Der Vater der Atombombe

Die Biografie über J. Robert Oppenheimer erzählt die tragisch-faszinierende Geschichte eines Physikers im 20. Jahrhundert, der - noch im seligen Fortschrittsglauben verhaftet - zwischen Wissenschaft und Politik zerrieben wurde.
Die Attribute, die J. Robert Oppenheimer bis heute angedichtet werden, sind kaum zu übertreffen: "Vater der Atombombe" wurde und wird er genannt, auch "amerikanischer Prometheus", selbst "Faust" und "Gott" mussten für die Beschreibung seiner Person herhalten.

Dahinter steht eine Frage, die die Geschichte des 20. Jahrhunderts mehrfach aufwirft, nämlich die nach der Macht und des Einflusses eines Einzelnen, Schicksal zu spielen. Bei der Suche nach Antworten fallen in der Regel Persönlichkeitsmerkmale wie Genialität oder Skrupellosigkeit und natürlich Charisma.

Die Autoren Kai Bird und Martin J. Sherwin halten sich beim Gebrauch all dieser Superlative zurück. Sie arbeiten mit den Details und Fakten und lassen dem Leser Raum, sich sein eigenes Bild zu schaffen. Das ist viel eingedenk der Tatsache, dass über Oppenheimer nun schon so manches geschrieben wurde in den vergangenen Jahrzehnten.

Die hier vorgelegte Biografie ist mit ihren knapp 600 Seiten zugleich eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Damit vermag sie die ganze Widersprüchlichkeit und Tragik zu fassen, die sich in der Person von Oppenheimer wohl fokussiert, aber keineswegs auf ihn nur beschränkt ist.

Die Entwicklung des 1904 Geborenen von der Kindheit bis zum gestandenen Physiker ist ein Weg zum unabhängigen, freien Denken in der Wissenschaft und in der Politik. Oppenheimer hat das Glück, zu einer Zeit in Göttingen ein Promotionsjahr absolvieren zu können, als dort von 25-Jährigen nicht weniger als eine völlig neue Physik, die Quantenmechanik entworfen wird. In dieser Zeit entstehen Verbindungen zu jungen und erstrangigen Physikern wie Max Born und Niels Bohr.

Es liegt ein Hauch von jugendlicher Unschuld über diesem ganzen geistigen Treiben, das einerseits so revolutionär und andererseits – noch – so wenig relevant für das Leben und die Politik ist. Man kennt sich in der internationalen Physikergemeinde, und Oppenheimer gehört dazu.

Das alles ändert sich in den 30er-Jahren, als in Amerika zunehmend aus Nazideutschland geflohene jüdische Wissenschaftler eintreffen. Nun erhält auch die Welt der Physik einen Riss, der politisches Denken befördert. In diesen 30er-Jahren, als in Spanien Bürgerkrieg ist, findet Oppenheimer Kontakt zur Kommunistischen Partei, und am Ende des Jahrzehnts, am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, wird die Entdeckung gemacht, die für Oppenheimer zum Schicksal wird: Die Entdeckung der Urankernspaltung.

Die Autoren erzählen mit ihrer Biografie und den zahlreichen Lebensskizzen anderer auch eine Geschichte des widersprüchlichen freien Amerikas, das einerseits Heimat vieler Verfolgter werden konnte und andererseits zunehmend restriktiv der Ausbreitung linker Ideen begegnete. Auf diesem Boden kündigt sich Oppenheimers tragische Geschichte seltsam folgerichtig an. Er wird zum Leiter des amerikanischen Atombombenprojekts bestellt, obwohl die Vorbehalte wegen seiner kommunistischen Kontakte enorm sind. Aber es gibt keinen Besseren.

Für ihr Buch haben die Autoren tausende Seiten aus FBI-Dossiers gesichtet, haben noch mit Freunden und Weggefährten gesprochen und natürlich Archive genutzt. So ist der Leser ganz dicht an den Entscheidungen und Handlungsweisen Oppenheimers, aber auch an seinen schmerzlichen Irrtümern und Niederlagen. Die Atombombe wurde gebaut und auch eingesetzt – und weckte Begehrlichkeiten, die der "Vater der Atombombe" nicht mehr verhindern konnte, es war der Griff nach der Wasserstoffbombe.

Diese tiefgründige Biografie über J. Robert Oppenheimer erzählt uns mit einem bisher nicht vorhandenen Detail- und Faktenreichtum die tragisch faszinierende Geschichte eines Physikers im 20. Jahrhundert, der - noch im seligen Fortschrittsglauben verhaftet - zwischen Wissenschaft und Politik zerrieben wurde.

Besprochen von Peter Kirsten

Kai Bird, Martin J. Sherwin: J. Robert Oppenheimer. Die Biografie
Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber
Propyläen 2009
672 Seiten, 29,95 Euro