Der vergessene Bildhauer

Von Barbara Wiegand |
Seine Denkmäler prägten das Berliner Stadtbild, doch heute ist Reinhold Begas in Vergessenheit geraten. Manches Monument wurde abgetragen oder andernorts wiederaufgebaut, wo es ein Dasein als eher anonyme Randerscheinung fristet. Das Deutsche Historische Museum und das Georg-Kolbe-Museum in Berlin erinnern nun anlässlich des 100. Todestages mit einer Ausstellung an Begas.
Bevor man sich ins Deutsche Historische Museum begibt, lohnt es einen Abstecher zum Roten Rathaus zu machen. Hier, ein wenig am Rand von Berlins Mitte steht nämlich der Neptunbrunnen. Eines dieser früher so berühmten Bauwerke von Begas, das im heutigen Ranking der Sehenswürdigkeiten wohl weiter hinten steht.

Noch dazu muss man den Brunnen zu dieser Jahreszeit suchen. Denn die opulente Skulptur aus Granit und Bronze ist in die Zuckerbäcker-Kulissen eines Weihnachtsmarktes eingebaut und bildet dort den skurrilen Mittelpunkt einer kleinen Eislaufbahn. Wohl die wenigsten, die da um den auf einer Muschel hockenden Neptun herum kurven werden, wissen, wer das fantastische Gebilde mit Zentauren, Schildkröte und Krokodil erschaffen hat. Denn Reinhold Begas, der große Künstler des 19. Jahrhunderts, ist heute für viele ein großer Unbekannter. Das erfuhr Esther Sophia Sünderhauf bei einer Besucher-Umfrage im Deutschen Historischen Museum.

"Und das ist wirklich erschütternd gewesen bei einer Umfrage auch im Haus. Von 114 Personen, die wir gefragt haben, wussten 97 nichts mit dem Namen Begas anzufangen. Das muss man ändern."

Ausstellungskuratorin Sünderhauf will die Erinnerung wachrufen an diesen Lieblingskünstler Wilhelms II. - an den Mann mit langem Bart und Hut, der auf alten Fotos gern als Künstlerfürst posiert, aber auch ein zufriedenes Wohlwollen ausstrahlt. Sie will das einseitige Bild erweitern, das viele - wenn überhaupt - von ihm haben, von Begas als Günstling des Hofes und Künstler von Preußens Glanz und Gloria.

"Ich würde sagen, er hat wie kaum ein anderer Künstler das Bild der Kaiserzeit geprägt, das Bild einer Epoche. Dieses Bild hat sich tradiert über die Jahrzehnte bis hin in die Nachkriegszeit, wo man gesagt hat, das sind die Bilder einer überlebten Epoche, mit der wir nichts mehr zu tun haben wollen, mit preußischem Militarismus. Man hat sich dann entschieden, die Monumente abzumontieren, abzuschieben an die Peripherie."

In der Tat steht kaum eines der großen Begas-Denkmäler in Berlin mehr an seinem Platz – das Bismarck-Denkmal etwa versetzten die Nazis 1938 vom Reichstag an den Großen Stern in die Nähe des Tiergartens. Das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal vor dem Berliner Stadtschloss wurde 1950 demontiert und die Bronzefiguren größtenteils eingeschmolzen.

Doch dieses Verschwinden, Zerstören oder Versetzen der Großskulpturen thematisiert man sehr pathetisch im DHM und die angestrebte Würdigung gerät bisweilen zur etwas schwülstigen Huldigung. So hat man zum Beispiel mehr oder weniger zerstörte Figuren in einer Reihe aufgestellt – auch in Anspielung auf die von Wilhelm II. beauftragte Siegesallee im Tiergarten. Jenem 1901 unter der künstlerischen Leitung von Begas vollendeten Prachtboulevard, der nach dem Krieg eingeebnet wurde.

Und die eingangs der Schau in einer Art Ellipse präsentierten Büsten und Figuren wirken geradezu weihevoll arrangiert. Doch genauer hinsehen lohnt sich. Dann sieht man jede Falte, die Begas gnadenlos ins Gesicht wohlbetuchter Auftraggeberinnen gemeißelt hat. Die Spuren des Alters im Gesicht einer Kaiserbüste. Aber auch die Anmut einer Badenden mit ihrem der Natur brillant nach geformten Körper.

"Also gewiss: Er schließt eine Epoche ab, mehr als dass er eine neue eröffnet hat – gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Aber das muss man sagen: Als er jung war, hat er wirklich eine Revolution ausgelöst mit der Einführung des Neubarock in die Skulptur. Er hat eigentlich den Klassizismus aufgehoben in Berlin. Nach Schadow und Rauch vertrocknete das ein wenig. Es wurden immer die gleichen Figuren aufgestellt, immer sehr edel, ernst und gesittet. Und er hat da Leben rein gebracht. Das sieht man am besten am Neptunbrunnen, wo sich da schöne, fast nackte Frauen räkeln und das Leben genießen. Das war was Neues. Da konnte man sich gerne einfühlen in einer sehr streng noch reglementierten Zeit."

Ergänzt Ursula Berger, die Direktorin des Kolbe-Museums im Westen der Stadt, das begleitend zur Ausstellung im DHM alte Fotos zeigt – Aufnahmen, die das Schicksal von Begas Werk im öffentlichen Raum dokumentieren, von der Enthüllung bis zur Demontage. Auf einem Foto sieht man etwa einen Mann, der wie zum Abschied über den Kopf eines bronzenen Löwen streicht. Einst am Sockel des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals postiert, fand er mit seinem Artgenossen eine neue Heimat im Tierpark Friedrichsfelde – während der Rest des Monumentalwerkes abgetragen wurde.

Auf einem anderen Bild sieht man die Figurengruppe vom Schiller-Denkmal, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg trist auf einer Stadtbrache im Berliner Osten herumsitzt, bis sie mit der im Westen verbliebenen Dichterfigur am alten Standort Gendarmenmarkt wiedervereint wurde – und das sogar noch vor dem Mauerfall. Das daneben gehängte Foto vom Grenzübertritt "Schillers" ist ein wunderbares Sinnbild deutscher Geschichte – mit all ihren Brüchen.

Reinhold Begas, vor allem auch seine gespaltene Rezeption, ist zweifellos ein Teil dieser Geschichte. Davon bekommt man in der kleinen Schau im Kolbe-Museum eine stimmungsvolle Ahnung. Während die große Reinhold-Begas-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum eher enttäuscht: Man spürt hier zwar viel von Begas beeindruckender bildhauerischer Lebendigkeit, ist aber auch irritiert vom huldvollen Pathos – und vermisst eine heutige Auseinandersetzung mit diesem Künstler einer vergangenen Zeit.

Links:
Mehr zur Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin
Mehr zur Ausstellung im Georg-Kolbe-Museum in Berlin
Das prachtvolle Marmordenkmal, geschaffen von Reinhold Begas, zu Ehren des Dichters Friedrich Schiller auf dem Gendarmenmarkt in Berlin
Schiller-Denkmal von Reinhold Begas auf dem Gendarmenmarkt in Berlin© AP Archiv