Der vergessene Bildhauer
In den späten 1920er Jahren zählte Christoph Voll zu den wichtigsten Vertretern des Realismus in Deutschland. Er schuf Bildnisse von Arbeitern oder hungernden Kindern. Die Nazis schmähen ihn als "Kulturbolschewisten". Nun erinnert das Bremer Gerhard-Marcks-Haus mit 55 Werken an den vergessenen Bildhauer.
Hinter dem kleinen Jungen steht eine Ordensfrau, ihre Hände halten ihn, nein, sie packen ihn an den Oberarmen. Nicht Obhut, autoritäre Gewalt drückt die in Eichenholz gehauene Szene aus. Der Bildhauer Christoph Voll hat das "Selbstbildnis als Junge mit Nonne" 1924 gefertigt. 1897 in München geboren, verbrachte Voll viele Jahre seiner Kindheit in katholischen Waisenhäusern in Bayern. Sein Verhältnis zu den frommen Schwestern war gespannt. Auf einem frühen Holzschnitt handelt er das Motiv "Sterbende Nonne" kühl mit wenigen expressiven Strichen ab.
Christoph Voll? Der Künstler ist heute vergessen. Das ist umso erstaunlicher, da er in den späten 20er Jahren zu den wichtigsten Vertretern des Realismus in Deutschland zählte. Die Nationalsozialisten schmähten ihn als "Kulturbolschewisten" und führten zwei seiner Skulpturen 1937 in der berüchtigten Ausstellung "Entartete Kunst" vor. Im selben Jahr verlor er seine Professur in Karlsruhe. Das Bremer Gerhard-Marcks-Haus widmet ihm nun die erste Retrospektive überhaupt. Sie ist mit 55 Werken, überwiegend Skulpturen aus Holz, gut bestückt.
Wie sein Malerkollege Otto Dix hatte Voll am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Mit Dix und dem gleichaltrigen Conrad Felixmüller gehörte er in Dresden zur "Gruppe 1919", die sich radikal vom überkommenen Kunstbetrieb absetzte, erzählt Arie Hartog, der Kurator der Ausstellung:
"Er ist Student an der Akademie, und Künstler wie vor allem Kokoschka bringen an diese Akademie einen neuen Impuls. Ganz neue Ideen. Und Voll gehört zu den Künstlern, die - er hatte vorher schon ne Lehre als Bildhauer gemacht - komplett technisch ausgebildet sind, und die jetzt eine neue Formensprache entdecken."
Diese neue Formensprache ist der Expressionismus, in der die Wut der jungen Künstler, die in den Schützengräben um ihre Jugend gebracht worden waren, herausbricht. Christoph Voll macht mit Grafik, dann mit expressiver Bildhauerei auf sich aufmerksam. Er ist ein junger Mann mit empfindlichen Antennen für die politischen Spannungen und sozialen Abgründe der Weimarer Republik.
"In Dresden gibt es eine starke Diskussion darüber, ob das mit dem Expressionismus, man würde sagen, 'jetzt alles ist'. 'Expressionismus als eine sehr stark individuelle Kunstform', und es wurde ja auch sehr stark darüber diskutiert, wie denn eine zukünftige Gesellschaft nach dem Untergang des Kaiserreichs aussehen sollte, und sehr früh taucht dann die Denkfigur auf, die sagt: "Es kann ja nicht so sein, dass wir an der einen Seite eine höchst individuelle Kunst machen, und an der anderen Seite versuchen, eine möglichst egalitäre Gesellschaft hinzukriegen."
Die Antwort darauf lautet für Christoph Voll: Vom Expressionismus zum Realismus. Er wird geradezu zum Porträtisten der 20er Jahre mit den Mitteln der Bildhauerei. Da richtet ein blinder Bettler seine leeren Augen auf einen imaginären Passanten-Strom. Ein vierschrötiger, schnauzbärtiger Arbeiter hält sein tumbes Kind auf dem Arm. Ein magerer Junge mit rachitischer Brust klagt eine Gesellschaft an, die ihn hungern lässt.
"Wenn Sie eine Plastik machen, dann stellen Sie etwas auf den Sockel. Und was macht Voll? Er nimmt einen Arbeiterjungen und stellt den auf den Sockel und sagt: Schaut mal her! Der ist wichtig! Und gibt dem Thema eine gewisse Würde. Und damit wir er auch zu einem wichtigen Vorläufer des sozialistischen Realismus."
