Der vergessene Krieg

Rezensiert von Nana Brink |
25 Nationen waren am Koreakrieg beteiligt, er kostete 4,5 Millionen Menschen das Leben. Trotzdem gilt er heute im Westen vielfach als vergessener Militärkonflikt. Der Historiker Bernd Stöver erzählt in seinem faktenreichen Buch seine Geschichte und stellt aktuelle Bezüge her.
Nordkoreanische Einheiten in einer Gesamtstärke von nahezu 60.000 Mann haben in der Nacht den 38. Breitengrad überschritten und sind nach Südkorea eingefallen, die Infanterie wurde von 100 Panzern sowjetischer Herkunft unterstützt. Die südkoreanischen Truppen waren zuerst völlig überrascht und leisteten kaum Widerstand.

Diese Nachricht, die die Deutschen am 25. Juni 1950 im Radio hören, verkündet den ersten militärischen Konflikt des Kalten Kriegs. Nur fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs scheint eine atomare Auseinandersetzung der Großmächte Sowjetunion und USA im Bereich des Möglichen. In Korea?

"Der Koreakrieg wird bis heute vielfach als der 'vergessene Krieg' verstanden. Er ist – vor allem, wenn man ihn mit den beiden Weltkriegen und dem Vietnamkrieg vergleicht – tatsächlich weit weniger bekannt. Insbesondere die Tatsache, dass der Koreakrieg neben der militärischen Konfrontation, an der schließlich 22 westliche und vier dem Ostblock zugehörige Staaten beteiligt waren, zu einem Bürgerkrieg wurde, in dem Nachbarn gegen Nachbarn kämpften, und auch alte Rechnungen beglichen wurden, ist außerhalb Koreas weitgehend ignoriert worden",

schreibt Bernd Stöver, Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam, in seiner gerade erschienenen "Geschichte des Koreakrieges", die knapp, faktenreich und flüssig zu lesen ist. Die Drohungen des neuen nordkoreanischen Führers Kim Jong-Un brachten den letzten "ungelösten Konflikt" des Kalten Krieges vor ein paar Monaten wieder in den Fokus der Weltpolitik. Schon vor sechzig Jahren war die koreanische Halbinsel ein "Schlachtfeld der Supermächte", so der Untertitel von Stövers Buch. Und das Problem ist geblieben, wie der ehemalige Berater von Helmut Kohl und Kenner der Region, Horst Teltschik erläutert:

"Die Amerikaner haben jedes Interesse, weil sie nicht interessiert sein können, dass Nordkorea eine Nuklearmacht wird, wie übrigens die Chinesen kein Interesse daran haben, auch die Russen nicht. Zweitens: Sie wollen auch nicht auf Dauer in Südkorea bleiben, zumindest nicht in der Stärke und Präsenz. Umgekehrt geht’s den Chinesen darum, wenn es zu einer Wiedervereinigung käme, dann wollen sie die Amerikaner nicht präsent haben vor der eigenen Haustür, nicht? "

Begonnen hat das Spiel schon vor Kriegsausbruch. In zwei Kapiteln beschreibt Bernd Stöver kurz die Geschichte Koreas als japanische Provinz bis 1945, die nach der Kapitulation Japans unter den Siegermächten in zwei Besatzungszonen aufgeteilt wird, entlang des 38. Breitengrades. Der Süden des Landes wird von US-Truppen, der Norden von sowjetischen Truppen besetzt. Schließlich folgt 1948 die Gründung der Republik Korea und der nordkoreanischen Volksrepublik, die im Ablauf an die Entstehung der beiden deutschen Staaten erinnert. Als versierter Geschichtsschreiber und Kenner des Kalten Krieges weiß Stöver die Fakten immer wieder in einen aktuellen Zusammenhang zu stellen, weshalb sein Handbuch – der Leser dankt es ihm – für ein breites Publikum geschrieben ist und nicht für seine Historikerkollegen.

Um die Macht im ganzen Land an sich zu reißen, greift Kim Il-Sung, der Großvater des heutigen nordkoreanischen Machthabers, mit Unterstützung der Sowjets und Chinas im Juni 1950 den Süden an. Die Amerikaner sind überrascht. Präsident Harry Truman begründet das Eingreifen amerikanischer Truppen vor dem US-Kongress kurz und knapp: "Wir kämpfen in Korea für unsere eigene Sicherheit und für unser Überleben."

Und die Amerikaner tun es nicht allein, wie der Präsident in einer Radioansprache erklärt:

"Bis jetzt lag die Hauptlast bei der Republik Korea und den USA, jetzt kommen Streitkräfte aus Australien, Kanada, Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden und Neuseeland. Sie operieren unter dem UN-Kommando."

Bereits zwei Tage nach dem Einmarsch billigt eine UN-Resolution die Verteidigung Südkoreas mit den US-Truppen als Hauptkontingent und Soldaten aus zwanzig weiteren Staaten. "Ein Schlachtfeld der Supermächte". Mit dem Eingreifen der UDSSR und Chinas auf der anderen Seite sind fünfundzwanzig Nationen an diesem Krieg beteiligt, der am Ende 4,5 Millionen Menschen das Leben kostet. Den größten Blutzoll zahlt die Zivilbevölkerung – auf beiden Seiten. Nach drei Jahren und einem ungeheuren Einsatz von Bomben und Napalm gleicht die koreanische Halbinsel einer Mondlandschaft. Ein Mahnmal der Hoffnungslosigkeit im Kalten Krieg:

Das zeigte auch die Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens. In einem nur zwölf Minuten dauernden Treffen zwischen dem Leiter der UN-Delegation, US-General William Harrison, und dem nordkoreanischen Vertreter, General Nam Il, wurden am 27. Juli 1953 die Unterschriften getauscht. Nicht nur die Kürze des Schlussaktes nach Hunderten Treffen (…) demonstrierte die nach wie vor bestehende eisige Unversöhnlichkeit der beiden Seiten. Auch jetzt fanden die Unterschriften wortlos statt.

Mit dem Waffenstillstand bildete sich eine vier Kilometer breite und rund 248 Kilometer lange Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea, die bis heute besteht. Bernd Stöver entlässt seinen Leser mit einer interessanten These: Besser das nordkoreanische Regime finanziell stützen – was Russland und China tun – als riskieren, dass ein an die Wand gedrängter Diktator einen Flächenbrand entfacht. So sieht es auch der Korea-Kenner Horst Teltschik:

"Es gibt diese Drähte, es gibt ja überhaupt viel mehr Drähte in dieser Welt, als viele wahrnehmen wollen. Und das ist ja gut so bei der jetzigen aktuellen Krise um Korea, bei der man nicht weiß, was hat dieser 31-jährige Führer der nordkoreanischen Partei und Regierung, was hat er für Absichten? Von daher gehe ich immer davon aus, dass China – wo auch immer, wie auch immer – Kontakt hat. Ich kann nur sagen, hoffentlich! Was dann im Einzelnen abläuft, erfährt man nicht. Aber ich habe erlebt, als ich selbst noch in der Region war, dass es glücklicherweise Gesprächskanäle gibt, von denen niemand was weiß und die zumindest dazu beitragen können, das Schlimmste zu verhindern."

Buchcover: "Geschichte des Koreakrieges" von Bernd Stöver
Buchcover: "Geschichte des Koreakrieges" von Bernd Stöver© C.H. Beck Verlag
Bernd Stöver: Geschichte des Koreakriegs. Schlachtfeld der Supermächte und ungelöster Konflikt
C.H. Beck Verlag, München 2013
192 Seiten, 12,95 Euro
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