dessen Bilder 70.000 Francs kosten konnte, während Theo van Gogh die Landschaften der von ihm so bewunderten Impressionisten - heute regelmäßig das Teuerste, was es auf Auktionen gibt - nur unter Mühen für 150 Francs losbekam. Dieses Engagement für die damalige künstlerische Avantgarde brachte ihn bei seinen konservativen Chefs in beträchtliche Bedrängnis.
Gleichzeitig stand er unter dem Druck, auch die noch schwerer verkäuflichen Bilder seines Bruders zu vermarkten, für den er in eine fast ruinöse Doppelrolle als Mäzen und Händler geschlüpft war. Als solcher wurde er zugleich von Vincent als Parasit der Künste beschimpft. Ab dem Moment, wo das Verhältnis der Brüder auch eine professionelle Komponente hatte, war es von schweren Spannungen geprägt, in denen sich immer auch sehr beredt die generellen Interessengegensätze von Künstlern und Kunstvermittlern spiegelten.
Es ist eine fundamentale Zerissenheit zwischen Boheme und Bürgerlichkeit, die diese Biografie prägt - zusätzlich zu den ökonomischen und emotionalen Entladungen zwischen den beiden ungleichen Brüdern. Sie bietet nicht nur einen anderen Blickwinkel auf das anstrengende Genie Vincent van Goghs, sondern auch ein faszinierendes Zeitmosaik, in dem so gut wie alle Namen auftauchen, die diese Epoche heute in der Kunstgeschichte repräsentieren.
Es ist nur schade, dass man das alles in diesem Buch mühsam zwischen den Zeilen heraussuchen muss, genauer gesagt: zwischen einem wuchernden Gestrüpp aus gefühligem Gefasel. Die Autorinnen Marie-Angélique Ozanne und Frédérique de Jode, die dem Klappentext zufolge Historikerinnen sind und für französische Zeitungen und Zeitschriften arbeiten, sind mit dem Stoff leider komplett überfordert gewesen. Sie behandeln ihn durchweg im Tonfall von ammenhaften Kindergartentanten bzw. so, als hätten sie ihn für das "Goldene Blatt" aufbereiten wollen:
"Die sechs Kinder brachten mit ihrem Gelächter und ihren Spielen Leben ins Pfarrhaus und wuchsen in einem behaglichen, wenn auch bescheidenen Nest auf."
Wie bei allen schlechten Biografien wird auch hier unnötig viel Raum für die stark psychoanalytelnde Beschreibung der Kindheit vergeudet. In diesem Fall wird der Ton aber auch später nicht wesentlich reifer, sondern verbleibt auf einem unfassbar infantilen Niveau. Die Dramaturgie ist blind für die eigentlichen Themen und Pointen und klammert sich ängstlich an die Chronologie; dafür werden die Verwandten der van Goghs auch im Fließtext durchgängig distanzlos mit den familieninternen Kosenamen angesprochen.
Vincent und Theo van Gogh als Hanni und Nanni - das ist nicht nur der Sache unangemessen, man fragt sich auch, wen der Reclamverlag damit eigentlich erreichen will. Denn für Leser unter zehn Jahren ist der Stoff vielleicht ein bißchen komplex; für alle anderen aber ist diese Lektüre eine nur sehr schwer erträgliche Quälerei. Und das ist bei dem eigentlich sehr spannenden, interessanten Stoff doppelt bedauerlich.
Marie-Angélique Ozanne, Frédérique de Jode: Der unbekannte Bruder Theo van Gogh.
Eine Biografie.
Aus dem Französischen von Brigitta Neumeister-Taroni.
Reclam Leipzig.
19,90 Euro