Neben dem anonymen menschlichen Treibgut der Großstadt schlägt Christoph Voll auch bekannte Personen lebensgroß ins Eichenholz. Etwa den Rechtsanwalt Fritz Glaser, der linke Oppositionelle vor Gericht vertritt. Auch sein eigenes Ebenbild modelliert Voll aus dem Eichenholzblock: ein energischer junger Mann mit üppiger Haartolle, die Hände kraftvoll um ein Stecheisen geballt.
Voll hat durchaus Erfolg. 1925 wird er Professor für Bildhauerei in Saarbrücken, drei Jahre später wechselt er nach Karlsruhe, damals ein Zentrum der realistischen Kunst. An Stelle des Holzes wird rötlich-violetter Granit bald zum bevorzugten Werkstoff. Volls Figuren verlieren etwas von ihrem ruppigen, sinnlichen Realismus und werden glatter, organischer.
Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, gerät Voll vor allem wegen seines expressionistischen Debüts ins Visier. Seine frühen Arbeiten werden aus dem Dresdner Stadtmuseum geholt und vernichtet. Viele Werke aus dieser Zeit sind, wenn überhaupt, nur durch Abbildungen bekannt.
"Aber auch das Spätwerk gilt als hässlich. Er sind ja lauter hässliche Menschen, die er darstellt. Das soll man ja nicht tun, ist die Behauptung der Nazis."
1939 stirbt Christoph Voll erst 42-jährig in Karlsruhe an Magenkrebs, aufgerieben durch Schmähkritik und Denunziationen. Sein Werk, das seine Frau teilweise nach Skandinavien hatte auslagern können, gerät gründlich in Vergessenheit. Im Westen tritt nach 1945 die Abstrakte Kunst ihren Siegeszug an; für figurative, realistische Bildhauerei interessierte sich kaum jemand. Die ostdeutsche Künstlerszene hätte Christoph Voll vielleicht durchaus als einen der Ihren reklamieren können - allein, das Oeuvre stand nicht zur Verfügung: Das Dresdner Frühwerk hatten die Nationalsozialisten vernichtet, die realistischen Arbeiten der 20er Jahre befanden sich im Nachlass im Westen oder waren bei Sammlern verstreut. So erinnert die Bremer Ausstellung an einen bemerkenswerten vergessenen Realisten, dem alles Heroische fremd war und den die Zeitläufe immerhin davor bewahrten, jemals als Staatskünstler missbraucht zu werden.
Service: Die Ausstellung "Christoph Voll (1897-1939) Skulptur zwischen Expressionismus und Realismus " ist vom 26. August bis 11. November 2007 im Bremer Gerhard-Marcks-Haus zu sehen.
Christoph Voll? Der Künstler ist heute vergessen. Das ist umso erstaunlicher, da er in den späten 20er Jahren zu den wichtigsten Vertretern des Realismus in Deutschland zählte. Die Nationalsozialisten schmähten ihn als "Kulturbolschewisten" und führten zwei seiner Skulpturen 1937 in der berüchtigten Ausstellung "Entartete Kunst" vor. Im selben Jahr verlor er seine Professur in Karlsruhe. Das Bremer Gerhard-Marcks-Haus widmet ihm nun die erste Retrospektive überhaupt. Sie ist mit 55 Werken, überwiegend Skulpturen aus Holz, gut bestückt.
Wie sein Malerkollege Otto Dix hatte Voll am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Mit Dix und dem gleichaltrigen Conrad Felixmüller gehörte er in Dresden zur "Gruppe 1919", die sich radikal vom überkommenen Kunstbetrieb absetzte, erzählt Arie Hartog, der Kurator der Ausstellung:
"Er ist Student an der Akademie, und Künstler wie vor allem Kokoschka bringen an diese Akademie einen neuen Impuls. Ganz neue Ideen. Und Voll gehört zu den Künstlern, die - er hatte vorher schon ne Lehre als Bildhauer gemacht - komplett technisch ausgebildet sind, und die jetzt eine neue Formensprache entdecken."
Diese neue Formensprache ist der Expressionismus, in der die Wut der jungen Künstler, die in den Schützengräben um ihre Jugend gebracht worden waren, herausbricht. Christoph Voll macht mit Grafik, dann mit expressiver Bildhauerei auf sich aufmerksam. Er ist ein junger Mann mit empfindlichen Antennen für die politischen Spannungen und sozialen Abgründe der Weimarer Republik.
