Der vergessene Beitritt
Dass Walter Jens und Dieter Hildebrandt Mitglieder der NSDAP gewesen sein sollen, löste Verwunderung und Entsetzen aus. Die Betroffenen selbst gaben an, von einer Parteizugehörigkeit nichts gewusst zu haben. Doch der von Wolfgang Benz herausgegebene Band "Wie wurde man Parteigenosse?" zeigt, dass man ohne eignes Zutun nicht in die Partei Hitlers aufgenommen wurde.
Das Buch ist aus einem Bedürfnis nach Klärung entstanden. Klärung der Frage, ob es sein konnte, dass man ohne eigenes Zutun Mitglied der NSDAP werden konnte. Anlass hierzu gaben diverse Streitfälle vergangener Jahre, vom Schriftsteller Walter Jens bis zum Kabarettisten Dieter Hildebrandt: Menschen, deren Beitritt in noch jungen Jahren sich in Dokumenten jener Zeiten dokumentiert ist und erst in den letzten Jahren entdeckt wurde. Die meisten Betroffenen streiten ab, bewusst der Nazi-Partei beigetreten zu sein. Spätestens an dieser Stelle ging es darum, ob man ohne Wissen Parteimitglied werden konnte.
Der klare Befund der meist noch jungen, meist an der TU Berlin beheimateten Historiker, wo auch der Herausgeber Wolfgang Benz lehrt, lautet: Nein. Und das sogar ziemlich kategorisch. Über die Jahre des "Dritten Reichs" sei bei allen Veränderungen in der NSDAP, bei allen Unsicherheiten in den Entscheidungsläufen infolge paralleler Strukturen zwischen Reich und Partei, Reibungsverlusten durch konkurrierende Zuständigkeiten, ein Grundsatz immer gleich geblieben: Der der Freiwilligkeit. Zwar wird nicht ausgeschlossen, dass mancherorts mit Druck auf die Aspiranten eingewirkt wurde und man bei Ablehnung Nachteile befürchten musste, doch konnte man "Nein" sagen. Noch etwas kam hinzu: Immer wurde eine eigenhändige Unterschrift verlangt. Es konnte also niemand, etwa aus der Familie, einen anderen in die Staatspartei einschreiben.
Einige weitere überraschende Details beschreiben die Beiträge im Buch: So dürfte nicht allgemein bekannt sein, dass die Nationalsozialisten keineswegs interessiert daran waren, aus der NSDAP eine Massenpartei zu machen. Der Führer selbst hatte eine anzustrebende Marge von zehn Prozent der Gesamtbevölkerung vorgegeben. Nach der Machtübernahme Anfang 1933 gingen massenhaft Beitrittsansuchen ein. Spöttisch nannten die alten Kämpfer die neu herein Drängenden "Märzgefallene".
Da man sich in der NSDAP bewusst war, dass sich hinter der vordergründigen Begeisterung Hunderttausender vielfach reiner Opportunismus verbarg, verhängte sie eine Mitgliedersperre, die erst einige Jahre später gelockert wurde. Somit war das Zeitfenster, in dem man überhaupt Mitglied der Partei werden konnte, lediglich eines von wenigen Jahren.
Einzig den Mitgliedern der HJ sollte es generell möglich sein, nach ihrer Dienstzeit im nationalsozialistischen Jugendverband in die Partei zu wechseln. Da aber Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst eine Konkurrenz bildeten, weil in jenen Organisationen die Parteimitgliedschaft ruhte, nutzten viele, die einem Eintritt in die NSDAP aus dem Weg gehen wollten, die Möglichkeit, sich nach dem Ende der HJ-Zeit dort zu verpflichten.
Generell galt, dass eine Mitgliedschaft in der NSDAP nicht jedermann angetragen wurde, um auf diese Weise die Deutschen zu einem Volk von Parteigenossen zu machen. Immer sollte der Charakter des Besonderen gewahrt bleiben, der mit einer Zugehörigkeit der NSDAP vermittelt wurde. Selbst HJ-Abgänger mussten sich vier Jahre in der Organisation im nationalsozialistischen Sinn bewährt haben, um als aufnahmewürdig zu gelten. Eine Mitgliedschaft ohne oder gar gegen eigenes Wissen war also gemäß den Autoren nicht denkbar. Wohl aber das Vergessen oder Vergessen-Wollen einer Unterschriftabgabe in früher Jugend. Diese nach den oft verwirrenden Diskussionen der letzten Jahre wissenschaftliche Klarstellung ist das Verdienst des Buches, das darüber hinaus zusätzliche Informationen über Selbstverständnis und Struktur der Nazi-Partei bietet.