"In Dresden gibt es eine starke Diskussion darüber, ob das mit dem Expressionismus, man würde sagen, 'jetzt alles ist'. 'Expressionismus als eine sehr stark individuelle Kunstform', und es wurde ja auch sehr stark darüber diskutiert, wie denn eine zukünftige Gesellschaft nach dem Untergang des Kaiserreichs aussehen sollte, und sehr früh taucht dann die Denkfigur auf, die sagt: "Es kann ja nicht so sein, dass wir an der einen Seite eine höchst individuelle Kunst machen, und an der anderen Seite versuchen, eine möglichst egalitäre Gesellschaft hinzukriegen."
Die Antwort darauf lautet für Christoph Voll: Vom Expressionismus zum Realismus. Er wird geradezu zum Porträtisten der 20er Jahre mit den Mitteln der Bildhauerei. Da richtet ein blinder Bettler seine leeren Augen auf einen imaginären Passanten-Strom. Ein vierschrötiger, schnauzbärtiger Arbeiter hält sein tumbes Kind auf dem Arm. Ein magerer Junge mit rachitischer Brust klagt eine Gesellschaft an, die ihn hungern lässt.
"Wenn Sie eine Plastik machen, dann stellen Sie etwas auf den Sockel. Und was macht Voll? Er nimmt einen Arbeiterjungen und stellt den auf den Sockel und sagt: Schaut mal her! Der ist wichtig! Und gibt dem Thema eine gewisse Würde. Und damit wir er auch zu einem wichtigen Vorläufer des sozialistischen Realismus."
Neben dem anonymen menschlichen Treibgut der Großstadt schlägt Christoph Voll auch bekannte Personen lebensgroß ins Eichenholz. Etwa den Rechtsanwalt Fritz Glaser, der linke Oppositionelle vor Gericht vertritt. Auch sein eigenes Ebenbild modelliert Voll aus dem Eichenholzblock: ein energischer junger Mann mit üppiger Haartolle, die Hände kraftvoll um ein Stecheisen geballt.
Voll hat durchaus Erfolg. 1925 wird er Professor für Bildhauerei in Saarbrücken, drei Jahre später wechselt er nach Karlsruhe, damals ein Zentrum der realistischen Kunst. An Stelle des Holzes wird rötlich-violetter Granit bald zum bevorzugten Werkstoff. Volls Figuren verlieren etwas von ihrem ruppigen, sinnlichen Realismus und werden glatter, organischer.
Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, gerät Voll vor allem wegen seines expressionistischen Debüts ins Visier. Seine frühen Arbeiten werden aus dem Dresdner Stadtmuseum geholt und vernichtet. Viele Werke aus dieser Zeit sind, wenn überhaupt, nur durch Abbildungen bekannt.
"Aber auch das Spätwerk gilt als hässlich. Er sind ja lauter hässliche Menschen, die er darstellt. Das soll man ja nicht tun, ist die Behauptung der Nazis."
1939 stirbt Christoph Voll erst 42-jährig in Karlsruhe an Magenkrebs, aufgerieben durch Schmähkritik und Denunziationen. Sein Werk, das seine Frau teilweise nach Skandinavien hatte auslagern können, gerät gründlich in Vergessenheit. Im Westen tritt nach 1945 die Abstrakte Kunst ihren Siegeszug an; für figurative, realistische Bildhauerei interessierte sich kaum jemand. Die ostdeutsche Künstlerszene hätte Christoph Voll vielleicht durchaus als einen der Ihren reklamieren können - allein, das Oeuvre stand nicht zur Verfügung: Das Dresdner Frühwerk hatten die Nationalsozialisten vernichtet, die realistischen Arbeiten der 20er Jahre befanden sich im Nachlass im Westen oder waren bei Sammlern verstreut. So erinnert die Bremer Ausstellung an einen bemerkenswerten vergessenen Realisten, dem alles Heroische fremd war und den die Zeitläufe immerhin davor bewahrten, jemals als Staatskünstler missbraucht zu werden.
Service: Die Ausstellung "Christoph Voll (1897-1939) Skulptur zwischen Expressionismus und Realismus " ist vom 26. August bis 11. November 2007 im Bremer Gerhard-Marcks-Haus zu sehen.