Rezensiert von Stefan May
Wolfgang Benz (Hrsg.): Wie wurde man Parteigenosse? – Die NSDAP und ihre Mitglieder
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
224 Seiten, 12,95 Euro
Der klare Befund der meist noch jungen, meist an der TU Berlin beheimateten Historiker, wo auch der Herausgeber Wolfgang Benz lehrt, lautet: Nein. Und das sogar ziemlich kategorisch. Über die Jahre des "Dritten Reichs" sei bei allen Veränderungen in der NSDAP, bei allen Unsicherheiten in den Entscheidungsläufen infolge paralleler Strukturen zwischen Reich und Partei, Reibungsverlusten durch konkurrierende Zuständigkeiten, ein Grundsatz immer gleich geblieben: Der der Freiwilligkeit. Zwar wird nicht ausgeschlossen, dass mancherorts mit Druck auf die Aspiranten eingewirkt wurde und man bei Ablehnung Nachteile befürchten musste, doch konnte man "Nein" sagen. Noch etwas kam hinzu: Immer wurde eine eigenhändige Unterschrift verlangt. Es konnte also niemand, etwa aus der Familie, einen anderen in die Staatspartei einschreiben.
Einige weitere überraschende Details beschreiben die Beiträge im Buch: So dürfte nicht allgemein bekannt sein, dass die Nationalsozialisten keineswegs interessiert daran waren, aus der NSDAP eine Massenpartei zu machen. Der Führer selbst hatte eine anzustrebende Marge von zehn Prozent der Gesamtbevölkerung vorgegeben. Nach der Machtübernahme Anfang 1933 gingen massenhaft Beitrittsansuchen ein. Spöttisch nannten die alten Kämpfer die neu herein Drängenden "Märzgefallene".
Da man sich in der NSDAP bewusst war, dass sich hinter der vordergründigen Begeisterung Hunderttausender vielfach reiner Opportunismus verbarg, verhängte sie eine Mitgliedersperre, die erst einige Jahre später gelockert wurde. Somit war das Zeitfenster, in dem man überhaupt Mitglied der Partei werden konnte, lediglich eines von wenigen Jahren.
Einzig den Mitgliedern der HJ sollte es generell möglich sein, nach ihrer Dienstzeit im nationalsozialistischen Jugendverband in die Partei zu wechseln. Da aber Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst eine Konkurrenz bildeten, weil in jenen Organisationen die Parteimitgliedschaft ruhte, nutzten viele, die einem Eintritt in die NSDAP aus dem Weg gehen wollten, die Möglichkeit, sich nach dem Ende der HJ-Zeit dort zu verpflichten.
Generell galt, dass eine Mitgliedschaft in der NSDAP nicht jedermann angetragen wurde, um auf diese Weise die Deutschen zu einem Volk von Parteigenossen zu machen. Immer sollte der Charakter des Besonderen gewahrt bleiben, der mit einer Zugehörigkeit der NSDAP vermittelt wurde. Selbst HJ-Abgänger mussten sich vier Jahre in der Organisation im nationalsozialistischen Sinn bewährt haben, um als aufnahmewürdig zu gelten. Eine Mitgliedschaft ohne oder gar gegen eigenes Wissen war also gemäß den Autoren nicht denkbar. Wohl aber das Vergessen oder Vergessen-Wollen einer Unterschriftabgabe in früher Jugend. Diese nach den oft verwirrenden Diskussionen der letzten Jahre wissenschaftliche Klarstellung ist das Verdienst des Buches, das darüber hinaus zusätzliche Informationen über Selbstverständnis und Struktur der Nazi-Partei bietet.
Rezensiert von Stefan May
Wolfgang Benz (Hrsg.): Wie wurde man Parteigenosse? – Die NSDAP und ihre Mitglieder
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
224 Seiten, 12,95 Euro